Spielertransfers haben die gemeine Eigenschaft, dass sie Hoffnungen wecken und Fans dazu verleiten, sich die Zukunft auszumalen. Und herrje, wie schillernd mag diese Zukunft in den Gedanken einiger Anhänger des SV Werder wohl ausgesehen haben: Naby Keita heuerte im vergangenen Jahr immerhin im Rang eines absoluten Königstransfers bei den Bremern an. Ein früherer Champions-League-Sieger, englischer Meister und Klub-Weltmeister mit dem FC Liverpool, von dem zwar bekannt war, dass ihn öfter das ein oder andere Wehwehchen plagt. Aber für Fans ist nichts leichter, als solche Details einfach mal auszublenden.
Nicht ausgeschlossen also, dass Bremer Berufsoptimisten Naby Keita schon mit der Meisterschale durchs Weserstadion tanzen sahen; sehr wahrscheinlich jedenfalls ist, dass ihm eine Mehrheit der Werder-Fans zumindest zugetraut hat, bald die Bälle in Europapokalspielen in Batumi, Riga oder Vaduz zu verteilen. So sehr gefreut haben sie sich am Osterdeich selten auf einen Fußballer. Keita, 29, weckte beim Traditionsklub wegen seines großen Namens Erinnerungen an einst große Zeiten und den Glauben an eine zumindest mittelgroße Perspektive. Nach zahlreichen Verletzungen, einem Startelfeinsatz und einer Nettospielzeit von gerade mal 107 Minuten ist diese Aussicht jedoch längst dahin.
Werder und Keita haben aktuell einen Beziehungsstatus wie ein junges Ehepaar, das merkt, wie schnell Anfangseuphorie erlischt, wenn die jeweiligen Lebensmodelle nicht vereinbar sind. Und das dennoch weiter in derselben Wohnung hausen muss, bis der eine, in diesem Fall Keita, die Schlüssel abgibt und weiterzieht. Das hätte Werder nämlich gern, während Keita zuvor noch möglichst viel vom gemeinsamen Hausstand mitnehmen möchte – sein Jahresgehalt von 1,5 Millionen Euro, das inklusive Boni aufs Doppelte anwachsen kann, möchte der Mittelfeldmann gerne ausbezahlt bekommen, ehe er seine Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag setzt.
Werder sucht bis Transferschluss einen Abnehmer für Keita
In den vergangenen Tagen haben die Parteien viel verhandelt, ohne Ergebnis. Am Donnerstag hat der Traditionsklub nun einen offiziellen Sachstand übermittelt. Keita wird, wie schon die gesamte Vorbereitung, nicht mit der Mannschaft, sondern individuell trainieren. Das sei der „sinnvollste Weg in der aktuellen Situation“, wird der neue Bremer Sportchef Clemens Fritz im Kommuniqué zitiert: „Nachdem sich seine sportliche Situation nicht wieder verändert, möchte er sich gerne eine neue Herausforderung suchen. Gemeinsam mit seinem Berater wollen wir dies möglichst zeitnah realisieren.“ Bei Werder zeigen sie sich optimistisch, dass sich bis zum Ende des Transferfensters noch ein Abnehmer finden wird. Klar ist aber: Interessenten müssten über so manches hinwegsehen, was sich in der vergangenen Saison so zugetragen hat.
Eine Trennung steht mehr oder weniger seit April fest, als Keita vor einem Ligaspiel bei Bayer Leverkusen erfuhr, dass er nicht in der Startelf stand, deswegen seine Mitfahrt im Mannschaftsbus verweigerte und eine Suspendierung bis Saisonende provozierte. Mit all den zuvor angehäuften Blessuren, Kränkeleien und Verspätungen beim Training hätte sich der Bremer Trainer Ole Werner womöglich noch arrangieren können, sofern Keita für die neue Spielzeit mehr Tatkraft zugesichert hätte. Die eigenmächtige Niederlegung der Arbeit war aber eine Umdrehung zu viel für den Coach.
Und dann war da ja noch dieser leise Verdacht, den keiner wird beweisen können, der sich aber recht eindeutig in Zahlen materialisiert: Im Januar, beim Afrika-Cup, hat Keita für Guinea in vier Spielen 178 Spielminuten absolviert. Beim olympischen Fußballturnier in Paris waren es jüngst zwei Startelfeinsätze bei 164 Spielminuten – zusammen also etwa dreimal so viel, wie er in der gesamten Saison für Werder vorweisen kann. Hatte Keita andere Prioritäten als deutschen Mittelstandsfußball? Und wenn ja: Warum hat er dann überhaupt einen Vertrag in Bremen unterschrieben?
Immerhin: Das Bremer Mittelfeld hat sich auch ohne Keita stabilisiert
Keitas ellenlange Verletzungshistorie wurde bei Werder noch mal um einige Kapitel erweitert, davon abgesehen bleibt wenig, woran sich Fans erinnern werden. Dabei war er auch deshalb so frenetisch empfangen worden, weil er das traditionelle Werder-Modell umgedreht hat: In Miroslav Klose, Mesut Özil, Johan Micoud oder Diego haben in der Vergangenheit zwar viele Großkaliber am Osterdeich vorgespielt. Zu international angesehenen Profis wurden sie aber in Bremen entwickelt, und von dort zogen sie in die glitzernde Fußballwelt. Keita dagegen kam mit dem Nimbus eines Fußballers, für den der FC Liverpool wenige Jahre zuvor marktgerechte 60 Millionen Euro bezahlt hatte.
Wenn so einer mindestens 20 Spiele fit bliebe, so die Bremer Kalkulation, dann würde er das Niveau der Mannschaft derart anheben, dass sich das Geschäft auf jeden Fall lohnen würde. Nun, es kam anders, und die Bremer können sich glücklich schätzen, dass das Mittelfeldzentrum von Keita nicht abhängig war und in naher Zukunft auch nicht sein wird: Der Däne Jens Stage hat sich als stabiler Organisator profiliert, vom Belgier Senne Lynen gehen immer mehr Impulse aus. Und vom österreichische Nationalspieler Marco Grüll, der diesen Sommer ablösefrei von Rapid Wien kam, erwarten sich die Bremer einiges in der neuen Saison.
Vom einstigen Königstransfer Keita dagegen versprechen sie sich am Osterdeich gar nichts mehr, außer dass er vielleicht doch noch von der Gehaltsliste verschwindet. Auch innerhalb der Mannschaft gilt die Enttäuschung übrigens als enorm: Stürmer Marvin Ducksch berichtete diese Woche, dass der Kontakt zum Guineer nur sporadisch sei. Und auf eine Entschuldigung für seinen Streik warte man immer noch.