Fußball-Bundesliga:Wer ist Schalker und wer nicht?

TSG 1899 Hoffenheim v FC Schalke 04 - Bundesliga

Ratlos auf dem Platz: Schalkes Matija Nastasić.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Beim Tabellenletzten spricht Manager Christian Heidel den Spielern grundlegende Tugenden ab - dabei hat er viele von ihnen selbst verpflichtet.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der Schiedsrichter Tobias Welz aus Wiesbaden hatte am Sonntag beim Spiel zwischen der TSG Hoffenheim und Schalke 04 nicht seinen besten Tag. Er verweigerte in der Nachspielzeit den fälligen Elfmeter für Schalke nach einem Handspiel des Hoffenheimers Kerem Demirbay, und er ersparte dem Hoffenheimer Ermin Bičakčić gleich zwei Mal einen hochverdienten Platzverweis. Der Kicker, in solchen Fragen das Organ von Recht und Wahrheit, stellte dem Unparteiischen die Note "mangelhaft" aus. Die benachteiligten Schalker hatten also einen guten Grund, vor Wut und Betroffenheit zu schäumen.

Tatsächlich gab Schalkes Manager Christian Heidel zu erkennen, dass er sehr, sehr ärgerlich war, seine Äußerungen zum Spiel wurden von den Zuhörern wahlweise als "Wutrede" oder "Brandrede" qualifiziert. Die Versäumnisse von Schiedsrichter Welz hat Heidel in seiner flammenden Ansprache allerdings nicht erwähnt. "Das interessiert mich gar nicht", sagte er. Sein Interesse richtete der Manager stattdessen auf diejenigen, die seiner Ansicht nach die eigentlichen Verursacher der Schalker 1:2-Niederlage in Hoffenheim waren.

Die Missetäter nannte er zwar nicht beim Namen, aber er hat ihre Identität dadurch gelüftet, dass er von seiner Anklage einen Einzelnen ausnahm. Sinngemäß sagte er: Alle Schalker, die in Hoffenheim gespielt haben, waren schlecht und sind schuldig - außer Benedikt Höwedes.

Das Wort "Abstiegskampf" verbreitet Schrecken

Der Nationalspieler Höwedes, 28, hat zurzeit eine gute Phase. Er hat nach der Sommerpause dort weitergemacht, wo er vorher aufgehört hat; seine Grätschen sind immer noch so präzise und spektakulär wie jene, mit der er während der Europameisterschaft Olivier Giroud im deutschen Strafraum stoppte. Das Problem ist jedoch, dass Höwedes so ziemlich der einzige Schalker ist, dem zurzeit eine gute Phase zu bescheinigen ist. Der Biorhythmus seiner Mitspieler hingegen weist tendenziell abwärts. Heidel hat am Sonntag das Wort "bedenklich" verwendet, um die Entwicklung zu beschreiben, und er hat auch die Vokabel "Abstiegskampf" benutzt, was viele Schalker so in Schrecken versetzte, als ob er ihnen eines dieser Raucherbein-Bilder von den neuen Zigarettenschachteln gezeigt hätte.

Heidel ist im Sommer mit dem Anspruch angetreten, mittelfristig die Lücke zu den Spitzenklubs Dortmund und Leverkusen zu schließen. Derzeit geht es aber bloß noch darum, die Lücke zu Darmstadt und Bremen zu verkleinern. Schalke ist nach fünf Niederlagen hintereinander in jener Zwangslage, die den Gang der vorigen Jahre bestimmt hatte und die der neue Manager unbedingt vermeiden wollte: Der Klub braucht wieder um jeden Preis kurzfristig Erfolg, alle weiterführenden Erwägungen stehen hinter diesem Primärziel zurück.

Heidels Zugänge machen noch zu viele Fehler

Dem neuen Trainer Markus Weinzierl geht es nach lediglich fünf Spieltagen wie seinen immer irgendwie bedauernswerten Vorgängern Jens Keller, Roberto Di Matteo und André Breitenreiter: Er braucht, egal wie, gute Ergebnisse. Die Verwirklichung des ideellen Saisonziels - Etablierung einer Spielidee, Aufbau einer neuen Mannschaft - ist in den Hintergrund getreten. Es geht mal wieder nicht mehr um Details eines besseren Fußball-Stils, sondern um das Essenzielle: "Es hat mit Mentalität und Charakter zu tun", hob Heidel bei der Teamkritik in Hoffenheim hervor, als er Mängel an Einstellung und Arbeitseifer beklagte. Beim nächsten Punktspiel am Sonntag gegen Gladbach, kündigte er an, "kommen Leute rein, die malochen".

Es ist kein gutes Zeichen, wenn den Profis nach ein paar Wochen Spielbetrieb von höchster Stelle die Grundlagen des Schalker-Seins abgesprochen werden. Mag sein, dass Christian Heidel am Sonntag dem Trainer ein wenig Verantwortung für die Niederlage abnehmen wollte, um ihn zu schützen. Aber indem er die Verantwortung auf die Spieler übertrug, hat er sich auch selbst ein wenig in Zweifel gezogen, denn in Hoffenheim spielte jene Mannschaft, die er für den Start der vom Verein proklamierten Reform zusammengestellt hatte.

Zu früh für endgültige Urteile

Heidels Transfersommer hatte früh begonnen (als Mitte Mai Naldo aus Wolfsburg kam), aber er endete erst spät im August mit der Verpflichtung der defensiven Mittelfeldspieler Stambouli und Bentaleb und des Flügelspielers Konoplyanka. Nach dem ersten Training kam für die drei schon das erste Bundesligaspiel, gleich gegen den FC Bayern.

Für endgültige Urteile über die neuen Mitarbeiter ist es zu früh. Aber die Fakten besagen, dass Naldo (gegen Frankfurt, Bayern, Köln), Stambouli (in Berlin) und Bentaleb (in Berlin und Hoffenheim) schon eine Menge Fehler mit spontaner Gegentor-Wirkung produziert haben. Stürmer Embolo, der Rekordtransfer, braucht noch sehr viel Feinschliff, strategische Erziehung und technische Nachhilfe; Konopljanka gehörte in Hoffenheim nicht dem Kader an, seinen Sonntagsdienst versah er beim Training in Gelsenkirchen. Lediglich der von Chelsea entliehene Verteidiger Baba hat unter den Schalker Zugängen bisher eine saubere Akte. In Mainz ist Heidel für seine Im- und Exporte gefeiert worden - auf Schalke hat er bisher Transfers getätigt, die in der Branche Erstaunen und bei seinen Sympathisanten Besorgnis hervorgerufen haben.

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