Fußball-Bundesliga:Stuttgarter Herbst

Zum dritten Mal in Folge trennt sich der VfB Stuttgart in der Vorrunde von seinem Trainer. Christian Gross kritisierte die zurückhaltende Transferpolitik des Klubs, scheiterte aber auch an der rätselhaften Psyche der Mannschaft.

Thomas Hummel

Der FC Schalke 04 sollte sich in Acht nehmen. Trainerwechsel beim VfB Stuttgart hatten zuletzt immer die Folge, dass die Mannschaft urplötzlich eine andere war. Mit den gleichen Spielern zwar, aber doch ganz anders. Verzagte, gehemmte, schwunglose Verlierer wurden zu entschlossenen, befreiten, beschwingten Siegern. Am Sonntag spielt Stuttgart in Schalke, und wie zuletzt immer im Herbst, hat der VfB seinen Trainer rausgeschmissen.

SC Freiburg v VfB Stuttgart - Bundesliga

Entlassen: Christian Gross, Ex-Trainer des VfB Stuttgart. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Im Herbst 2008 musste der einstige Meistertrainer Armin Veh gehen, nach 14 Spieltagen kam Markus Babbel und besiegte in seinem ersten Bundesliga-Spiel als Trainer, nun ja, den FC Schalke. Neun Partien lang blieb Babbel unbesiegt und erreichte am Ende noch die Champions League. Im Herbst 2009 das gleiche Bild: Stuttgarter Schwermut, nach dem 15. Spieltag entließ der Verein Babbel und holte Christian Gross.

Einen Tag später stand der Schweizer zum ersten Mal an der Seitenlinie, die Stuttgarter schossen gegen Unirea Urziceni drei Tore in den ersten elf Minuten - Rekord in der Champions League. Von den restlichen 19 Bundesliga-Partien verlor Gross mit Stuttgart nur zwei und erreichte noch die Europa League.

Herbst 2010: Diesmal dauerte es nur sieben Spieltage lang, bis der VfB sich von seinem Trainer trennt. Der Verein meldet auf der eigenen Internetseite: "Nach einer eingehenden Analyse der sportlichen Situation wurde Christian Gross heute mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als Cheftrainer des VfB Stuttgart freigestellt. Jens Keller wird ab sofort das Mannschaftstraining leiten und die Mannschaft am Samstag beim Auswärtsspiel beim FC Schalke 04 betreuen."

Bei einer Pressekonferenz am Mittwochmittag begründete Präsident Erwin Staudt: "Wir haben alle größte Sorge. Es ist die schwierigste Situation in der Bundesliga-Geschichte für den VfB." Von den ersten sieben Partien hat der VfB sechs verloren, er ist Tabellenletzter. Sportdirektor Fredi Bobic ergänzte, Gross habe in den gemeinsamen Gesprächen "keine Lösungsansätze" der Probleme bringen können.

Bei der Suche nach der sportlichen Misere fallen zunächst die Abgänge ins Auge: Torwart Jens Lehmann hörte auf, Sami Khedira wechselte zu Real Madrid, Martin Lanig, Roberto Hilbert, Sebastian Rudy, Julian Schieber und Ricardo Osorio waren keine Leistungsträger, so doch Optionen für die erste Elf. Die Zugänge Johan Audel und Philipp Degen haben verletzungsbedingt bislang kaum gespielt, Christian Gentner ist eben doch kein Khedira und Mauro Camoranesi trat außer eines groben Fouls mit folgender Rotsperre kaum in Erscheinung.

Nachfolger Daum?

Christian Gross hätte gerne mehr und wohl auch andere Spieler verpflichtet. Der ehrgeizige Schweizer beschwerte sich zuletzt über die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim VfB: "Man will das Maximum", doch die Umsetzung sei schwierig, "wenn einem finanziell die Hände gebunden sind." Stuttgart hat in der Transferbilanz ein Plus von acht Millionen Euro erwirtschaftet, baut aber gerade sein Stadion in eine Fußballarena um. Gross kritisierte zunehmend laut in der Öffentlichkeit, dass der Verein in 'Steine statt Beine' investiert. Und forderte mehr oder weniger, der Verein müsse im Winter noch mal nachlegen. "Ich denke", behauptete Gross, "die Khedira-Millionen sind bestimmt noch nicht alle aufgebraucht."

Der mächtige Aufsichtsratschef Dieter Hundt entgegnete in der Stuttgarter Zeitung: "Der Aufsichtsrat hat es doch nicht zu vertreten, dass teuer eingekaufte Spieler nicht zum Zug kommen oder völlig ungenügende Leistungen abliefern. Der Aufsichtsrat hat es auch nicht zu vertreten, wenn hochbezahlte Spieler beste Torchancen fahrlässig vergeben. Und der Aufsichtsrat ist schließlich nicht schuld daran, dass die Abstimmung zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen nicht funktioniert."

Vorgänger Markus Babbel hatte am Mittwoch bereits die Stuttgarter Spieler kritisiert. "Beim VfB muss sich jeder Spieler mal selbst hinterfragen, ob er alles für seinen Job tut. Es kann doch nicht sein, dass dort jedes Jahr der Trainer ausgewechselt wird", sagte er dem Berliner Kurier. Tatsächlich entpuppt sich die Mannschaft als Stimmungsteam, dass von einem Hoch ins nächste Tief rutscht, Normalform scheint es in Stuttgart nicht zu geben.

Wenig freudig hat Gross im Sommer auch darauf reagiert, dass der Verein Manager Horst Heldt zu Schalke 04 gehen ließ. Über Nachfolger Bobic sagte er kürzlich, dieser "hat auch seine Vorstellungen und seine Ziele. Dabei arbeitet er mit einem Trainer zusammen, den er nicht ausgesucht hat."

Schon im Sommer hatte Gross eine ihm angebotene Vertragsverlängerung ausgeschlagen. Im Umfeld entstand bisweilen der Eindruck, die Interessenskonflikte bewirkten bei dem 56-jährigen Trainer Resignation. Gross gestand selbst ein: "Natürlich darf man mit so einem Kader in der Bundesliga nicht auf Platz 18 stehen." Bei einer Niederlage am Samstag in Schalke rechneten die meisten Beobachter mit einer Entlassung, dass diese nun schon vor dem Kellerduell gegen den Vorletzten vollzogen wurde, überrascht aber.

Nachfolger ist nun Ko-Trainer Jens Keller. Ob dieser eine Interimslösung ist oder eine Chance erhält, sich längerfristig zu bewähren, teilte der Klub nicht mit. Im Verein neigt eine Fraktion offenbar zur Verpflichtung von Christoph Daum. So unterhält Eduardo Garcia, Chef des VfB-Hauptsponsors, seit langem geschäftliche Verbindungen zu Daum, auch Hundt soll den früheren Stuttgart Meistertrainer schätzen. Der 56-Jährige ist derzeit ohne Job.

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