Waldemar Anton dürfte heilfroh gewesen sein, als die Rückkehr an den ehemaligen Arbeitsplatz endlich beendet war. Gar nicht mal so sehr, weil er dann die Pfiffe gegen sich nicht mehr länger ertragen musste. Sondern weil er mit Borussia Dortmund beim 1:5 in Stuttgart gerade eine Abreibung erlebt hatte, die regelrecht ehrenrührig war. Deniz Undav (4./90. Minute), Ermedin Demirovic (21.), Enzo Millot (62.) und El Bilal Touré (80.) schraubten das Ergebnis in eine erstaunliche Höhe. Für den BVB markiert dies das vierte Bundesliga-Auswärtsspiel in Serie ohne Sieg, das gab es für die Dortmunder zuletzt vor 13 Jahren.
Vor der Partie war gerätselt worden, wie laut wohl die Pfiffe gegen Anton ausfallen würden. Der Innenverteidiger war zusammen mit Serhou Guirassy im Sommer von Stuttgart nach Dortmund gewechselt, hatte im Gegensatz zum pragmatischen Guineer zuvor aber einige pathetische Treueschwüre zum Standort Stuttgart ausgegeben. Letzteres, nicht den Wechsel an sich, hatten die VfB-Fans als Heuchelei empfunden.
Am Sonntagnachmittag war Dortmunds neuer Mann mit der Rückennummer drei nach 86 Sekunden Spielzeit erstmals am Ball, und die Frage, wie tief der Stachel noch sitzen möge, war beantwortet: Anton wurde von vier Tribünenseiten so laut ausgepfiffen, dass Störgeräusche im Ohr auftraten, wie man sie sonst nur von lauten Clubkonzerten kennt. „Ich habe gewusst, was hier auf mich zukommt“, sagte Anton bei DAZN, „ich hoffe, dass es jetzt vorbei ist mit dieser Geschichte. Die Fans haben ja bekommen, was sie wollten.“ In der 17. Minute wurden in der Cannstatter Kurve zudem drei Banner mit weiteren Beleidigungen hochgehalten.
Zur Pause hatte der VfB zehn Torabschlüsse und hätte weitaus höher führen müssen
Anton selbst schien das derweil nicht aus dem Konzept zu bringen, er spielte weitgehend fehlerlos – im Gegensatz zum Innenverteidiger-Kollegen Niklas Süle, der vorm Stuttgarter Führungstreffer wegrutschte und so Undav ein frühes Tor ermöglichte. Der VfB, bei dem Chris Führich nach dem schwachen Spiel in Madrid bis zur 85. Minute auf der Bank saß, attackierte früh und ab der Mittellinie so unerbittlich, dass der Dortmunder Ballbesitzfußball höchstenfalls im Ansatz zu sehen war. Und da Dortmund zwar halbherzig angriff, deshalb aber kein bisschen konsequenter verteidigte, köpfte Demirovic unbedrängt das 2:0.
Zur Pause hatte der VfB, der trotz des schwachen Saisonstarts wieder vor dem BVB und Leipzig rangiert, zehn Torabschlüsse und hätte weitaus höher führen müssen gegen eine Mannschaft, die erst in der Nachspielzeit der ersten Hälfte zur ersten Chance durch Jamie Gittens kam. Zum zweiten Durchgang wechselte BVB-Trainer Nuri Sahin drei Mal, und tatsächlich spielte Dortmund nun weniger konfus, ohne jedoch Torgefahr zu entwickeln. Anders der VfB, der den Westfalen fünf Tage nach dem 1:3 bei Real Madrid demonstrierte, wie Ballbesitzfußball aussieht, wenn er kein Selbstzweck ist: Millot köpfelte nach einem Eckball des starken Maximilian Mittelstädt und der Ablage von Atakan Karazor das 3:0.
Dass Guirassy in der 75. Minute auf 1:3 verkürzte, blieb eine Randnotiz, zumal der Schütze höflich auf jede Art von Jubel verzichtete. Als El Bilal und Undav für den 5:1-Endstand sorgten, stand das ganze Stadion und klatschte – anstatt zu pfeifen.