Seit Louis van Gaal als Trainer des FC Bayern wirkt, hat er schon mehrfach bewiesen, dass es in seinem Fußballweltbild gewisse Koordinaten gibt, an denen er nicht rütteln will. Die Raute als Spielsystem, flache Schnellpassstafetten als spielphilosophischer Grundansatz oder Mark van Bommel als Kapitän gehören dazu.
Nach dem 1:1 (1:1) seiner Bayern bei der TSG Hoffenheim zeigte der Niederländer aber, dass er solche Koordinaten nicht nur für seine eigene Mannschaft formuliert - sondern auch für andere Dinge des Fußballgeschäfts.
Auf den deutschen Fußball dürfte die nächste Welle der Debatte um den Videobeweis zurollen, in der van Gaal eine ziemlich klare Position vertritt. Zu Unrecht hatte Schiedsrichter Babak Rafati einen Kopfballtreffer des Hoffenheimer Abwehrspielers Josip Simunic nicht anerkannt.
Eindeutig sprang ein Kopfball des Kroaten vom Innenpfosten hinter die Linie, ehe der an diesem Abend überzeugende Bayern-Torwart Michael Rensing den Ball wegboxte - doch Schiedsrichter und Schiedsrichterassistenten sahen das nicht.
Andere Trainer in van Gaals Situation hätten in der anschließenden Pressekonferenz schlicht auf die Tatsachenentscheidung des Unparteiischen verwiesen, der Niederländer aber schlug sich auf die Seite der benachteiligten Hoffenheimer und die Befürworter des Videobeweises. "Wenn das Tor zählt, läuft das Spiel ganz anders", sagte van Gaal. "Ich finde das so lächerlich, dass es so etwas in diesen modernen Zeiten noch gibt, dass wir in diesen modernen Zeiten die vorhandene Technik nicht nutzen."
Hoffenheims Ralf Rangnick wählte vergleichbare Worte. Nicht nur, weil es seine Mannschaft war, die benachteiligt wurde. Sondern auch, weil er in dieser Frage ein Überzeugungstäter wie van Gaal ist. Am kulantesten gegenüber der jetzigen Regelung zeigte sich noch der Tor- beziehungsweise Nichttorschütze Simunic selbst. So sei der Fußball nun mal, sagte er, und er hoffe, dass sich das im Laufe der Saison noch ausgleiche.
Doch ob der Fußball wirklich so sein muss, ob in einem Millionen teuren Geschäft solche vermeidbaren Fehler nicht getilgt werden sollten - diese Frage dürfte nun zum wiederholten Mal intensiv diskutiert werden.
Die beiden Trainer und Videobeweis-Befürworter jedenfalls glauben nicht an eine rasche Umsetzung. "Ich bin sicher, dass irgendwann der Videobeweis kommen wird", sagte Rangnick. "Aber ich bezweifle, ob wir beide das noch als Trainer erleben werden. In Deutschland braucht immer alles viel Zeit."
Wenn es schon keinen Disput in der Sache gab, so lieferten sich Rangnick und van Gaal wenigstens noch einen kleinen Wettstreit, wer denn früher für die Unterstützung des Schiedsrichters durch technische Maßnahmen plädiert habe - den der seit diesem Samstag 58-jährige van Gaal mit einem klaren Punktsieg gegen den 51-jährigen Rangnick für sich entschied.
Nachdem der Hoffenheimer Coach stolz erklärte hatte, schon vor "drei, vier Jahren" für den Videobeweis eingetreten zu sein, konterte van Gaal, er habe bereits 1988 als Vorsitzender der Trainervereinigung in Holland Versuche unternommen, mit Hilfe von moderner Technik Spiele zu leiten. "Und dann wurde das von Uefa und Fifa verboten, das sagt genug", schimpfte der Niederländer.
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So stand es also wegen der Technikfeindlichkeit von Fifa und Uefa nach zehn Minuten nicht 1:0 für Hoffenheim, sondern immer noch 0:0. Und in der Folge konnte man sehen, wie sich die Bayern nach einer schwachen Anfangsphase zurück ins Spiel kämpften. Wie sie durch Ivica Olic eigentlich unverdient in Führung gingen (25.). Wie den Hoffenheimern noch vor der Pause der Ausgleich durch Chinedu Obasi gelang. Wie die Gäste nach dem Seitenwechsel besser in die Partie fanden. Wie das Spiel letztlich mit einem gerechten Unentschieden endete.
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Und wie Bayern-Manager Uli Hoeneß von seinem neuen Tribünen-Blickwinkel aus wieder markige Worte sendete: "Wenn wir weiter solche Fortschritte machen, werden wir in der Bundesliga bald vorneweg marschieren."
Dabei konnte van Gaal mit der Leistung seiner Mannschaft nur streckenweise zufrieden sein. Bisweilen und vor allem in den ersten 20 Minuten lag ihr Auftritt so weit von seinen Wünschen entfernt wie die Haltung der Fifa zum Videobeweis von seinen Vorstellungen entfernt liegt. Viele leichte Ballverluste unterliefen den Münchnern, insgesamt war zu wenig Bewegung im Spiel.
Dass sich die Bayern nach einer schwachen Anfangsphase steigerten, lag auch an ihrem Kapitän Mark van Bommel. Der Niederländer wurde seinem Ruf als Aggressive Leader mal wieder vollends gerecht - sowohl in Bezug auf das aggressive sein als auch in Bezug auf das Leader sein. Dabei übertrieb er es manches Mal so sehr, dass er Glück hatte, von Rafati nicht vom Platz gestellt zu werden.
Moderne Zeiten
Doch ausgerechnet um Mark van Bommel müssen die Münchner nun bangen. Bei einem seiner vielen Fouls zog er sich eine Prellung am Mittelfuß zu; er wurde zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Ob und wenn ja wie lange er ausfällt, ist nach wie vor unklar - am Sonntagnachmittag begab sich van Bommel zu einer Untersuchung bei Vereinsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Als Ersatz stünde der Ukrainer Anatolij Timoschtschuk bereit, der bereits gegen Hoffenheim die letzten zehn Minuten für van Bommel auf dem Platz stand.
"Ich denke, die Mannschaft hat in der ersten halben Stunden vergessen, Fußball zu spielen", sagte van Gaal nach dem Spiel. "Aber nach der Pause haben wir uns verbessert und ich denke, dass wir am Ende hätten gewinnen müssen, weil Hoffenheim in den letzten 20 Minuten müde war." Und Philipp Lahm gestand selbstkritisch ein: "Wir haben einfach nicht gut nach vorne gespielt, hatten viele Fehlpässe. Deswegen können wir nicht zufrieden sein."
Moderne Zeiten muss also nicht der Weltfußballverband in Sachen Videobeweis schaffen - sondern auch noch der Bayern-Trainer Louis van Gaal selbst in Sachen Spielkultur seiner Mannschaft.