Fußball-Bundesliga:Trau keinem über 23

Jugend als Tugend: Noch nie zuvor spielten Talente im Meisterschaftskampf eine so maßgebliche Rolle wie in diesem Jahr. Ein Überblick zum neuen Jugendstil.

M. Kielbassa, C. Kneer und P. Selldorf

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bayern hoffenheim

Quelle: SZ

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Am Freitag startet die Bundesliga mit der Partie des FC Bayern gegen die TSG Hoffenheim (im Bild eine Szene aus dem Hinspiel) in die Rückrunde. Schon vor dem ersten Anpfiff lässt sich erahnen, dass dies eine Rückrunde wird, die sich liebgewonnenen Klischees verweigert. Bislang durfte Deutschland davon ausgehen, dass entweder die beste Abwehr, der beste Sturm, die besten Führungsspieler oder im Zweifel die besten deutschen Tugenden die Meisterschaft entscheiden. Ein Blick auf die Kader der Titelkandidaten zeigt, dass die Bundesliga in ihrer 47. Saison etwas völlig Neues erleben könnte: Diesmal könnte die Jugend den Ausschlag geben. Die Einführung der Jugendinternate in den Klubs und ein Mentalitätwandel in der Liga haben dazu geführt, dass die Generation Internat flächendeckend in der Ligaspitze angekommen ist. Die SZ prüft das Jugendpotential der Spitzenklubs und untersucht, welche Jugendlichen schon titelreif sind.

Foto: Getty Teaserfoto: Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Mats Hummels und Mesut Özil, die neuen "Nutella-Boys"

eren derdiyok

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Bayer Leverkusen

Leverkusens Fußballer wurden wütend, als ihr Trainer dem Publikum jede Woche aufs Neue erzählte, seine Elf sei ja noch jung und unerfahren und deshalb nur eingeschränkt belastbar. Es kränkte sie, dass ihnen Bruno Labbadia die Reife für höhere Ansprüche absprach. Aber sie hatten keine Argumente, die Resultate schienen dem Coach recht zu geben: Bayers Punkteertrag während der Rückrunde 2008/09 konkurrierte mit der Ausbeute der Absteiger Cottbus und Karlsruhe. Ein halbes Jahr später hat die Mannschaft nun ihre Gegendarstellung des Konflikts mit Labbadia vorgelegt. Ergänzt um weitere Nachwuchskräfte wie Derdiyok (im Bild vorne), Bender, Schwaab und Reinartz hat Bayer den ersten Platz erobert, und wenn Torwart René Adler jetzt öffentlich den Anspruch erhebt, die Spitzenstellung verteidigen zu wollen, dann wird ihn niemand des Größenwahns bezichtigen.

Stattdessen schwärmt Adlers Cheftrainer, dass er noch nie eine so ausgewogen zusammengestellte Elf trainiert habe wie jene in Leverkusen - und Jupp Heynckes hat bekanntlich bei einigen der vornehmsten Klubs auf dem Planeten Erde gearbeitet. Beim Werksklub sind sie nun verdammt stolz auf ihr jugendliches Antlitz, auf die Wirksamkeit ihres Spionagedienstes und ihre Trefferquote bei den Zukäufen. Hoffnung macht ihnen aber vor allem, dass sie ihr Jugendwerk den vermeintlichen Pensionären Jupp Heynckes (Trainer) und Sami Hyypiä (Abwehrchef) anvertraut haben.

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joel matip

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FC Schalke

Felix Magath kann mit Statistiken wenig anfangen, sie sind für ihn hohles Zahlenwerk. Es interessiert ihn nicht, ob sein Mittelfeldabräumer fünf oder zehn Kilometer gelaufen ist - solange er nicht im falschen Moment stehen bleibt. Dass seine Elf während der Vorrunde mit einem Alter von 24,23 Jahren im Durchschnitt die jüngste der Liga war, nimmt er mit undurchschaubarem Lächeln zur Kenntnis. Er hat darauf nicht dogmatisch hingewirkt, es hat sich so ergeben. Neulich hat er sich selbst "naiv" genannt, weil er im Spiel beim FC Bayern den 18-jährigen Anfänger Joel Matip ins zentrale Mittelfeld berufen hatte, einem unbestimmten Bauchgefühl gehorchend. Dass Matip ihm mit dem Treffer zum 1:1 dankte, gehört zu den vielen Seltsamkeiten in Magaths erfolgreichstem Trainerjahr.

Aber es war nicht nur ein Instinkt, der ihm empfahl, Unbekannte wie Moritz, Schmitz, Matip (im Bild links) und Zambrano in seine Stammbesetzung aufzunehmen. Es lag auch daran, dass er Freude daran fand, wie diese aus dem Nichts hervorgeholten Spieler um ihre Chance im Profifußball kämpften. Er nutzte ihre Unschuld und Unverdorbenheit, und die große Frage wird nun sein, wie es für sie weitergeht in der Rückrunde, da Magath den Kader auf Divisionsstärke aufgeblasen hat. Auch die meisten Winterzugänge tragen das Merkmal der Jugend, aber da es jetzt ernst wird, wird es für Matip & Co nun schwer werden, ihr angewandtes Praktikum in der Liga fortzusetzen.

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Holger Badstuber

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FC Bayern München

Eine Bewährungsbühne für junge deutsche Darsteller war das Münchner "Mia-san-mia"-Theater bisher nicht wirklich, böse Beobachter schrieben gar von einem "Scheiterhaufen". Weil der FC Bayern der Konkurrenz zwar immer wieder Hochbegabte vor der Nase weggkaufte, für die es dann aber keine stete Verwendung gab. Rau, Schlaudraff, Jansen, Podolski, Baumjohann - viele kamen voller Hoffnung. Und gingen zerknirscht. Eigene Talente wurden quer durchs Land verliehen, zuletzt: Kroos (Leverkusen), Niedermeier (Stuttgart), Hummels (Dortmund/verkauft). Kaum ein Trainer hatte den Mut, im Münchner Reizklima des unverzüglichen Erfolgsdrucks der Jugend zu vertrauen, erst der mit 97 Kilo Selbstbewusstein gesegnete Louis van Gaal wagte einen kleinen Kulturwandel.

So hat nun auch Joachim Löw zwei Zukunftsversprechen namens Müller und Badstuber (im Bild) - und der ewige Titelfavorit FC Bayern endlich auch einen präsentablen Jugendstil. Ü30-Bayern erhalten nur noch Einjahres-Verträge, der nächste Teenager aus der U23 wurde soeben zum Profi befördert: Verteidiger Diego Contento; getestet wurden ferner Angreifer Ekici und Linksfüßer Alaba, ein Österreicher mit nigerianisch-philippinischen Eltern. Bei weiteren Talenten mit Migrationshintergrund befürchtet die Liga bevorstehende Abwerbeversuche. In van Gaals Abwehr, raunt die Branche, würde U21-Europameister Jerome Boateng gut passen. Ins Mittelfeld U21-Europameister Sami Khedira. In die Offensive U21-Europameister Mesut Özil. Hamburg, Stuttgart und Bremen bibbern.

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Jerome Boateng

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Hamburger SV

Wer den Anteil der Jugend am HSV-Erfolg messen möchte, muss sich zunächst eine grundsätzliche Frage stellen: Wie jung ist jung? Fällt Marcell Jansen, 24, noch ins Jungressort, oder gilt er schon als Nachwuchsveteran? Tendenz: Zweiteres. Er ist - ebenso wie Piotr Trochowski, 25 - schon reich an Dienstjahren, was den HSV zur kleinen Ausnahme im Titelrennen macht. Zwar haben Jerome Boateng, 21 (im Bild), Dennis Aogo, 22, und Eljero Elia, 22, bereits prägende Rollen inne, aber insgesamt hört die Elf noch zu sehr auf das Kommando der Altmeister Frank Rost und David Jarolim. Beiden wird gerne "Ausstrahlung" attestiert, wobei noch endgültig zu klären wäre, ob die polarisierende Ader der Routiniers das Team beflügelt oder hemmt.

Grundsätzlich hat sich der HSV aber weiter seiner speziellen Jugendpolitik verschrieben: Ziel ist, talentierte 20-Jährige zu kaufen und sie als 23-jährige angehende Weltstars teuer weiterzuverkaufen; bei Elia und Boateng könnte der Deal klappen. Der HSV ist die am wenigsten jugendbewegte Elf im Titelkampf, aber sie hat noch einen Jungen in der Hinterhand: Wenn Zé Roberto, 35, nach seiner Verletzung so frisch weiterspielt wie vorher, ist er bald reif für die U21.

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Nuri Sahin

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Borussia Dortmund

Der Söldner gehört zum bezahlten Fußball, seit Generationen kommt kein Team ohne Saison- und Wanderarbeiter aus. Auch Dortmund beschäftigt Brasilianer, Argentinier, Ägypter, Polen. Allerdings macht sich eine neue Bodenständigkeit bemerkbar. Das hauseigene Internat liefert inzwischen Nachschub wie aus Serienproduktion: Götze, Großkreutz, Hornschuh, Sahin (im Bild mit Trainer Klopp) oder Schmelzer heißen die Jungs - und das Schöne ist, dass sie nicht nur Dekor sind und die ideologischen Kämpfe mit Schalke bereichern. Sondern zunehmend in den Mittelpunkt drängen. Dieser Betrieb bildet aus - und profitiert davon. Vor einigen Jahren griff die Borussia infolge ihrer monumentalen Finanzkrise notgedrungen auf junge Spieler aus dem eigenen Stall zurück, "wenn man sparen muss, ist das ein Faktor", gibt Sportchef Michael Zorc zu.

Inzwischen ist daraus ein Programm geworden: Entschlossen investiert man Geld und Vertrauen in den Nachwuchs. "Je fünf Millionen für unsere Innenverteidiger Subotic und Hummels, das kann man nicht sparen nennen", stellt Zorc nicht ohne Stolz fest. Wo üblicherweise Altgediente Routinearbeit verrichten, postiert Trainer Klopp lauter Junioren: Subotic und Hummels, beide 21, bilden hinten die eine Hälfte der zentralen Achse, die gleichaltrigen Sahin und Bender vor ihnen die andere. "Jugend schützt vor Leistung nicht", findet Zorc und hält das nicht nur für ein lustiges Bonmot.

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Mesut Özil

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Werder Bremen

Von Thomas Schaafs Leidenschaften ist nicht viel bekannt, außer natürlich der Leidenschaft für Kapuzenpullis, Mittelfeldrauten und jene Art von Willi-Lemke-Schnauzbärten, die offenbar nur in Bremen wachsen: nachweislich vorhanden, aber so dünn, dass sie fast wieder unsichtbar sind. Seit dieser Woche sind auch Schaafs angeblichen Feindbilder überliefert: "Schaaf mag keine Bolivianer!", ätzte Mauro Martins, Vater des Werder-Ersatzstürmers Marcelo Moreno. Was Schaaf von Chilenen, Mongolen oder Fidschi-Insulanern hält, ist nicht überliefert, fest steht nur, dass diese Unterstellung natürlich Quatsch ist.

Moreno passt eigentlich genau ins Bremer Beuteschema: Er ist 22 - und damit in einem Alter, das ihn theoretisch zum idealen Bremer Achsenspieler befähigen würde. Es ist bemerkenswert, wie radikal die Bremer inzwischen ihr Kreativzentrum den Jungspunden Mesut Özil, 21, Marko Marin, 20, und Aaron Hunt, 23, anvertrauen. Und bis zu seiner Verletzung war ein weiteres Viertel in Schaafs geliebter Raute für Eigengewächs Philipp Bargfrede, 20, reserviert. An der Stabilität der Jugendachse im Titelkampf bestehen aber leichte Zweifel: Hunt (Vertrag läuft aus) und Özil (bis 2011, im Bild) werden derart militant umworben, dass diese Debatte selbst das unerschütterliche Bremen erschüttern könnte. Am Ende hängt wohl doch wieder alles davon ab, ob der gute, alte Pizarro, 31, trifft. Immerhin: Ihn entdeckten die Bremer, als er 20 war.

Foto: AP

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