Fußball-Bundesliga:Trainersuche mit Algorithmus

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Gute Miene zur grauen Tabelle: Gladbachs Sportdirektor Roland Virkus (links) und Trainer Daniel Farke. (Foto: Revierfoto/Imago)

Borussia Mönchengladbach greift als erster deutscher Profiklub bei der Besetzung des Chefcoaches auf ein technisches Hilfsmittel zurück. In die Wertung kommen dabei nicht nur sportliche Kriterien.

Von Christoph Leischwitz, Mönchengladbach

Der Kabinengang von Borussia Mönchengladbach ist in grünes Licht getaucht, und er ist sehr lang, rund 50 Meter. Rechts an der Wand hängen, gerahmt und hinter Glas, Trikots ehemaliger Gladbacher Jugendspieler, die es in die Bundesliga geschafft haben: Marcell Jansen, Marko Marin, Patrick Herrmann, Marc-Andre ter Stegen. Gegenüber öffnen sich die Türen zu den Kabinen der Jugendmannschaften, und die Botschaft ist klar: Auch dein Bild könnte hier eines Tages hängen! Hauseigene Talente durchzubringen, das ist ja auch der Plan der Borussia. Und ganz am Ende des Ganges gäbe es noch ein bisschen freien Platz.

"Ziel war immer, gute Jugendliche zu integrieren", sagt Gladbachs Sportdirektor Roland Virkus, "wir haben gar keine andere Wahl!" Das sei aus finanziellen Gründen so, vor allem aber zähle für den Klub der Faktor Identifikation. Und: Ein Trainer, der das nicht verstehe, sei in Mönchengladbach fehl am Platz. Es geht also darum, den Trikots an der Wand einen Sinn zu geben und das fortzuführen, wofür ein Verein steht.

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Die Auswahl eines passenden Trainers spielt bei so einem Ansatz eine zentrale Rolle. Wie sehr es einem Chefcoach im Einzelfall gelingen mag, einen Klub erfolgreich zu repräsentieren, ist zum großen Teil subjektives Empfinden. Was aber, wenn man dafür als Verein objektive Kriterien anlegen kann, um das Bauchgefühl abzusichern? Würden Vereine dann zu solchen Methoden greifen?

Bislang eher noch nicht. Zumindest ist Borussia Mönchengladbach der erste deutsche Profiklub, der einen Algorithmus verwendet hat, um die sogenannte Passung seines künftigen Trainers zu messen. Wobei es den Gladbachern wichtig ist zu betonen, dass man die Auswahl zunächst im ganz klassischen Stil vollzogen habe: eine Liste gemacht, persönliche Gespräche geführt, das Übliche. Der Algorithmus war "ein zusätzliches Hilfsmittel, das eine bereits getroffene Entscheidung verstärkt hat", erklärt Virkus, 56, der im Vorjahr eine Lösung finden musste, nachdem der Trainer Lucien Favre seine geplante Rückkehr nach Mönchengladbach kurzfristig abgesagt hatte.

Es geht auch um die Frage, ob bei der Trainerauswahl nicht zu oft persönliche Beziehungen eine Rolle spielen

Der Erfinder des Algorithmus bestätigt, dass die Passung zwischen Mönchengladbach und Daniel Farke, der stattdessen zu Saisonbeginn zur Borussia kam, ziemlich hoch gewesen sei. Der Erfinder heißt Philipp Kaß, der 38-Jährige ist Professor für Sportmanagement und lehrt an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning bei München. Seine Doktorarbeit lautete: "Die Trainertätigkeit im Profifußball - eine multimethodale Anforderungsanalyse zur Optimierung des Fußball-Lehrer- Lehrgangs." Auf der Basis von 280 Absolventen dieses DFB-Lehrgangs (neuer Name: "Pro-Lizenz") rechnete er mal nach, wer denn im Trainerjob erfolgreicher ist: ehemalige Profis - oder Akademiker ohne nennenswerten Profi-Hintergrund. Es waren Letztere, in jeder der drei deutschen Profiligen hatten sie einen signifikant besseren Punkteschnitt vorzuweisen.

Kaß geht es um die Frage, ob im deutschen Trainersystem nicht viel zu oft auf persönliche Beziehungen und Seilschaften zurückgegriffen wird. Irgendwann kam er auf die Idee, Erkenntnisse aus der Management-Forschung auf der Spielwiese Profifußball anzuwenden, auch wenn dort eigene Regeln gelten. "Die Trainer-Fluktuation hat mich Jahr für Jahr mehr gestört", sagt Kaß, der selbst schon als Jugendcoach arbeitete und zurzeit nebenberuflich als strategischer Berater von Fortuna Köln tätig ist. Über eine Spanne von zehn Jahren seien in den obersten drei Ligen pro Jahr rund 75 Prozent aller Trainer entlassen oder anderweitig ausgetauscht worden. Erst am vergangenen Montag wurden in der dritten Liga drei Trainer an einem einzigen Tag beurlaubt.

"Ich habe mich gefragt", erzählt Kaß, "wie die Klubs ihre Trainer eigentlich auswählen, wenn ich schon auf der Basis des gesunden Menschenverstands sehen kann, dass das nicht funktioniert." Und so kann nun paradoxerweise ein Computerprogramm dabei helfen, das Funktionieren zwischenmenschlicher Beziehungen zwischen Trainer und Verein ein klein wenig besser vorzubestimmen.

Mehr als 92 Prozent: Zwischen dem SC Freiburg und seinem Trainer Christian Streich herrscht die höchste Passung in der Bundesliga. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Der von Kaß entwickelte Algorithmus ist keine Raketenwissenschaft, er besticht durch seine Einfachheit, die meisten Variablen sind für jeden klar ersichtlich. Dinge wie die taktische Herangehensweise, Ballbesitz- oder Umschaltfußball gehören natürlich dazu. Aber auch der Bildungsstand eines Trainers im Vergleich zu jenem im aktuellen Spielerkader - oder der Umgang mit Drucksituationen. Für letzteren Punkt hatte das Team von Kaß zum Beispiel Pressekonferenzen von Daniel Farke bei Norwich City analysiert, als der Trainer mit dem englischen Klub einst im Abstiegskampf steckte.

Nimmt man solche Details mit auf, kann zum Beispiel auch der Dialekt eines Trainers eine kleine Rolle spielen. Auf diese Weise ließe sich womöglich die Frage besser beantworten, ob beispielsweise der Oberpfälzer Michael Köllner, soeben bei 1860 München entlassen, zu einem Verein an der Waterkant passt oder nicht. Selbst Äußerlichkeiten können in die Analysen mit einfließen, etwa, ob ein Trainer eher dick oder eher dünn ist - sofern das an einem Standort eine Rolle spielt. Steffen Baumgart vom 1. FC Köln sei zwar kein Bodybuilder-Typ, sagt Kaß, "aber in einer liberalen Stadt wie Köln ist die Hauptsache, dass jemand authentisch ist". Deswegen sei in Baumgarts Fall ein Bäuchlein kein Ausschlusskriterium, sondern eher hilfreich für ein "Der-gehört-zu-uns-Gefühl" der Fans.

Wenig überraschend: Die höchste Passung ergibt sich bei Christian Streich und dem SC Freiburg

Wenig überraschend hat Kaß die höchste Passung in der Bundesliga zwischen Christian Streich und dem SC Freiburg festgestellt: mehr als 92 Prozent. Einer der niedrigsten von ihm jemals gemessenen Werte waren unter 50 Prozent für den Schweizer Christian Gross bei dessen freudlosem Intermezzo als Schalke-04-Coach. Ein Nachteil des Algorithmus ist allerdings, dass für junge Trainer zu Beginn ihrer Laufbahn wenig Datenmaterial vorliegt.

Der Gladbacher Sportchef Virkus sagt, er sei "überzeugt", dass es auf Bundesliga-Niveau "keine schlechten und guten Trainer" gebe. Er sagt: "Es gibt Passungen. Je größer die Passung, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es langfristig funktioniert." Wichtig sei: "Es geht hier nicht ausschließlich um den sportlichen Erfolg, das hängt nochmal von anderen Faktoren ab. Es geht darum, Fluktuationen zu verringern." Ein Verein kann sich mit Weitsicht also eine Menge Geld sparen.

Allein deshalb ist es verwunderlich, dass bei der Auswahl eines exponiert wichtigen Mitarbeiters oft nicht umfangreicher recherchiert wird. Der Algorithmus kann dabei eine nette Spielerei sein, er könnte aber auch dazu beitragen, dass manche Funktionäre zumindest ein paar Minuten länger über eine so weitreichende Entscheidung nachdenken.

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