Für einen kurzen Moment musste der HSV-Verteidiger Jerome Boateng, 21, am Sonntag auf die Idee kommen, Hertha BSC sei so ein skurriler Verein wie zum Beispiel Rapid Wien oder der VfL Osnabrück. Gegen Vertreter dieses Kalibers hatte der Tabellenführer der Bundesliga zuletzt nicht so gut ausgesehen, in Wien verlor er 0:3 in der Europa League, in Osnabrück verlor er im Pokal im Elfmeterschießen. Ein Umstand, der Boateng irritierte, war dies doch der gleiche HSV, der kurz darauf die Bayern 1:0 bezwang. Die Bandbreite dieser Resultate hatte Zweifel geweckt an der Titeleignung des ambitionierten Klubs.
Und nun? War Boateng in die Stadt zurückgekehrt, in der er ausgebildet wurde, zum Spiel des Ersten, Hamburg, gegen den Letzten, Berlin. Und erlebte diese 9. Minute, in der Berlins Kapitän Arne Friedrich eine Ecke zum 1:0 einköpfte - und losrannte.
Friedrich hatte zuletzt gelitten unter der Unterstellung, er habe durch kalkulierte Arbeitsverweigerung den Trainer Lucien Favre vertrieben, nun rannte Friedrich also, am neuen Chef Friedhelm Funkel vorbei, bis hinüber in den Berliner Fanblock. Eine Szene, die alles auf einmal symbolisieren sollte: Versöhnung, Einheit, Neuanfang.
Aber es dauerte dann keine Viertelstunde, bis Jerome Boateng Gewissheit hatte, dass man Hertha BSC nicht vergleichen kann mit jenen skurrilen Vereinen, die es wagen, den HSV zu besiegen. Der Hauptstadtklub gibt sich - auf bemitleidenswerte Weise - noch viel skurriler.
Es bedurfte nämlich keiner spielerischen, kämpferischen oder sonst wie gearteten Glanzleistung der Hamburger, um mit 20 Punkten in der Tabelle auf Leverkusen aufzurücken. Auch unter Funkel schlägt sich die Hertha im Zweifel selbst.
Los ging es mit einem Blackout des Verteidigers Kakà, der einen langen Ball von Boateng ohne Not ins eigene Tor beförderte (24.). Aber wer das schon für Slapstick hielt, der hält Oliver Pocher auch für Charlie Chaplin.
Denn es kam noch toller: Der für den verletzten Timo Ochs eingewechselte Torwart Sascha Burchert wollte einen langen Ball per Kopf klären - Jarolim traf per Lupfer aus 25 Metern zum 1:2 (38.). Und weil Komik bekanntlich von der Wiederholung lebt, stürmte Burchert auch beim nächsten hohen Ball aus dem Strafraum, köpfte bis zur Mittellinie - aber von dort lupfte Zé Roberto den Ball zum 1:3 ins Netz. Der HSV lachte (nicht nur) über drei Punkte. Hertha wirkt derzeit wie jemand, der beim Versuch, eine Torte zu schmeißen, auf einer Bananenschale ausrutscht.