Süddeutsche Zeitung

Fußball-Bundesliga: Noten:"Vielleicht reicht auch mal eine Fünf"

Seit dem Enke-Tod beginnt in Sportredaktionen ein Nachdenken über die Vergabe von Spielernoten: Selbst Bild will sensibler werden.

J. Aumüller

Am Montag kehrte für die Leser der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) die Normalität zurück. Im Sportteil fanden sie bei den Berichten über den Fußball-Bundesligisten Hannover 96 auch wieder eines der beliebtesten Elemente der Zeitung: die Noten und Einzelkritiken der Kicker.

In den beiden Wochen zuvor hatten HAZ-Leser vergeblich nach Zensuren gesucht. Nach dem Tod von Hannovers Torwart Robert Enke hatte die Zeitung beschlossen, zeitweise auf die Notenvergabe zu verzichten. "Es wäre gegenüber den Spielern unangemessen gewesen, in einem Spiel, in dem sie emotional noch mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind, die Leistung mit einer Note abzubilden", sagt Sportchef Heiko Rehberg: "Man muss akzeptieren, dass ein Spieler in so einem Moment im Kopf nicht ganz frei ist."

Spielernoten und Einzelkritiken verleihen der Sportberichterstattung eine besondere Würze. Bild benotet von 1 bis 6, und auch der Kicker hält es mit Schulnoten - allerdings mit Zwischennoten wie 3,5. Bei besonderen Partien gibt es zusätzlich jeweils einen kurzen Text. Die HAZ fertigt zu jedem Spiel von Hannover 96 sowohl Zensuren als auch eine ausformulierte Beurteilung an. Süddeutsche Zeitung und sueddeutsche.de verzichten auf eine konkrete Benotung, verfassen aber in unregelmäßigen Abständen zu Spielen der Bundesliga, der Champions League und der Nationalelf Einzelkritiken.

Aber egal, welches Modell gewählt wird: Die Spielerbeurteilung zählt zu den attraktiven und polarisierenden journalistischen Formen, sowohl bei Spielern als auch bei Fans. Nach dem Tod von Robert Enke hat die Fußballbranche begonnen, neu über einige Themen nachzudenken, zum Beispiel über den Umgang mit Tabus oder die Frage nach dem öffentlichen Druck auf einen Profispieler - oder die Spielernoten.

Viele Fußballfans haben sich dazu in Leserbriefen und Kommentaren geäußert. Das reichte vom Vorschlag, auf Noten gänzlich zu verzichten, bis hin zur Idee, nicht einen einzelnen Akteur, sondern einen Mannschaftsteil geschlossen zu beurteilen. Es gab auch welche, die alles beim Alten lassen wollten.

Die HAZ-Sportredaktion entschied, ab der Partie gegen Leverkusen am vergangenen Wochenende wieder so zu handeln wir vor dem Tod des Torwarts Enke. "Die Spieler wissen, dass sie keinen Hobbysport betreiben, sondern Leistungssport und dass man sich dafür auch messen lassen muss", sagt Sportchef Rehberg. Noten hätten einen Unterhaltungswert für den Leser, vorausgesetzt, sie seien fachlich ordentlich und fair gemacht. "Wir haben die Weisheit nicht gepachtet und Noten sind immer subjektiv", sagt der Journalist.

Auf der nächsten Seite: Welcher Spieler bei der HAZ besonderen Schutz genießt und warum die Bild-Zeitung keine Zwischennoten gibt.

Die Mehrheit der Leser sah es genauso. Zudem diskutierte die Redaktion mit Hannovers Trainer Andreas Bergmann und mehreren 96-Spielern. Auch die Aktiven waren der Meinung, dass eine Benotung zum Geschäft gehöre. Künftig allerdings wollen die Redakteure in Hannover bei der Bewertung etwas zurückhaltender sein: "Ich glaube, wir benoten momentan erst mal freundlicher, vor allem bei Florian Fromlowitz [Robert Enkes Nachfolger im Tor, die Red.]. Der ist nun wirklich in einer schweren Situation. Da kann man es bei einer Vier belassen, wo man sonst eine Fünf gegeben hätte", erklärt Rehberg.

Auch bei anderen Medien hat die Debatte um die Noten zugenommen. Beim Fußball-Fachblatt Kicker vor allem beim ersten Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft nach dem Tod Enkes. Vor der Partie gegen die Elfenbeinküste hatte sich die Redaktion entschieden, zunächst einmal den Spielverlauf abzuwarten. "Wir haben uns mit dem Blick auf die ehemaligen Mitspieler von Enke gefragt, ob es angebracht ist, dieses Spiel mit normalen Maßstäben zu messen. Aber als sich nach zehn Minuten abzeichnete, dass es ein ganz normales Fußballspiel werden würde, haben wir entschieden, die Spieler zu benoten und eine Einzelkritik zu schreiben", sagt Klaus Smentek, stellvertretender Chefredakteur des Blattes.

Eine grundsätzliche Abschaffung von Noten stand in der Kicker-Redaktion nicht zur Diskussion. "Nachdem das Spiel gegen die Elfenbeinküste vorbei war und langsam der Alltag einkehrte, sind wir wieder zu der normalen Benotung zurückgekehrt. Es ist nicht so, dass wir nach der Tragödie um Robert Enke sagen würde, wir müssten softer mit den Spielern umgehen", sagt Smentek. Sein Blatt gehört ohnehin zu den Medien, die eher selten eine sehr gute oder eine sehr schlechte Note vergeben.

Ein Aussetzen der Noten für die Hannover-Spieler oder eine Einführung von Zwischennoten steht für die Bild nicht zur Diskussion. "Bild steht für das klare Wort, für die klare Aussage. Man muss auch Farbe bekennen, natürlich mit dem Risiko, falsch zu liegen. Zwischennoten zu geben, bedeutet auch ein bisschen, sich zu drücken", sagt der stellvertretende Sportressortleiter Walter M. Straten.

Aber auch das Boulevardblatt ist nach dem Enke-Tod nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen. Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: "Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein", sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, "ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht".

Eine Fußballwelt gänzlich ohne Noten und Einzelkritiken hingegen wird es wohl nicht geben. Warum auch, so das Argument aller Beteiligten, sollte man in einer Gesellschaft, in der von den Schulnoten für die Drittklässler bis zu den Arbeitszeugnissen alles beurteilt wird, ausgerechnet bei Fußballprofis eine Ausnahme machen?

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