Diskussion im Profifußball:Schreckgespenst Geisterspiele

Mönchengladbach, Germany, Borussiapark, 11.03.2020: Fans with ghost costume Geisterspiel wir wollen rein prior the Bund

Am 11. März 2020 war die Begegnung zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln das erste Geisterspiel der Bundesliga-Geschichte. Am vergangenen Sonntag verfolgten die Partie in Köln-Müngersdorf 50 000 Zuschauer - ausverkauft.

(Foto: Mika Volkmann /imago)

Das ausverkaufte Derby zwischen Köln und Gladbach ist zum Politikum geworden. Die einen beklagen die Ignoranz des Fußballs, die anderen populistische Parolen.

Von Philipp Selldorf

Unter gewöhnlichen Umständen würden es die Kölner wohl als Kompliment auffassen, wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung - stellvertretend für Kommentatoren überall im Land - über ihre Stadt befände, sie sei "eine Hochburg der Unvernünftigen". Aber die Zeiten sind leider nicht gewöhnlich, und deshalb äußerte sich zu Wochenbeginn ein hoher Vertreter der Stadt ausdrücklich kritisch zum ansonsten stets gefeierten Frohsinn der Landsleute. 50 000 singende und schunkelnde Zuschauer im Müngersdorfer Stadion beim Derby gegen Mönchengladbach, inmitten einer "verstörenden Veranstaltung" (FAZ), das stimme ihn rückblickend "zunehmend unglücklich", erklärte der örtliche Gesundheitsdezernent Harald Rau im ZDF.

Vorübergehend hatten die Stadtverwalter erwogen, ob den schlechten Gefühlen, die ihnen die Kritik am vollen Stadion bescherte, vielleicht mit einem Bußgeld beizukommen wäre. In Rede stand eine Strafe gegen den 1. FC Köln - für das Versäumnis, die überall im Stadion geltende Maskenpflicht nicht durchgesetzt zu haben. Davon sah man dann aber lieber ab: Erstens weil der FC anerkanntermaßen alles Zumutbare unternommen hatte, um die Order umzusetzen. Zweitens weil aufgefallen wäre, dass die Stadt selbst Versäumnisse begangen hatte: Am Donnerstag voriger Woche hatte sie dem Klub die Stadionauslastung erlaubt, das Maskengebot erließ sie aber erst wenige Stunden vor dem Spiel - obwohl auf einigen Einkaufsstraßen und auf den Weihnachtsmärkten bereits seit Tagen Vermummung angeordnet ist.

"Wir sind kein Hotspot unter freiem Himmel", sagt FC-Geschäftsführer Wehrle

Die vollen Tribünen von Müngersdorf haben den Fußball wieder mal in Erklärungsnot gebracht, sie wurden als Sinnbild der Ignoranz in der pandemischen Krise gedeutet und in der laufenden Debatte über den Umgang mit Veranstaltungen zum Sündenfall stilisiert. Alexander Wehrle ist die Wirkung der Bilder bewusst, dennoch hat der Geschäftsführer des 1. FC Köln kein schlechtes Gewissen. Nein, sagt er, er bereue nichts: "Wir hatten eine klare Genehmigungslage. Ich würde es dann bereuen, wenn wir einen Hotspot geschaffen hätten. Aber mit der 2-G-Regelung, den Time-Slots beim Eintritt und der Maskenpflicht, die mindestens von der Hälfte der Besucher eingehalten wurde, ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering."

Wehrle verweist auch auf das Ergebnis einer Umfrage der Deutschen Fußball Liga (DFL) unter den 36 Profivereinen. Demnach seien unter den 3,7 Millionen Besuchern seit Saisonbeginn lediglich zehn Ansteckungen in Stadien durch positive Tests von den Gesundheitsbehörden erfasst worden, 72 Nachverfolgungen hätten keine weiteren Infektionen ergeben. Dass eine Erhebung keine Grundlagenstudie darstellt, ist Wehrle bewusst, aber er fühlt sich zumindest in seiner Überzeugung bestätigt: "Wir" - der Profifußball - "sind kein Hotspot unter freiem Himmel. Es gibt dafür klare Referenzpunkte. Bevor die Politik jetzt über Geisterspiele und massive Reduzierungen nachdenkt, soll doch bitte über Zwischenschritte diskutiert werden." Wenn erforderlich, werde der Klub "2 G plus und die Maskenpflicht in die Stadionordnung aufnehmen und dann auch durchsetzen".

Dass der Fußball Zielscheibe von Polemik und demonstrativen Restriktionen ist, sorgt nicht nur in Köln für Ärger

Auf die entsprechenden Beschlüsse der politischen Instanzen musste die Branche am Mittwoch noch warten. In Bayern ist der Erlass zu Geisterspielen bereits erfolgt, dass es auch in anderen Landesteilen mindestens Beschränkungen geben wird, steht ebenfalls fest. Borussia Dortmund hat deshalb die 67 000 Karten, die für das Spiel gegen den FC Bayern am Samstag bereits verkauft wurden, storniert. Sollte das Stadion zumindest zu einem Drittel besetzt werden dürfen, wird die Ticketverteilung neu organisiert.

Dass der Fußball wieder eine Zielscheibe von Polemik und demonstrativen Restriktionen ist, das sorgt aber nicht nur in Köln für Ärger. "Geisterspiele finde ich nicht verhältnismäßig", sagte der Geschäftsführer des FC Augsburg, Michael Ströll, auf SZ-Anfrage: "Wir sind überzeugt, dass es einen Weg zwischen ausverkauftem Stadion und Geisterspielen gibt, denn Zuschauer im Freiluftstadion und Infektionsschutz schließen sich nicht grundsätzlich aus, auch nicht bei den aktuellen Infektionszahlen." Ströll beklagt "populistische Parolen" der Politiker und fürchtet negative Konsequenzen: "Es ist für viele nicht mehr nachvollziehbar, dass bestimmte Bereiche des Lebens das Fehlverhalten von politischen Verantwortungsträgern jetzt ausbaden sollen."

Der 1. FC Köln war der erste Verein im Fußball-Land, der die 2-G-Regelung - Einlass nur für Geimpfte und Genesene - zur Maßgabe erhoben hatte. Als Wehrle im August das neue strenge Verfahren vorstellte, wagte er sich an ein Politikum, es gab dafür viel Beifall, aber auch viel Kritik, von der drohenden Spaltung der Gesellschaft war die Rede. Nun spekuliert Wehrle nicht zu Unrecht, dass eine frühzeitige flächendeckende Einführung des Prinzips 2 G - so wie beim FC und im Kölner Karneval - dem Land gewiss gutgetan hätte: "Köln hat eine der höchsten Impfquoten in Deutschland, und die Kölner haben sich auch deswegen impfen lassen, weil sie zum Karneval und zum FC gehen wollten."

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