Fußball-Bundesliga:Hannover plant den Millionen-Angriff

Bundesliga, Hannover 96, Tayfun Korkut, Fußball

Weist er 96 den Weg Richtung Europa? Trainer Tayfun Korkut

(Foto: dpa)

Ein üppiges Budget für neue Spieler, ein talentierter Trainer, das internationale Geschäft im Blick: Hannover 96 will eine der spannendsten Erscheinungen der neuen Bundesliga-Spielzeit werden.

Von Carsten Eberts, Hannover

Steven Cherundolo hat sich ein Abschiedsspiel organisiert. Weggefährten aus 15 Profijahren werden am Sonntag nach Hannover kommen und gegeneinander kicken, Jan Simak ist dabei, Thomas Brdaric, auch Altin Lala hat zugesagt. Babak Rafati wird das Spiel leiten, er hatte seine Schiedsrichter-Karriere wegen Depressionen im November 2011 beendet und gibt nun ein kurzes Comeback. Die Spielzeit beträgt zweimal 20 Minuten, aus gutem Grund, auch bei den Trikotgrößen gab es Probleme: "Einige Spieler haben zugelegt", sagt Cherundolo, dann grinst er.

Cherundolo, 35, hat derart lange für Hannover gespielt, dass sich manch einer nicht vorstellen kann, wie es ist, ein 96-Spiel zu besuchen, bei dem Cherundolo nicht auf dem Platz steht. Viel Wehmut wird mitschwingen, wenn der Rekordspieler der Niedersachsen (370 Ligaspiele) endgültig geht. Hannover hat in der Sommerpause einige Spieler verabschiedet, der Weggang von Cherundolo fällt dem Klub wohl am schwersten, zumindest was das Betriebsklima angeht.

Andere Weggänge mindern vor allem die sportliche Qualität der Mannschaft. Die Stürmer Mame Diouf (Stoke City) und Didier Ya Konan (Saudi Arabien) haben sich verabschiedet. Auch Feinfuß Szabolcs Huszti ist weg, den einst besten Techniker des Teams zieht es in die chinesische Liga zu CC Yatai. Das mutet kurios an, doch das Gehalt spiele in Hustzis Leben eine "übergeordnete Rolle", hat Präsident Martin Kind zum Abschied gesagt. Da auch Artjoms Rudnevs zum Hamburger SV zurückkehrt, hat 96 binnen weniger Wochen große Teile seiner Offensivabteilung verloren.

Wer so viele Weggänge zu verzeichnen hat, muss sich neu ausrichten. Und da beginnt die Geschichte, die darin enden soll, dass Hannover 96, sonst eher ein graues Bundesliga-Mitglied, eine der spannendsten Erscheinungen der neuen Spielzeit wird.

Der Klub hat Geld in die Hand genommen, viel Geld für hannoversche Verhältnisse. Von einem 20-Millionen-Budget für Transfergeschäfte war anfangs die Rede, realisiert durch eine Kapitalerhöhung von zwei neuen Gesellschaftern vor zwei Jahren. Weit über zehn Millionen hat 96 in diesem Sommer bislang für neue Spieler ausgegeben. Ein Offensivmann soll noch kommen, mindestens.

Neu im Kader ist Stürmer Joselu, den Sportchef Dirk Dufner für fünf Millionen Euro aus Hoffenheim holte. Ähnlich teuer war der ehemalige Nürnberger Hiroshi Kiyotake (4,3 Millionen Euro), etwas günstiger der schwedisch-finnisch-chilenische Außenverteidiger Miiko Albornoz (1,5 Millionen Euro). Hinzu kommt Ceyhun Gülselam von Galatasaray Istanbul - jedoch ablösefrei. Insgesamt acht Neue, einige Jugendspieler, dazu ein paar Rückkehrer - 96 hat fast eine komplette Mannschaft neu eingestellt.

"Mit Blick auf Rang sechs"

Hannover will wieder angreifen. Das dürfe so auch kommuniziert werden, sagt Präsident Kind. Nach zwei erfolglosen Jahren müsse der Klub seine Ziele offensiver formulieren, findet der 70-Jährige. Manch Angestellter im Klub sieht das etwas anders. Sportchef Dufner erklärt, er wolle nicht über Europa reden - das sei Hannover zuletzt schlecht bekommen. Bei Kind klingt das anders. Er spricht von einem einstelligen Tabellenplatz, "mit Blick auf Rang sechs". Rang sechs berechtigt zur Teilnahme an der Europa League.

Tabellenplatz zehn aus der Vorsaison wäre nach diesem Umbau eine Enttäuschung, findet Kind. Obwohl so mancher Umbau in der Vergangenheit nicht gerade glücklich verlief in Hannover. Trotzdem muss sich auch Trainer Tayfun Korkut an jener Mannschaft messen lassen, die er nun auf den Platz schickt. Zum Jahreswechsel hatte er das Team seines Vorgängers Mirko Slomka übernommen, mit allen Unwuchten. Vieles, was Korkut bei seiner Amtsübernahme vorgefunden hatte, passte ihm nicht. So ist es durchaus als Kritik zu verstehen, wenn Korkut sagt, er wolle keine Mannschaft mehr sehen, "die von einem Moment im Spiel lebt".

Unter Slomka war Hannover eine Kontermannschaft, zehn Sekunden vom Ballgewinn bis zum Torschuss, so die Theorie. Slomkas Idee war anfangs erfolgreich, doch sie nutzte sich ab. "Wir müssen es schaffen, dass wir nicht ausrechenbar, nicht greifbar für den Gegner sind", sagt Korkut nach vollzogenem Umbau. Blitzschnelles Umschalten bei Ballbesitz, das sei die große Kunst.

Korkut bremst sich selbst

Korkut, 40, gilt als sehr talentierter Trainer, der vor Ideen sprudelt - und sich manchmal zügeln muss: "Wir haben zu viele Neue dabei, die erst unsere Idee reinbekommen müssen, bevor wir den nächsten Schritt machen", sagt er. Er würde gerne mehr verändern, doch er darf seine runderneuerte Mannschaft nicht überfordern.

Die ersten Testspiele waren jedenfalls recht erfolgreich, kürzlich gewann Hannover 2:0 gegen Werder Bremen. Auch zeichnet sich ab, auf wen Korkut besonders setzt. Von Gülselam als klassischem Sechser erwartet er jene Ruhe im Mittelfeld, die das Team in der vergangenen Saison oft vermissen ließ. Vorne bekommt Joselu viel Spielzeit, wenn er nicht gerade mit Rot vom Platz fliegt, wie beim Test gegen Roter Stern Belgrad.

Neben Cherundolos Spaßkick steht am Sonntag noch das Testspiel gegen Lazio Rom an. Korkut verspricht, er werde Cherundolo gegen die Italiener einsetzen, wenn auch nur zwei, drei Minuten - hinten rechts, als Abschiedsgeschenk. Danach steht jenes Team auf dem Platz, das Hannover zurück nach Europa führen soll.

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