Fußball-Bundesliga:Fröhliches Durcheinander

Die Bundesliga-Saison ist aufregend und macht Spaß. Ihr dramaturgischer Trick besteht darin, sich allen Erwartungen stur zu entziehen.

Philipp Selldorf

Worauf die negative Entwicklung beruht, ist nicht zu erklären, die Wirtschaftskrise trägt jedenfalls keine Schuld. Es bleibt bloß die Zahl, die den dramatischen Einbruch anzeigt. Historisch gesehen, ist die Bundesliga auf einem Tiefstand angelangt, weniger Platzverweise als in der laufenden Saison hat es seit 1991, seit Einführung der gelb-roten Karte, nicht gegeben. Nur 38 Mal wurden Spieler "vorzeitig zum Duschen geschickt", wie es in der Fachsprache heißt. Während der vergangenen Saison gab es noch 62 Suspendierungen.

Meistens freut sich der Zuschauer, wenn ein Spieler vom Platz fliegt. Moralisch mag das fragwürdig sein, aber wen kümmert die Moral? Hauptsache, es passiert etwas Aufregendes. Dennoch fällt wohl niemandem ein, den Rückgang der Platzverweise zu beklagen: Die Saison ist aufregend genug. Ihr dramaturgischer Trick besteht darin, sich allen Erwartungen stur zu entziehen.

Am Wochenende etwa entstand die Ansicht, dass zwei wesentliche Entscheidungen gefallen seien. Man soll meinen, dass der FC Bayern Meister wird und Hertha BSC absteigt, doch darauf wird niemand mehr reinfallen. Hertha ist mindestens 23 Mal für tot erklärt worden, und jedes Mal ist der Patient umgehend wieder aufgestanden. Mit Recht ist daher Bayern-Chef Rummenigge beunruhigt, wenn jetzt die Münchner wegen ihres leichten Restprogramms zum nächsten Titelträger ernannt werden. Er weiß: Im Grunde wäre es ein Wunder, wenn seine Leute am Samstag gegen Hannover 96 gewinnen würden.

Denn dieses Hannover, dem die Forscher ein heilloses Trauma attestiert und den Untergang vorhergesagt haben, ist nun jenes Hannover, das die zuverlässigste Abwehr der Liga demontiert hat. Aber all die Wissenschaftler, die sich in 96 getäuscht haben, haben ja auch gewusst, dass Stuttgart bestenfalls nicht absteigt, Bremen dem Europacup fernbleiben muss, dass die kaputten Kölner kein Spiel mehr gewinnen, die naiven Nürnberger nicht zu retten sind, das Projekt Hoffenheim in die Champions League einzieht und Schalke vor den Konkursrichter treten muss.

Diese Saison braucht keine roten Karten zur Spaßsteigerung. Sie ist ein wildes, fröhliches Durcheinander, was allerdings für den internationalen Betrieb nichts Gutes bedeuten kann.

Die unklaren Herrschaftsstrukturen in der Bundesliga sind ja nach herrschender Lehrmeinung ein Nachteil gegenüber den festen Hierarchien in England, Spanien, Italien. Und? Selbstverständlich ist keine Liga in dieser Saison im Europacup erfolgreicher als die deutsche.

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