FC Bayern:"Heute bin ich sauer - auf uns selbst"

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War die Einwechslung der dritten Garde richtig - oder falsch? Julian Nagelsmann hätte im Nachhinein womöglich anders entschieden. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Nach dem 2:2 gegen den VfB Stuttgart und dem dritten Liga-Unentschieden in Serie verschärft Thomas Müller den Tonfall beim FC Bayern. Diskutabel sind auch die Signale, die der Trainer sendet.

Von Christof Kneer, München

Nach etwa 60 Minuten wurde der Fußball wieder Mathematik. Zwar gab es mal einen Funktionär beim FC Bayern, der diese Tatsache seinem Trainer gegenüber in Abrede stellte, was den Trainer Ottmar Hitzfeld, einem studierten Mathematiker, später den Job kostete. Aber das Bundesligaspiel, das der FC Bayern an diesem Samstag gegen den VfB Stuttgart absolvierte, dürfte Hitzfeld entlasten: Nach gut einer Stunde Spielzeit konnte man beiden Trainern sehr deutlich beim Rechnen zusehen. Beide hantierten offenkundig mit denselben Zahlen (einer Zwei und einer Eins), und ihre Rechenwege dürften ähnlich gewesen sein.

Julian Nagelsmann, Trainer des FC Bayern, überlegte sich: Sichere ich dieses jetzt 2:1 ab und gönne ein paar Leistungsträgern vor dem Barcelona-Spiel am Dienstag noch ein paar Minütchen Pause? Oder sollen wir voll aufs 3:1 gehen? Pellegrino Matarazzo, der Kollege aus Stuttgart, hatte es mit folgender Fragestellung zu tun: Ist es okay, hier 1:2 zu verlieren und unser Torverhältnis nicht zu ramponieren, so wie das anderen gegen Bayern schon passiert ist? Oder trauen wir uns, aufs 2:2 zu erhöhen, in der Gefahr, zu viel Risiko zu gehen und unser Torverhältnis zu ramponieren?

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Nagelsmann entschied sich dafür, Thomas Müller vom Feld zu nehmen und Eric-Maxim Choupo-Moting einzuwechseln. Damit entschied er auch, Sadio Mané auf der Bank noch ein bisschen weiter zu schonen. Und zuvor hatte er bereits entschieden, für den Rechtsverteidiger Nummer zwei, Noussair Mazraoui, den Rechtsverteidiger Nummer drei zu bringen, Josip Stanisic. Die Nummer eins auf dieser Position, Benjamin Pavard, blieb draußen. Matarazzo kam zu einer anderen Lösung. Er ersetzte den defensiven Mittelfeldspieler Wataru Endo durch den offensiven Mittelfeldspieler Lilian Egloff.

Thomas Müller ist sauer - und kritisiert indirekt die Kollegen

Nein, Pavard hätte das Spiel vermutlich nicht für die Bayern entschieden, und Stanisic war ebenso wenig an etwas schuld wie Choupo-Moting. Aber weil Fußball an diesem Abend knallharte Mathematik war, ließ das Ergebnis Nagelsmanns Rechnung am Ende falsch aussehen. Weder sicherten seine Bayern das 2:1 noch gingen sie aufs 3:1. In der Nachspielzeit verwandelte Stuttgarts selbstbewusster Sturmzugang Serhou Guirassy einen Elfmeter zum Endergebnis von 2:2. Die Torchance vor dem Elfmeter hatte Lilian Egloff vorbereitet.

Selbstbewusst, auch vom Punkt aus: Serhou Guirassy überwindet beim Elfmeter zum 2:2 Manuel Neuer. (Foto: Christian Kolbert/kolbert-press/Imago)

"Heute bin ich das erste Mal sauer - auf uns selbst", grantelte Thomas Müller nach dem 2:2 vor dem Sky-Mikrofon. Jeder Spieler müsse sich "an die eigene Nase fassen, ich glaube, wir müssen verstehen: Wenn wir jedes Spiel gewinnen wollen, muss man bis ans Letzte gehen und bis zum Schluss gallig bleiben". Deshalb habe er "eine schöne Krawatte heute", sagte Müller, was keinesfalls als modische Anmerkung zu verstehen war. Und Sportvorstand Hasan Salihamidzic klang ebenfalls außerordentlich unerfreut, als er sagte: "Das war zu wenig heute. Wir müssen zwei Gänge raufschalten, für Barcelona drei."

Dies ist die eine Lesart der Geschichte: Zwar geht es nach dem dritten Liga-Unentschieden in Serie nicht um die grundsätzliche Berufseinstellung der Bayern-Profis, die Banaldeuter nun in bewährter Reflexhaftigkeit bemängeln werden. Dennoch zeigen die Messgeräte, die die Körperspannung ermitteln, bei den Bayern gelegentlich ein paar Volt zu wenig an - gerade in jenen Partien, in denen es nicht direkt einen Pokal zu gewinnen gibt oder wenigstens die Champions-League-Hymne erklingt. Es gelte, ein Bewusstsein für die aktuelle Punktesituation in der Bundesliga zu entwickeln, forderte Müller, "englische Wochen und Highlight-Spiele hin und her". Ein paar Lässigkeiten hier, ein paar Fahrlässigkeiten dort - und schon rutscht Alphonso Davies ein schlampiger Pass auf Jamal Musiala raus, oder Serge Gnabry schlenzt ein bisschen zu sehr.

Die erste Situation führte zum Stuttgarter 1:1 durch Chris Führich (57.), nachdem Konstantinos Mavropanos dem armen Musiala den schlampig gespielten Ball abgeknöpft hatte. In der zweiten Situation verschluderte Gnabry frei vor VfB-Torwart Florian Müller eine mögliche 3:1-Führung, nachdem Musiala kurz zuvor das 2:1 gelungen war (60.).

Die 17-jährige Mathys Tel ist nun der jüngste Bayern-Schütze der Geschichte

Man wird nach diesem völlig unnötigen und gleichzeitig ziemlich gerechtfertigten Unentschieden also eine kleine Spielerdebatte führen beim FC Bayern, immerhin mit dem erfreulichen Nebenaspekt, dass Stürmer Mathys Tel sein Startelf-Debüt in der Liga gleich mit einem routinierten Tor zum 1:0 garnierte (für Mathematiker: mit 17 Jahren und 136 Tagen ist er der bislang jüngste Bayern-Schütze in der Geschichte). Zu dieser Debatte wird auch die herrlich unbeantwortbare Frage gehören, ob das alles mit Robert Lewandowski auch passiert wäre, der manchmal auch schlenzt, wenn er frei vor Torhütern auftaucht, aber meistens eben ins Tor. Auch da wurde Salihamidzic deutlich: "Lewa nutzt vorne jede Möglichkeit. Wir sind gewarnt."

17 Jahre und 136 Tage alt: Mathys Tel hat sich am Samstag zum jüngsten Bayern-Torschützen gemacht. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

In dieser Situation ist es nun wohl ganz praktisch, dass die Bayern am Dienstagabend dem FC Barcelona begegnen. Die Champions-League-Hymne wird wieder erklingen, und all das zusammengenommen wird laut genug sein, um eine andere Frage zu übertönen. Jene, ob der Trainer Nagelsmann mit der Auswechslung von Müller und der Einwechslung der dritten Garde am Samstagnachmittag vielleicht ein falsches Signal gesetzt hat - gegen einen VfB, der noch wehrhaft genug wirkte, um dieses eine fehlende Tor vielleicht doch noch zu erzwingen. Zuvor hatte der weiterhin in der Formkrise steckende VAR dem VfB ja bereits einen Treffer durch Guirassy (51.) weggenommen, die Münchner waren also hinreichend gewarnt. Aber weil Spieler ein feines Gespür für Personalien besitzen, dürften diese Auswechslungen nicht wie eine Aufforderung zum Sturmlauf gewirkt haben.

Es ist nicht leicht für Trainer, ein Sandwich-Spiel wie jenes gegen Stuttgart zu leiten, das eingequetscht ist zwischen Spiele gegen Inter Mailand und den FC Barcelona. Wäre Fußball keine Mathematik, könnte man sagen, dass die Bayern und ihr Coach die Aufgabe bis in die Nachspielzeit recht professionell gelöst haben, oder, in den Worten von Thomas Müller: "Das Spiel war kein Meisterstück, aber doch absolut in Ordnung."

Nach dem 2:2 war das Spiel aber gar nicht mehr in Ordnung, und vor allem für den Trainer dürfte sich das Remis wie eine Niederlage angefühlt haben. Sehr demonstrativ hatte Nagelsmann seine Spieler vor dem Stuttgart-Spiel noch unter Druck gesetzt und bei Nicht-Erfüllung seiner Forderung mit einem Bankplatz gedroht: Wer gegen den VfB die Handbremse anziehe, sagte Nagelsmann, könne gegen Barcelona "die Parkbremse reinmachen".

Das ist die zweite Lesart dieses Bundesligaspiels: Zwar haben die Spieler schon irgendwie auf ihren Trainer gehört, aber eben nicht über die vollen 92 Minuten. Der Stuttgarter Coach Pellegrino Matarazzo, übrigens, ist studierter Mathematiker.

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