Beim FC Augsburg erinnern sie sich gerne an diese Phasen unter Jess Thorup, die ihrem Ideal sehr nahekamen. Ihr Markenkern der Leidenschaft war dabei ebenso zu erkennen wie Spielfreude im „offensiven Mindset“, das der Trainer bei seinem Amtsantritt im Oktober 2023 als Credo propagiert hatte. Die außerordentlichen Erträge stellten sich beinahe zwangsläufig ein, sie waren eine logische Folge und ein Nebenprodukt des Hauptmotivs, die bestmögliche Leistung zu bringen. In der ersten Phase gleich nach Thorups Amtsantritt wurden zwölf Punkte aus sechs Spielen angehäuft, in der zweiten Hochphase gelangen gar vier Siege hintereinander. Das Problem war nur, dass auf diese formstarken Abschnitte fast das genaue Gegenteil folgte. Durch fünf Niederlagen in Serie am Ende der vergangenen Saison verspielte Augsburg den möglichen zweiten Einzug in den Europapokal in der Vereinsgeschichte.
Wenn am Sonntag (Anstoß: 17.30 Uhr) der VfB Stuttgart in die Arena kommt, blicken sie beim FCA erneut auf ein weiteres Halbjahr der Inkonstanz zurück. In dieser Saison sortierten sie ihre Erfolge und Misserfolge in der Bundesliga vor allem nach Heim- und Auswärtsspielen. Was zu Hause gelang, missriet auf Reisen oft völlig. Der guten Heimbilanz mit 14 Punkten aus acht Spielen (Schnitt 1,75 Punkte pro Partie) und dem hervorstechenden 2:1 gegen Dortmund standen auswärts nur zwei Zähler aus sieben Spielen gegenüber (Schnitt 0,29).
Auf der letzten Dienstfahrt vor Weihnachten hatte es sogar eine solch irritierende 1:5-Niederlage beim Aufsteiger Kiel gesetzt, dass Thorup zu Jahresbeginn eine Aussprache im Rahmen eines Teambuildings ansetzte. Vor der 1:3-Niederlage im Test bei der TSG Hoffenheim hatten die Augsburger zwei Nächte in Frankfurt verbracht und auf dem Campus des Deutschen Fußball-Bundes trainiert. Die Quintessenz der Aussprache verriet Thorup am Freitag vorm Auftakt gegen Stuttgart. Der Auftritt in Kiel „war ein Ausrutscher. Das darf nicht mehr passieren“, sagte der Däne und forderte für den zweiten Saisonteil: „Es ist ganz wichtig, dass wir die DNA wieder auf den Platz bringen: Zweikämpfe, Leidenschaft, Einsatz.“
Nicht mehr dazu beitragen wird Ruben Vargas. Der 26 Jahre alte Schweizer Nationalspieler hatte sich nach fünfeinhalb Jahren und 161 Spielen für Augsburg (23 Tore, 19 Vorlagen) am Donnerstag zum FC Sevilla verabschiedet. Tags darauf wurde sein Transfer vom FCA offiziell bestätigt. Die Augsburger erhalten wenige Monate vor Vertragsablauf noch eine Ablöse in Millionenhöhe. Andererseits kann der schon seit geraumer Zeit wechselwillige Vargas seine Offensivqualitäten nicht mehr einbringen, um die Zwischenbilanz der Augsburger aufzubessern. Thorup verweist auf die vielen Torbeteiligungen von Vargas, dieser Spieler sei ein „X-Faktor“ gewesen. In dieser Saison hatte er allerdings keine sehr große Rolle gespielt. Beim FCA schauen sie nun, ob sie auf dem Transfermarkt einen Spieler finden, der eine Verbesserung verspricht. Zugleich könnte es auch noch weitere Weggänge geben.
„Es geht um unser Selbstverständnis, zielstrebig und mutig zu sein, mit Überzeugung zu agieren. Und das ist besonders in den Auswärtsspielen zu wenig gelungen“, sagt Sportdirektor Jurendic
Das offensive Mindset, von dem Thorup in seiner ersten Augsburger Saison viel gesprochen hatte, war zuletzt nicht mehr so oft zu erkennen gewesen. 17 Tore hat Thorups Mannschaft bisher erwirtschaftet, nur drei Teams waren schlechter. Demgegenüber stehen 32 Gegentore, mehr haben nur die drei schlechtesten Mannschaften der Tabelle kassiert. Um sich in jeglicher Hinsicht zu verbessern, wünscht sich Marinko Jurendic eine Rückbesinnung auf Thorups Credo. „Das offensive Mindset ist nicht darauf bezogen, dass wir in jedem Spiel fünf Tore schießen müssten“, stellt der Sportdirektor im SZ-Gespräch klar, „es geht vielmehr um unser Selbstverständnis, zielstrebig und mutig zu sein, mit Überzeugung zu agieren. Und das ist besonders in den Auswärtsspielen zu wenig gelungen.“
Auch wegen ihrer Labilität sind sie beim FC Augsburg in dieser Saison ihrem mittelfristigen Ziel noch nicht näher gekommen, mal wieder eine Spielzeit unter den Top Ten der Bundesliga abzuschließen und damit einen Farbtupfer gegen das eher graue Image zu setzen. Langfristig soll das sogar möglichst mehrfach gelingen. Doch erst einmal müssen sie zusehen, dass der jüngste Abwärtstrend wieder umgekehrt und der Vorsprung auf die Abstiegszone vergrößert wird. Jurendic formuliert den Anspruch so: „Die grundsätzliche Erwartungshaltung ist, dass wir immer unsere FCA-Tugenden wie Intensität, Leidenschaft und mannschaftliche Geschlossenheit zeigen. Insgesamt wollen wir mehr Stabilität und Konstanz in unsere Leistungen und Resultate bringen.“
Thorup denkt vor dem Heimspiel gegen Stuttgart auch über einen Torwartwechsel nach. Bisher war Zugang Nediljko Labrovic, 25, seine Nummer eins. Womöglich erhält nun der vorherige Stammkeeper Finn Dahmen, 26, den Vorzug. Unabhängig von Personalien ist Thorups klar formulierter Auftrag ein Sieg gegen Stuttgart. Gespielt wird auf einem neuen Rasen. Thorup hofft, nach der Enttäuschung in Kiel über den Vortrag seiner Mannschaft dann wieder sagen zu können, was er bereits am Freitag über den neuen Untergrund ausrief: „Wow, das sieht gut aus!“