Süddeutsche Zeitung

Fußball-Bundesliga:Entdeckung aus der Datenbank

Lesezeit: 3 Min.

Auf Pedro Geromel, seinen beeindruckendsten Zugang, wurde der 1. FC Köln im Computer aufmerksam.

Philipp Selldorf

Zu Zeiten, als sie noch von oben auf den linksrheinischen Nachbarn herabschauten, hieß es bei Bayer 04 Leverkusen halb spöttisch, halb anerkennend: Der wichtigste Mann beim 1. FC Köln ist Henning Krautmacher. Dieser Mann sitzt nicht im Vorstand des FC und nicht im Geißbockheim, er hat auch noch kein einziges Tor für den Verein geschossen. Aber er ist Sänger der Höhner, die dem FC 1998 die Vereinshymne geschenkt haben.

Sie wird bei jedem Heimspiel zelebriert und bewegt heftig die Gemüter. "Un mer jon met dir/ wenn et sin muss/ durch et füer" (und wir gehn mit dir/ wenn es sein muss/ durch das Feuer) - das sind die Zeilen, die den FC-Fans geholfen haben, die vielen mageren Jahre der jüngeren Vergangenheit zu überstehen.

30 Sportstudenten scouten für den FC

Krautmacher, der übrigens aus Leverkusen-Schlebusch stammt, läuft aber inzwischen Gefahr, seine führende Rolle beim FC zu verlieren. Jedenfalls ist man in Leverkusen bereit - diesmal ganz ohne Spott -, einen FC-Spieler für seine herausragende Arbeit zu würdigen, den man obendrein selber gerne hätte. Es handelt sich um Pedro Geromel, 23, den brasilianischen Innenverteidiger. Und während die Experten von Bayer 04 derzeit in Südamerika nach einem hochklassigen Abwehrmann fahnden, hofft man beim FC, dass Geromel nur der erste von noch vielen guten Spielern ist, die auf der heimischen Datenbank gesichtet wurden.

Geromels Entdeckung geht nach Auskunft von Boris Notzon, dem Chef des vereinseigenen Technikzentrums Sportslab, auf einen 22-jährigen angehenden Sprachwissenschaftler zurück. Ricardo Tavarez gehört zu den bis zu 30 Sportstudenten, die für Sportslab Daten, Statistiken und Fernsehmaterial aus ausländischen Ligen überschauen, um die Scouting-Abteilung des FC zu unterstützen.

Als Portugal-Spezialist empfahl er Geromel bereits im Februar, was dem Klub einen wesentlichen Vorsprung vor der Konkurrenz bescherte. Dabei hatte sich der damals 22-jährige Brasilianer bereits einen Namen in Portugals SuperLiga gemacht, in einer Publikumsumfrage wurde er gegen Saisonende sogar zum besten Spieler der Klasse gewählt, vor teuren Prominenten wie Verteidiger Bosingwa oder Angreifer Queresma, die im Sommer für hohe zweistellige Millionenbeträge zum FC Chelsea bzw. zu Inter Mailand transferiert wurden.

Daum: "Vor einer großen Karriere"

Als Geromel Anfang Juli nach Köln kam, empfing ihn Christoph Daum mit großen Worten. "Pedro steht am Anfang einer großen Karriere", meinte der Trainer, und mittlerweile lässt sich sagen: Da wird er wohl recht behalten. Mit dem Libanesen Mohamad bildet Geromel eines der besten Innenverteidigerpaare der Liga, er ist schnell, zweikampfstark, präzise und hat eine exzellente Wahrnehmung des Spielverlaufs.

Neulich beim Heimspiel gegen Cottbus (1:0) hätte sich sein Partner Mohamad zur Pause in den Feierabend begeben können, er wurde nicht mehr gebraucht. Jeder der - zugegeben kargen - Cottbuser Vorstöße endete bei Geromel, der durch seine gute Technik auch im Angriff mitmischen kann, bewiesen beim 2:1-Sieg in Karlsruhe, als er im Strafraum die Gegner austrickste wie ein Flügelstürmer und das Solo mit herrlicher Torvorlage beendete.

Ausgebildet wurde Geromel, der aus einer Mittelschichtfamilie stammt, in São Paulo bei Palmeiras. 17-jährig verschlug es ihn zum portugiesischen Zweitligaklub GD Chaves, der in Brasilien per Annonce um neue Spieler geworben hatte. Ein Freund, der ebenfalls sein Glück im Berufsfußball suchte, hatte ihn überredet mitzukommen. Chaves nahm Geromel unter Vertrag, doch froh wurde er dort nicht. In Portugals Nordosten regnet es häufig, kühl ist es auch. Die Unterkunft war trostlos ("In meinem Zimmer stand nur ein Bett, mehr nicht"), er fühlte sich einsam. Aber weil ihm sein Vater für den Fall der Rückkehr nach Brasilien mit einem bürgerlichen Leben ohne Fußball drohte, hielt er durch.

2005 wechselte er zu Vitória Guimarães. Nicht zuletzt dank des Kontakts zu Geromels Berater Jorge Mendes, der von Ronaldo bis Deco und Carvalho fast alle bedeutenden portugiesischen Spieler vertritt, gelang den Kölnern später auch die Verpflichtung von Nationalspieler Petit. Effektiver hat der FC seit Jahrzehnten nicht mehr eingekauft. Für Geromel habe man "ganz schön hinlangen müssen", hat Manager Michael Meier gesagt. Aber die 2,5 Millionen Euro, die im Sommer an Guimarães als Ablöse bezahlt wurden, sind doch eine bescheidene Summe im Vergleich zum Beispiel zu den Kosten, die Bayern München für das brasilianische Verteidigertalent Breno aufgewendet hat: 18 Millionen Dollar.

Bei den Bayern könnte man sich Geromel gut vorstellen, das Niveau hätte er, entsprechend besorgt blickt Daum voraus. "Ich weiß gar nicht, wie wir den in Zukunft halten sollen", sagte der Trainer kürzlich, was Manager Meier nicht so gut gefallen hat, weshalb er sofort darauf hinwies, dass der bis 2012 bestehende, für beide Ligen geltende Vertrag keine Ausstiegsklauseln enthält. Meier hofft, dass Geromel und Petit dazu beitragen, eine Mannschaft zu bilden, auf die keiner mehr herabschaut.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2008
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