Fußball-Bundesliga:"Ein bisschen unwirklich"

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Hannover spielt beim 0:2 in Schalke laut Trainer Bergmann nicht für, sondern mit dem gestorbenen Robert Enke. Ein 96er lässt seinen Tränen freien Lauf.

Philipp Kreutzer, Gelsenkirchen

Nur auf ihre Hymne verzichteten sie nicht. "Blau und Weiß, wie lieb ich dich" dröhnte wie immer pünktlich um kurz vor halb vier aus den Stadionlautsprechern. Doch abgesehen davon war am Samstag auf Schalke zunächst vieles anders als sonst. Die Einstimmung auf die Partie gegen Hannover 96 erfolgte ohne die übliche schmissige Moderation, ohne lärmende Sponsorenspielchen, ohne schrille Partymusik.

Hannover 96-Spieler Rausch und Schalke 04 Spieler Farfan. Auf allen Hannover 96 Trikots prangte vorne eine kleine Eins als Erinnerung an Robert Enke. (Foto: Foto: Reuters)

Kurz darauf war es dann sogar fast vollständig still unter den 61.500 Menschen. Während der Schweigeminute für Robert Enke hielten Schalke-Fans in der Nordkurve Spruchbänder in die Höhe: "Ruhe in Frieden, Robert", "Der Tod trennt - der Tod vereint". Und: "Unser Mitgefühl gilt Teresa, Leila, der Familie und Hannover 96".

Angemessen gedämpfte Atmosphäre

Die gedämpfte Atmosphäre in der Gelsenkirchener Arena empfanden die Besucher als ungewohnt, aber eben auch als angemessen für eine Partie, die nach dem Selbstmord Enkes keine gewöhnliche sein konnte. Zunächst war ja fraglich gewesen, ob dieses Spiel überhaupt stattfinden werde; ob es die Hannoveraner Mannschaft bewerkstelligen könne, elf Tage nach dem Tod ihres Torhüters um Bundesligapunkte zu kämpfen.

Sie konnte. Weshalb Andreas Bergmann "sehr stolz" auf seine Mannschaft war. "Wir haben ein wirklich anständiges Spiel gemacht", stellte Hannovers Trainer trotz der 0:2-Niederlage erleichtert fest. Erleichtert darüber, dass es seinem Team gelungen war, sich selbst mit einer couragierten Vorstellung aus der Schockstarre der vergangenen Tage zu lösen.

Die Gier nach Erfolg

Bergmann hatte die Spieler vor der Begegnung beschworen, neben ihrer Trauer eine weitere Emotion zuzulassen: die Gier nach Erfolg. Denn nichts anderes, versicherte er, hätte Enke in einer solch schwierigen Situation gefordert: "Ich habe sie daran erinnert, wie er dieses Spiel angenommen hätte: mit professioneller Einstellung. Wir haben heute nicht für Robert gespielt, sondern mit ihm."

Besonders viele Komplimente erhielt der Nachfolger im Hannoveraner Tor. Florian Fromlowitz verhinderte vor allem in der zweiten Hälfte weitere Schalker Treffer und wurde so zum besten 96er. "Er hat ein bärenstarke Leistung gezeigt", lobte Bergmann, Schalke-Trainer Felix Magath vergab gar das Prädikat "überragend". Fromlowitz sagte: "Robert ist in meinem Kopf und in unseren Herzen."

Eine kleine Eins auf allen Trikots

Vor allem während der Schweigeminute unmittelbar vor dem Anpfiff fühlten sich die Hannoveraner ihrem gestorbenen Mannschaftskapitän noch einmal nah. Wie beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft am Mittwoch gegen die Elfenbeinküste (2:2) waren auf dem Videowürfel über dem Spielfeld Fotos von Enke zu sehen.

Im Gästeblock hatten die 96-Fans ein Transparent mit seinem Konterfei aufgehängt, außerdem schwenkten sie während der 90 Minuten eine schwarze Fahne, auf der in weißen Lettern geschrieben stand: "#1". Eine kleine "1" trugen auch die 96-Spieler vorn auf ihren Trikots. "Wir wussten, dass das eine emotionale Situation werden würde", berichtete Bergmann später, "und ich habe gesagt: Dann sollen wir es auch zulassen."

Arnold Bruggink ließ es zu: Als er nach dem Spiel den Reportern von "meinen schwersten Minuten auf dem Platz" erzählte, versagte Hannovers neuem Kapitän die Stimme, seine Augen wurden feucht. Er fügte dann noch hinzu: "Es war sehr hart, aber wir haben es gut gemacht."

Zurück zur Normalität

Damit lag er richtig. Hannover war in einer anfangs munteren und bis zur Pause verflachenden Partie zunächst die etwas bessere Mannschaft, spielte mit mehr Tempo und genauer nach vorn als die Gastgeber. "Wenn wir in Führung gehen, kann sich Schalke nicht beschweren", fand Mittelfeldspieler Hanno Balitsch.

Doch weil das nicht gelang, die Gelsenkirchener nach dem Wechsel immer besser wurden und durch Treffer von Jefferson Farfan (69.) und des Sekunden zuvor eingewechselten Jan Moravek (91.) letztlich verdient siegten, habe 96 nun etwas aufzuarbeiten, meinte Balitsch: "Wir haben Fehler gemacht, und es muss erlaubt sein, darüber zu sprechen. Damit wir auch auf diese Weise wieder zum Alltag und zur Normalität zurückkommen."

Wann der Alltag zurückkehren wird, vermag Balitsch nicht zu sagen. Vor dem Heimspiel am kommenden Sonntag gegen den FC Bayern jedenfalls nicht. Diese Partie im eigenen Stadion, aus dem sie kürzlich noch den Sarg getragen haben, betrachten die Hannoveraner als ganz spezielle Prüfung. "Robert ist für uns präsent, und er wird auch weiterhin präsent bleiben", sagte Balitsch, "so eine Situation hat noch keiner von uns mitgemacht, und es ist immer noch ein bisschen unwirklich."

Selbst hochpushen

Mit bislang nicht Erlebtem mussten auch die Spieler des FC Schalke umgehen: mit der anfangs so verhaltenen Atmosphäre im eigenen Stadion. Dass dies kein gewöhnliches Fußballspiel werden würde, wussten sie. Aber nicht, wie es sich dann auf dem Rasen wirklich anfühlen würde. Heiko Westermann bekam beim Aufwärmen eine Ahnung: "Da war schon keine Stimmung von außen da, wir mussten uns selbst hochpushen."

Das gelang Schalke im Verlauf der Partie immer besser, am nötigen Willen mangelt es ja auch nicht. Genauso wenig an Kraft und Kondition, schließlich heißt der Trainer Magath. Verbesserungswürdig ist das Spielerische. Pfiffe kämen den Zuschauern dennoch momentan nicht in den Sinn, sie unterstützten ihr Team nach anfänglicher Zurückhaltung bedingungslos. Die meisten Schalke-Fans wissen: Eine Mannschaft, deren Startelf am Samstag ein Durchschnittsalter von 23,3 Jahren aufwies, verdient Geduld.

Erfolgreich ist sie ja obendrein: Nach sieben Spielen in Folge ohne Niederlage hat sich Schalke in der Spitzengruppe der Bundesliga festgesetzt. So feierten die Anhänger die Spieler wie immer nach Heimsiegen begeistert vor der Nordkurve, und die machten sich danach zu den Klängen von "Königsblauer S04" auf eine Ehrenrunde. Am Ende eines ungewöhnlichen Fußballnachmittags gab es auf Schalke doch noch die vertrauten Bilder zu sehen.

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