Fußball-Bundesliga:Bayern wählt die kleine, große Lösung

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Wird den Bayern ziemlich lange fehlen: Kingsley Coman. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Kingsley Coman wird dem FC Bayern nach seinem Syndesmosebandriss erneut monatelang fehlen.
  • Der Klub wird offenbar trotzdem keinen neuen Flügelspieler verpflichten.
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Von Benedikt Warmbrunn, München

Der Flügelspieler, dem beim FC Bayern die Zukunft gehören soll, hat ein erfolgreiches Wochenende hinter sich. Er erzielte kein Tor, er bereitete keins vor, aber er dribbelte und wirbelte die Linie entlang, das Spiel gewann er mit seinen Vancouver Whitecaps 3:2 gegen die San José Earthquakes. So war das Wochenende von Alphonso Davies, 17 Jahre alt, von Januar 2019 an Flügelspieler des FC Bayern.

Am Wochenende haben sie im Verein häufiger an den Kanadier gedacht, sie haben sich ein bisschen selbst dafür gelobt, dass sie ihn vor wenigen Wochen verpflichtet haben. Knapp vier Monate noch, dann gehört auch Davies zum Kader - das war für die Verantwortlichen beim FC Bayern ein beruhigender Gedanke am Wochenende. Denn der Flügelspieler, dem beim FC Bayern die Zukunft und eigentlich auch schon die Gegenwart gehören soll, hat ein miserables Wochenende hinter sich.

Schon in Februar hatte sich Coman das Syndesmoseband gerissen

Die letzten Bilder von Kingsley Coman aus der ersten Bundesliga-Nacht der Saison waren düster beleuchtet, es waren keine Bilder, die einen Helden zeigen. Coman, 22, verließ kurz vor Mitternacht am Freitagabend die Praxis von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt auf Krücken, das linke Hosenbein hochgekrempelt, um den linken Knöchel ein Verband. Am Sonntag wurde Coman wegen eines Syndesmosebandriss im linken Sprunggelenk operiert, mit ihm rechnen sie im Verein wieder im Dezember. "Wir sind natürlich sehr traurig darüber, dass Kingsley sich die gleiche Verletzung zugezogen hat wie zuvor auch", hatte Trainer Niko Kovac nach dem Training am Samstag gesagt.

Schon im Februar, gegen die Hertha, hatte sich Coman das Syndesmoseband oberhalb des linken Sprunggelenks gerissen, er fiel monatelang aus, kehrte erst im Pokalfinale zurück, für 20 Minuten. Dem französischen Nationaltrainer Didier Deschamps war das zu wenig Spielpraxis, Coman verpasste die WM in Russland, weswegen er sich jetzt anders als sein Mannschaftskamerad Corentin Tolisso nicht als Weltmeister bezeichnen darf. "Die Verletzung tut uns extrem weh", sagte Joshua Kimmich, "ich war schockiert, hatte fast Tränen in den Augen, als ich ihn da so liegen sah."

Nach dem 3:1 (1:0) des FC Bayern gegen die TSG Hoffenheim diskutierten die Beteiligten wenig über das Spiel, nicht einmal darüber, dass Thomas Müller mit dem Kopf (!) getroffen hatte (22.). Es ging um den Einsatz des Videoassistenten ( siehe Text unten), und es ging aus Münchner Sicht darum, dass in diesem Spiel zu wenig Fußball gewesen sei, über den sie hätten diskutieren können. Besonders klar formulierte das Klubboss Karl-Heinz Rummenigge in einem Interview mit der Homepage des Vereins.

Gerade in der ersten Halbzeit seien die Gäste "brutal hart eingestiegen", Coman, Thiago und Franck Ribéry seien "permanent" gefoult worden. Rummenigge beklagte "Fußball in Wild-West-Manier", er sagte, wenn "eine Mannschaft zum Halali gegen unsere Spieler bläst, so wie das gestern geschehen ist, dann hat das mit Fair Play nichts mehr zu tun". Es war auch ein Schutz gegen das, was den FC Bayern in dieser Saison häufiger erwarten wird: ruppig verteidigende Gegner.

21 Foulspiele der TSG waren nach den 90 Minuten (plus elf Minuten Nachspielzeit) in der Statistik eingetragen, fünf des FC Bayern. In seinem Zorn bezog sich Rummenigge jedoch hauptsächlich auf ein Foulspiel kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit. Coman führte den Ball, und wie schon zuvor an diesem Abend bedeutete das für die TSG maximale Gefahr. An fast allen gefährlichen Szenen war der Franzose beteiligt, er hatte gedribbelt, er hatte gewirbelt, er hatte auch die bis dahin beste Szene, als er einen Angriff selbst einleitete und nach einem kurzen Solo mit einem Schuss beendete; Torwart Oliver Baumann konnte gerade noch mit einer Hand abwehren. Wenige Sekunden später musste das Spiel jedoch unterbrochen werden, weil Baumann die Hand so stark schmerzte. Nicht nur für Rummenigge war Coman "der beste Spieler auf dem Platz".

Dann aber führte Coman den Ball kurz vor der Pause auf dem rechten Flügel, Hoffenheims Linksverteidiger Nico Schulz rauschte heran, Coman knickte um, taumelte, blieb hängen, blieb liegen. Er konnte den Platz nur verlassen, indem ihn zwei Betreuer stützten. "Er macht genau in dem Moment den Haken, als ich grätsche", sagte Schulz, der sich bei Coman auch schon entschuldigt hatte, als dieser zwischen den Betreuern klemmte. Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann gestand, dass die aggressive Spielweise zum Konzept gehört hatte, sie hatte ja auch funktioniert, als Adam Szalai zwischenzeitlich ausgeglichen hatte (57.). "Wir wollen keine Spieler verletzen, aber aggressiv wollten wir sein", sagte Nagelsmann.

Da genau dies aber passiert war, haben die Bosse des FC Bayern am Wochenende auch intern viel diskutiert - darüber, ob Comans Verletzung durch einen Zugang aufgefangen werden muss. Schnell haben sie festgestellt, dass die Lage schwierig ist. Das Angebot an Flügelspielern ist überschaubar, und jemand, der sofort hilft, ist teuer. Zudem dürfen die englischen und italienischen Klubs keine Spieler mehr verpflichten - sollten sie einen Leistungsträger abgeben, könnten sie nicht mehr darauf reagieren. Andere wie die Leverkusener Julian Brandt und Leon Bailey haben frisch verlängerte Verträge. Außerdem vertrauen sie beim FC Bayern ja ihrem gesunden Personal. Neben Ribéry und Arjen Robben, der für Coman eingewechselt wurde und das 3:1 erzielte (89.), haben sie noch Serge Gnabry, der nach Oberschenkelproblemen bald zurückkehren wird.

Außerdem sehen sie im Klub in ihrem Angebot an zentralen Mittelfeldspielern auch Lösungen: Müller kann auf den Flügel ausweichen, genauso Leon Goretzka oder Tolisso. Dieses Angebot betrachten sie als so üppig, dass wohl zu Wochenbeginn der Wechsel von Sebastian Rudy zum FC Schalke 04verkündet werden wird; am Wochenende ging es hauptsächlich um Details über die Ablöse. Dass aber der Verein einen Spieler verpflichtet, ist unwahrscheinlich, zumal dieser von Januar an, wenn Davies und Coman zum Kader gehören, der sechste Flügelspieler wäre. Sie denken im Klub also eher an die kleine Lösung, die sie übrigens sowohl bei Gnabry als auch bei Davies ohnehin als eine große Lösung sehen.

Mit Vorsicht zu genießen ist daher die Meldung, dass einer, der in der Vergangenheit ein Flügelspieler des FC Bayern war, am Sonntag in der Stadt gelandet ist. Bastian Schweinsteiger spielt seit Jahren schon im Zentrum, und in München ist er nur, um sich am Dienstagabend mit einem Testspiel verabschieden zu lassen.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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