Fußball-Bundesliga:Bayern knarzt im Zwischenstadium

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Arturo Vidal ging in den ersten Minuten zu rustikal zu Werke, was zu seiner frühen Auswechslung führte. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Vor der entscheidenden Phase der Saison: Spielen die Bayern gerade im professionellen Energiesparmodus - oder haben sie ihre Leichtigkeit verloren?

Von Christof Kneer, Stuttgart

Pep Guardiola versteht ja angeblich so viel vom Fußball, dass sich selbst der Fußball manchmal wundert. Guardiola kommt manchmal auf Varianten, die dem Fußball selbst nie eingefallen wären, und so ist man auch davon ausgegangen, dass es keinen Laufweg gibt, den dieser Trainer noch nicht gesehen hat. In der 26. Minute des Fußballspiels in Stuttgart wählte der Spieler Arturo Vidal aber einen Laufweg, der selbst seinem Trainer neu war. Irritiert sah Guardiola zu, wie Vidal langsam Richtung Seitenlinie trabte und plötzlich scharf links abbog. Anschließend schlug Vidal einen sanften Rechtsbogen, er lief hinter der Ersatzbank vorbei und tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Dort setzte er sich, allerdings nicht auf die Bank. Er setzte sich auf den Steinboden.

Dem Laufweg war leider nicht anzusehen, wer von wem genervter war: Vidal von seinem Trainer, weil der ihn nach 26 Minuten auswechselte; oder der Trainer von seinem Vidal, weil der ihn gezwungen hatte, ihn auszuwechseln. Drei Fouls sowie eine gelbe Karte hatte Vidal zu diesem Zeitpunkt bereits in sein Kerbholz geritzt, weshalb die Kollegen auf der Bank "schon etwas unruhig" geworden waren, wie Thomas Müller später berichtete: "Wir haben drüber diskutiert, dass es jetzt gefährlich werden könnte", sagte Müller, "es wäre sicher noch mal eine Szene gekommen, in der Arturo hätte hingehen müssen."

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Xabi Alonso, der Vidal anstarrt und sich an den Kopf tippt; Vidal, der auf dem Boden schmollt; Philipp Lahm, der Vidal in Empfang nimmt und tröstet: Das 3:1 (1:0) des FC Bayern beim VfB Stuttgart hat eine Menge guter Bilder produziert, auch dank des VfB, der zum Bilderreigen ein professionell hergestelltes Eigentor durch Georg Niedermeier sowie ein jahresrückblickstaugliches Sitzfußballtor von Daniel Didavi beisteuerte.

Es gab genügend Szenen im Spiel, die selbst der erfinderische Guardiola nie für möglich gehalten hätte; vermutlich ist er auch noch nie einer Mannschaft begegnet, die wie der VfB sechs Eigentore in einer Saison schießt und am Morgen des Bayern-Spiels drei Profis wegen eines grippalen Infekts verliert (Christian Gentner, Martin Harnik, Alexandru Maxim).

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Zu bestaunen gab es viele kleine Geschichten, die davon ablenkten, dass es die eine, große Geschichte noch nicht gibt. Auch nach dem Sieg bei einem durchaus wehrhaften VfB ist unklar, welche Geschichte sich am Ende der Saison über den FC Bayern erzählen lassen wird: "Wir brauchen noch drei Siege und ein Unentschieden, dann können wir etwas erreichen, was noch keine andere Mannschaft in Deutschland erreicht hat", sagte Guardiola später. Er meinte: Viermal nacheinander Meister war in der Bundesliga noch keiner.

Tatsächlich kann selbst der geschichtenreiche FC Bayern demnächst noch mal eine neue Geschichte schreiben, das Komische ist nur, dass sich das alles gerade so unhistorisch anfühlt. Die Bayern spielen gerade in einem merkwürdigen Zwischenstadium Fußball. Sie haben eine erste turbulente Phase bereits hinter sich, jene vor Weihnachten, als alle Welt hysterisch wissen wollten, ob Guardiola nun geht oder bleibt; eine zweite turbulente Phase haben sie unmittelbar vor sich, das Rückspiel gegen Lissabon, das Pokal-Halbfinale gegen Bremen, das mögliche Halbfinale in der Champions League. In nächster Zukunft wird sich das große Ganze entscheiden, es wird sich zeigen, was das für eine Ära gewesen sein wird mit diesem großen, großen und doch seltsamen, seltsamen Trainer.

Die Bayern sind in der Anfahrt auf die entscheidenden Alpen-Etappen, und ihren Sport treiben sie im Moment wie die Tour-de-France-Fahrer auf den sogenannten Überführungsetappen. Sie versuchen, vor dem großen Anstieg ein wenig durchzupusten, ohne die Konkurrenz aus dem Blick zu verlieren. Deshalb sieht Bayerns Fußball zurzeit aus, wie er aussieht: Deshalb folgte den Einsnulls gegen Köln und Frankfurt jenes 3:1 in Stuttgart, das ebenso wie die Einsnulls einerseits sehr professionell und andererseits nicht völlig überzeugend herausgespielt wurde. Niedermeiers Eigentor leitete Franck Ribéry mit jenem Haken ein, den er in der Bundesliga seit 2008 macht; David Alabas 2:0 und Douglas Costas 3:1 verdankten sich der individuellen Klasse der Schützen und der individuellen Mängel des VfB-Verteidigers Toni Sunjic und des VfB-Torwarts Przemyslaw Tyton.

Das Problem an diesem Zwischenstadiums-Fußball ist allerdings, dass die Bayern selbst nicht wissen, was sie davon halten sollen. Es sei "ja nicht so, dass wir aus irgendeiner Krise kommen", sagte Klubchef Karl-Heinz Rummenigge, "tut mir leid, da haben Sie ein anderes Spiel gesehen".

Bayern will sich rechtfertigen

Irgendwo tief drinnen in ihrer Mia-san-mia-Seele spüren die Bayern einen Rechtfertigungszwang, den sie zwar auf die Medien umleiten, der sie aber doch auch selbst beschäftigt. Die Münchner kennen ihre eigene Geschichte, sie wissen ja, dass ihr Fußball unter Guardiola stets anfällig wurde, wenn das Frühjahr kam. Sie fragen sich das ja selbst: Spielen wir gerade wirklich im seriösen Energiesparmodus, oder haben wir die Leichtigkeit verloren? Fällt Robert Lewandowski und Thomas Müller im Ernstfall wieder ein, wo das Tor steht oder haben sie's vergessen? Warum spielte Mario Götze eigentlich nicht mit, obwohl er mitspielte? Und ist es ein Grund zur Sorge, dass es gegen Benfica und den VfB "viele, viele Probleme mit langen, langen Bällen" gab, wie Guardiola feststellte?

Als VfB-Trainer Jürgen Kramny zum hünenhaften Ukrainer Artem Kravets noch den hünenhaften Ukraino-Bulgaren Boris Tashchy aus der zweiten Mannschaft einwechselte, lag der Ausgleich buchstäblich in der Luft - obwohl die Hünen technisch einen eher bedenklichen Fußball spielten.

Natürlich könne man behaupten, "dass wir uns von der Effizienz her steigern müssen", sagte Thomas Müller später, aber genauso dürfe man sagen, dass knappe Siege "ein Zeichen von Abgezocktheit und Cleverness sind, die großen Mannschaften nachgesagt werden". Eine der beiden Versionen wird wohl stimmen. Welche, könnte man schon am Mittwoch in Lissabon erfahren.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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