"The ball was behind the line?", fragte Gottfried Dienst. "Yes, behind the line!", antwortete Tofik Bachramow.
Dieser Dialog ist der berühmteste der Sport-Historie, und das Besondere an ihm ist seine zeitlose Schlichtheit. Genauso kurz und knapp wie 1966 im Londoner WM-Finale könnte auch heute noch ein Fußballspiel entschieden werden. Drin? Ja, drin! Wenn am Samstag der Linienrichter Frank Willenborg in Hoffenheim nach zehn Minuten mit seiner Fahne gen Mittelkreis gezeigt hätte, hätte Schiedsrichter Babak Rafati eine 1:0-Führung der Gastgeber gegen den FC Bayern besiegelt.
Hinter der Linie? Natürlich war dieser Ball hinter der Linie! Kein Streitfall wie vor 43 Jahren im Wembley-Stadion das sagenumwobene dritte Tor, das 3:2 der Engländer gegen die Deutschen. Alle haben es dieses Mal gesehen, mit bloßem Auge, alle im Stadion, alle in über 140 Ländern, in die Hoffenheim-Bayern (1:1) live übertragen wurde - nur zwei sahen nichts: Schiedsrichter Rafati und der Linienrichter Willenborg, die armen Tröpfe. Sie standen einfach ungünstig.
Natürliche Sehkraft reicht nicht aus
Seit jenem mythenbeladenen Wembley-Dialog zwischen Schiedsrichter Dienst und seinem Linienrichter Bachramow ist ein bisschen was passiert auf diesem Planeten. Er wurde in einer Rakete verlassen, um den Mond zu betreten, man hat 16 Jahre Kanzler Kohl erlebt, sah den Fall der Mauer, erweiterte die EU, erfand Globalisierung, Handy, Internet, und die USA wählten einen schwarzen Präsidenten.
Und selbst so erzkonservative Sportarten wie Tennis, Eishockey oder American Football rangen sich zu der Erkenntnis durch, dass es das Schiedsgericht mit naturgegebener Sehkraft allein nicht mehr schafft. In diesen Sportarten sind Sehhilfen längst akzeptiert, sie sorgen für faire Entscheidungen, aber auch dafür, dass sich ein Schiedsrichter nicht so leicht blamiert und damit vor den Profis rasant an Autorität verliert.
Uefa gegen technische Hilfsmittel
Allerdings ist es nicht so, dass seit 1966 nicht auch für den Fußball was erfunden worden wäre: Der Chip im Ball oder die Torkamera - fingernagelgroß und störungsarm im Pfosten anzubringen - seien serienreif, heißt es. Zwar hat der europäische Verband Uefa erkannt, dass in der Kernfrage des Spiels (Drin? Nicht drin?) etwas falsch läuft, sich aber gegen diese technische Hilfe ausgesprochen.
Stattdessen werde in Kürze der Einsatz eines fünften und sechsten Offiziellen in Tornähe getestet. "Menschlich bleiben", sagt Uefa-Präsident Platini, solle der Fußball. Der Fortschritt sitzt deshalb bald vermutlich auf einem Klappstuhl.