Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Elza Soares:Manés Muse

Die fabulöse Sängerin Elza Soares, die sich zu Lebzeiten den Ruf ersang, "die Stimme des Jahrtausends" zu sein, ist gestorben. Brasiliens Fußballwelt trauert mit - aus guten Gründen. Über eine besondere Beziehung zwischen Kunst und Kicken.

Von Javier Cáceres

Es gibt eine symbiotische Beziehung zwischen dem Fußball in Brasilien und der Kunst: die Musikalität der Namen, die fließenden Bewegungen, die Farbkombinationen der Uniformen, die Gesänge und die Trommeln auf den Tribünen - all das zahlt ein auf das Phänomen namens Futebol arte. Diese Beziehung war vermutlich nie inniger als in den 1950er und 1960er Jahren, als die Bossa Nova explodierte, die großen Helden der Música Popular Brasileira Erfolge feierten, und Brasiliens Seleção in ihren kanariengelben Trikots eine Welt eroberte, die noch Schwarzweiß war.

Mit Pelé, aber auch mit Manuel Francisco dos Santos, genannt Mané Garrincha, der die WM in Chile 1962 im Alleingang gewann. So beeindruckend, dass nicht wenige Brasilianer bis heute sagen, dieser Mané mit einem X- und einem O-Bein sei besser gewesen als Pelé. In den vergangenen Tagen wurde daran wieder erinnert. Denn Garrinchas Karriere war untrennbar verbunden mit Elza Soares, die 1999 von der nicht gerade zu Übertreibungen neigenden BBC "die Stimme des Jahrtausends" genannt wurde - und von der nun nicht nur die brasilianischen Feuilletonisten Abschied nahmen, sondern auch die versiertesten Fußallautoren des Landes und erst recht die brasilianischen Klubs.

Fast hätte man meinen können, dass da nicht eine wirklich monumentale Sängerin das Zeitliche gesegnet habe, sondern eine Märtyrerin des Fußballs. Als sie im Theater von Rio de Janeiro aufgebahrt wurde, waren die Kränze von CR Flamengo, dem ihr Herz auch gehörte, und natürlich Botafogo, dem Klub von Mané, unter den größten Gebinden.

Das lag auch daran, dass Soares die Muse Manés gewesen war, gerade in den Tagen des WM-Titels von Chile. Soares war da schon eine große Show; im Grunde war sie das, seit sie, noch minderjährig, verlacht wurde, weil sie bei einer Radioshow die viel zu große, ärmliche Kleidung der Mutter auftrug und dann das Lachen des Publikums verstummen ließ. "Von welchem Planeten kommst Du?", fragte der Showmaster entgeistert, und sie antwortete: "Vom gleichen wie Sie, vom Planeten Hunger."

Mit zwölf wurde sie verheiratet, mit 13 war sie schwanger, zwei ihrer fünf Kinder verhungerten

Vor wenigen Jahren nannte sie eine ihrer letzten Platten genau so: "Planeta Fome", und da hatte Brasilien längst erfahren, was das für sie - und in ähnlicher Form für Garrincha - geheißen hatte. Zwei der fünf Kinder, die sie auf die Welt gebracht hatte, als sie mit 21 Witwe wurde, verhungerten. Ihr erstes Kind verlor sie, da war sie 15. Ihr Vater hatte sie als Zwölfjährige verheiratet, mit 13 war sie erstmals schwanger.

Ihre wirklich große Liebe fand sie später: Mané Garrincha. Es entstand beileibe nicht die einzige Beziehung zwischen einer berühmten Sängerin und einem Fußballer, und es blieb auch nicht die letzte. Aber kaum eine war faszinierender, tragischer und schöner als diese, und vielleicht einte keine Liaison so dermaßen große Meister ihres jeweiligen Fachs wie Elza, die Königin der Samba, und Mané. Während der WM 1962 war auch sie in Chile, bei einer Show, die den großen Louis Armstrong zum Headliner hatte. Er nannte sie "my daughter", seine Tochter. Sie verstand: "My doctor". Was sie ohne Probleme verstand, war ein Versprechen, das ihr Mané in Valparaíso gab, und das er dann einhalten sollte: "Diese Copa hole ich für Dich."

Zueinander gefunden hatten sie in den Monaten vor jener WM. Dass der brasilianische Verband die Belegschaft des heute noch mitten in Santiagos Innenstadt florierenden Bordells namens Night & Day von den Mannschaftsärzten untersuchen ließ und dann unter Quarantäne stellte, um Ansteckungen unter den später siegreichen Kadermitgliedern zu vermeiden, verursachte keinen Skandal. Wohl aber dies: dass Mané seine Ehefrau verließ - und Elza wiederum ihren Partner Milton Banana, auch er ein berühmter Name der brasilianischen Musik. Sie musste brutale Anfeindungen ertragen, in den Zeitungen, die sie als Zerstörerin fremder Ehen behandelten, und privat.

Weltmeister Nílton Santos, der wegen seiner Weisheit auf dem Rasen A Enciclopédia genannt wurde, die Enzyklopädie, beschwor seinen Freund Garrincha, zur Gattin zurückzukehren: "Tausch sie nicht ein gegen diese ...". Elza Soares kam zu Ohren, welche Beleidigung Nílton Santos ausgestoßen hatte; er durfte Garrinchas Haus nie wieder betreten, obschon er dessen Mentor war und Freund.

Die Beleidigung hatte auch die Legende zum Hintergrund, dass sich Elza nur deshalb an Garrincha herangemacht hatte, weil (und nachdem) sie bei Pelé abgeblitzt war. Es waren nicht die einzigen Unterstellungen, die nicht stimmten. Nachdem Garrinchas Alkoholprobleme unübersehbar wurden, machte man sie dafür verantwortlich, dass er seine Karriere und letztlich sein Leben durch den Alkohol ruinierte - ungeachtet dessen, dass der ebenfalls aus ärmsten Verhältnissen stammende Mané schon als Teenager als Alkoholiker gelten musste.

Später wurde ihre Ehe zur Hölle: "Du wirst es noch bereuen, die Hand gegen mich erhoben zu haben", sang sie

Die Ehe, die sie schlossen, wurde mit den Jahren zur Hölle. Dass er, wie es Garrincha-Biograf Ruy Castro einmal formulierte, von den Auswärtsspielen mit Botafogo und der Seleção exotische Bakterien mit ins Heim brachte, ertrug sie noch. Sie zahlte für eine Knieoperation, mit der Garrincha seine Karriere über das 31. Lebensjahr hinaus dehnen konnte - der Klub hatte kein Vertrauen mehr in Mané. Dass er anfing, sie zu prügeln, verzieh sie nicht. "Du wirst es noch bereuen, die Hand gegen mich erhoben zu haben", sang sie in einem Lied namens "Maria da Vila Matilde", wobei Mané nicht der einzige Partner bleiben sollte, der sie schlug.

Garrincha starb 1983, neuerlich verarmt und in jeder Hinsicht ruiniert. Den Tod des einzigen Sohnes, den er mit Elza zeugte, erlebte er nicht mehr: Garrinchinha, der kleine Garrincha, starb mit neun Jahren bei einem Autounfall. Nach seinem Tod versuchte sie, sich umzubringen, geriet als Künstlerin in Vergessenheit, nahm Platten auf, die sich nicht verkauften, oder erst neulich - mit jahrzehntelanger Verzögerung - erschienen sind, so etwa die wundervollen Duette mit dem Gitarristen João de Aquino. Brasiliens Nina Simone erlebte eine ungeheuerliche Renaissance, feierte späte Erfolge. Und sie sang, bis zum Ende ihrer Tage, mit einer vom Leben gegerbten Stimme. Anfang Februar sollte sie noch ein Konzert geben, doch dazu kam es nicht mehr.

Elza Soares, die so viel mit dem brasilianischen Fußball zu tun hatte, obschon sie nie gegen einen Ball getreten hat, und die selbst sagen sollte, dass Garrincha die große Liebe ihres Lebens war, starb am 20. Januar. Auf den Tag genau 39 Jahre nach dem Tode von Mané, und es gab niemanden in Brasilien, der darin einen Zufall sehen wollte.

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