Amateurfußball:Ein Albtraum für Fußballromantiker

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Rund 270 dieser festinstallierten Kamerasysteme gibt es auf bayerischen Sportplätzen. Wenn das Sportgericht ihre Aufnahmen als Beweismittel verwenden darf, sollten alle eine haben, findet Bezirksliga-Trainer Franco Simon. (Foto: Markus Endberg/Imago)

Ein Spieler in der siebten Liga wurde wegen Videoaufnahmen für eine Tätlichkeit gesperrt. Der erste Schritt zum Videoschiedsrichter auf jedem Dorfplatz? Die Fifa hat solche Pläne.

Von David Kulessa

Ziemlich genau 25 Minuten waren am zweiten Spieltag der Bezirksliga Oberbayern gespielt, als Konrad Wanderer über den angemessenen Rahmen einer Kabbelei auf dem Fußballfeld hinausging. Nach Wortgefecht und harmloser Schubserei setzte der Kapitän des SC Unterpfaffenhofen, den Gegenspieler im Rücken mit dem Hinterkopf zum Kopfstoß an. Eine klare rote Karte. Eigentlich.

Denn der 26-Jährige hatte Glück. Das Schiedsrichter-Team war mit den Augen gerade woanders, er blieb auf dem Feld und erzielte die beiden Tore zum 2:0-Sieg. Auch am Dienstag drei Tage später spielte und traf der Kapitän. "Dann kam am Mittwochvormittag eine E-Mail, dass der Spieler ab sofort gesperrt ist", berichtet SC-Trainer Franco Simon.

Grund war ein laufender Prozess des Sportgerichts, angestoßen vom BCF Wolfratshausen, dessen Spieler den Hinterkopf abbekam. Der Verein hatte noch am Wochenende Beschwerde eingelegt. Sein wichtigstes Beweisstück war eine Videoaufnahme der Tätlichkeit. Auf Grundlage dieses Videos wurde Konrad Wanderer letztlich für fünf Spiele gesperrt.

Der SC Unterpfaffenhofen kommt für die Kosten der Kamera auf - und ärgert sich nun

Eine Geschichte, die den ein oder anderen Fußballromantiker hellhörig werden lassen könnte. Gibt es jetzt etwa tatsächlich den "Video-Beweis in der Bezirksliga!", wie eine Lokalzeitung aufgeregt titelte?

Zumindest ein Stück weit lautet die Antwort: ja. Fabian Frühwirth, Pressesprecher des bayrischen Fußballverbandes, erklärt: "Es gibt knapp 270 Sportplätze in Bayern mit automatisiertem Kamerasystem." Diese werden vielfältig genutzt. Unter anderem Livestreams, Zusammenfassungen und Spielanalysen sind in Zusammenarbeit mit einem privaten Dienstleister möglich. "Als nachträgliches Beweismittel in Sportgerichtsverfahren können die Aufnahmen ebenfalls eingesetzt werden", betont der BFV-Vertreter.

Auch am Sportplatz in Unterpfaffenhofen hängt eine solche Kamera, für die monatlichen Kosten kommt der Verein auf. Dass er dafür jetzt indirekt bestraft wird, kritisiert Trainer Simon: "Bei den Mannschaften, die diese blöde Kamera auf dem Platz haben, wird sie als Beweis hergenommen, bei den anderen bleiben solche Aktionen unbemerkt." Frühwirth kann dieser Argumentation nicht folgen: "Nicht weil da eine Kamera hängt, wurde der Spieler bestraft, sondern wegen der Tätlichkeit." Und sind solche auf Videobildern eindeutig zu erkennen, sei auch deren Verwendung legitim: "Wenn sie zu einem gerechteren Spiel und objektiveren Entscheidungen führen, ist das nur hilfreich."

"Dann muss der Verband gleiche Bedingungen schaffen und jedem Verein die Kamera zahlen."

Der SC Unterpfaffenhofen und ihr Trainer betonen, dass die Bestrafung für ihren Kapitän dem Vergehen angemessen sei. Auch sei er Videobildern als Hilfsmittel für solche Entscheidungen nicht grundsätzlich abgeneigt, sagt Franco Simon: "Aber dann muss der Verband gleiche Bedingungen schaffen und jedem Verein die Kamera zahlen." Das wiederum würde das Budget des Verbandes immens belasten. Und es den Klubs im Zuge des Zulassungsverfahrens vorzuschreiben, würde dem Ziel zuwiderlaufen, dieses möglichst kostengünstig zu gestalten.

Sowieso ziemlich fernab der Realität scheint auch bei diesem Thema mal wieder die Fifa unterwegs zu sein. Die stellte im November 2020 das Projekt VAR-Light vor. Das soll den Videoschiedsrichter auf "allen Stufen des Fußballs" ermöglichen. Wirklich konkret wird der Weltverband auch auf Anfrage nicht, nur so viel: Ziel sei eine ressourcenärmere Gestaltung des VAR, um ihn für noch mehr Fußball-Wettbewerbe zu ermöglichen.

Doch selbst in der viertklassigen Regionalliga, wo bei jedem Spiel Kameras vor Ort sind, gibt es dahingehend keine Bestrebungen beim BFV. "Aktuell ist nichts geplant", sagt Pressesprecher Frühwirth: "Es gibt dieses Pilotprojekt, von dem wir auch gelesen haben. Aber weder Verbände noch Vereine sind auf uns zugekommen." Auch der Videobeweis vor Gericht werde sehr dosiert und nur bei eindeutigen Wahrnehmungsfehlern der Unparteiischen eingesetzt.

Fußballromantiker können somit erleichtert aufatmen. Die Bezirkssportanlage von nebenan gewährt ihnen auch weiterhin Asyl vor dem Wahnsinn des modernen Profifußballs. Jedenfalls: noch.

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