Auf den ersten Blick machte Marc Wilmots einen ziemlich lässigen Eindruck, weißes Hemd, den obersten Knopf geöffnet, die Brille locker in der linken Hand. Wer den Sportdirektor des FC Schalke 04 nur flüchtig anschaute, hätte ihn sich auch in einem anderen Umfeld vorstellen können: locker an einem Tresen stehend, mit der rechten Hand eine Bestellung aufgebend. Nur sein Gesicht passte irgendwie nicht so ganz dazu, denn Wilmots’ Mimik deutete auf alles hin – nur nicht darauf, dass er jetzt ein Bier oder einen Cocktail ordern würde, um es sich dann beispielsweise in einem Strandkorb gemütlich zu machen.
Wilmots, 55, stand im Bauch des Nürnberger Max-Morlock-Stadions und brauchte seine rechte Hand nicht für eine Bestellung an einer Bar, sondern um zu unterstreichen, wie sehr es gerade in ihm arbeitete. „Das ist eine Fehlentscheidung – und das in einem so wichtigen Spiel“, zürnte Wilmots und sprach damit den Platzverweis für Ron Schallenberg an, der Nürnberg in seinen Augen zum Sieg verholfen hatte. „Wir haben drei Punkte dadurch verloren“, schimpfte Wilmots, „bis dahin hat Nürnberg keine Lösungen gefunden. Unser Torwart war arbeitslos.“
Preußen Münster:„Der Verein ist gerade im größten Umbruch seiner Geschichte“
Nach dem Durchmarsch aus der Regionalliga freut sich Münster auf das erste Zweitliga-Heimspiel seit 33 Jahren. Das 98 Jahre alte Stadion wird bei laufendem Spielbetrieb sukzessive umgebaut – und auch sonst soll es vorbei sein mit der Gemütlichkeit.
Am Ende aber gewann der Club mit 3:1 und feierte den ersten Sieg unter seinem neuen Trainer Miroslav Klose, während Schalke den Videoschiedsrichter infrage stellte. Tatsächlich war Schallenberg selbst gefoult worden, doch nicht sein Gegenspieler, der Nürnberger Caspar Jander, sah Gelb-Rot, sondern Schallenberg selbst. Eine Fehlentscheidung, die Wilmots dazu veranlasste, mit den Regeln zu hadern. „Warum nicht umgekehrt?“, fragte Schalkes Sportdirektor und meinte: Wenn ein Spieler Gelb sieht, der Video-Assistent aber der Meinung ist, Rot sei angemessen, dann schreitet er ein. Wenn ein Spieler aber mit Gelb-Rot vom Feld geschickt wird, obwohl die Verwarnung gar nicht angebracht ist, hat der Videoschiedsrichter nicht die Befugnis, sich einzuschalten.
Dass Schallenberg nun auch noch gesperrt ist, wenn der am Sonntag eingelegte Einspruch erwartungsgemäß nicht erfolgreich sein sollte, nannte Wilmots „katastrophal“, und er stand mit seinem Unverständnis nicht alleine da. Selbst auf Nürnberger Seite wünschte man sich etwas mehr „Fingerspitzengefühl“, sagte Klose und räumte ein: „Solche Sachen sind spielentscheidend.“ Tatsächlich kippte die Partie, als Nürnberg in Überzahl aus der Kabine kam und das 0:1 durch Ibrahima Cissé binnen zehn Minuten in ein 2:1 drehte. Erst traf Lukas Schleimer, dann Jander, der Mitte der zweiten Hälfte ebenfalls Gelb-Rot sah, ehe Rafael Lubach das Spiel unmittelbar nach seiner Einwechslung entschied.
Schalke will spätestens in zwei Jahren wieder Bundesligist sein, Nürnberg gibt sich Zeit
So fuhr Nürnberg nicht nur die ersten drei Punkte unter Klose ein – Nürnbergs Trainer hatte auch in erheblichem Maße zum Sieg beigetragen an diesem Samstagnachmittag, an dem alles so groß war: die Kulisse mit 50 000 Zuschauern, die Namen und die Historie der beiden Vereine, die sich gegenüberstanden – und nicht zuletzt auch die Ansprüche. Schalke will spätestens in zwei Jahren wieder Bundesligist sein, Nürnberg gibt sich zwar Zeit, doch auch beim Club gilt, was bei einem großen Traditionsverein von Haus aus gilt: Geschichte verpflichtet.
Und weil an diesem Tag also alles so groß war, lohnte sich ein Blick ins Kleine, dorthin, wo Trainer und Spieler unter sich sind: Die Kabine ist so etwas wie der letzte Ort, der der Öffentlichkeit versperrt bleibt, doch an diesem Tag wurde klar, dass nicht nur Schallenbergs Platzverweis ausschlaggebend gewesen war – Nürnberg hatte das Spiel auch in der Umkleide gewonnen. Nach allem, was man weiß, hat der FCN zwar kein einziges Tor hinter verschlossener Kabinentür erzielt, doch Klose rüttelte seine Spieler nach den ersten 45 Minuten mit einer derart energischen Ansprache auf, dass er den Club damit zurück in die Partie holte. „In der Halbzeit bin ich ein bisschen lauter geworden“, verriet Klose später, „ich musste die Jungs aufwecken.“
Von außen wirkt Nürnbergs Trainer stets ruhig und gelassen – dass er aber, wenn die Situation es erfordert, auch aus sich herausgehen und einem Spiel damit eine Wende verleihen kann, war eine Erkenntnis, die ihm jede Menge Glaubwürdigkeit verschafft. Allzu viel hat Klose als Trainer ja bisher nicht vorzuweisen, doch dieser Sieg mit dieser Dramaturgie schärft sein Profil. Wie das 3:1 zustande gekommen ist, dient Klose und vor allem seiner Mannschaft als Bestätigung, dass das, was Nürnbergs Trainer seinen Spielern nun schon seit fast zwei Monaten vermittelt, tatsächlich auch zum Erfolg führen kann.
Als der Weltmeister dann nach dem Spiel vor einem großen weißen Vorhang stand, nur ein paar Schritte neben dem Podium, auf dem die Pressekonferenz abgehalten wird, da sagte er: „Das hilft natürlich, der Sieg, ein bisschen Selbstvertrauen“ – das tue gut. Zwar habe seine Mannschaft in der ersten Hälfte „fast ängstlich gewirkt“, die Reaktion konnte sich aber sehen lassen. Und so fing die Stadionkamera Klose nach dem Spiel ein, wie er auf der Ehrenrunde strahlte, in die Hände klatschte und mehrere Vereinsmitarbeiter umarmte. Nürnbergs Trainer wirkte ziemlich gelöst, Marc Wilmots hingegen war nicht nach Freude zumute. Schalkes Sportdirektor war bedient – auch wenn sein Aufzug auf den ersten Blick etwas anderes sagte.