Süddeutsche Zeitung

Fußball: 1860 vor der Pleite:Insolvenz droht doch

Vor wenigen Tagen schien die Rettung nah, doch die Einigung für das Rettungskonzept blieb aus. Nun droht 1860 München doch als erster Profi-Klub während der Saison pleitezugehen. Es fehlen noch drei Millionen Euro.

A. Burkert und K. Ott

Es ist bald 50 Jahre her, dass die Sechziger zuletzt Erster waren. 1966 gewann der TSV 1860 München die deutsche Meisterschaft, mit Radenkovic, Heiß, Grosser und Brunnenmeier, mit dem Trainer Merkel. Diese Namen kannte damals jedes Kind. Am 28. Mai feiert der Giesinger Kultklub mit dem Löwen im Wappen sein Titeljubiläum, doch das könnte ein trauriges Fest werden. Denn die Sechziger drohen nun doch als erster Profi-Verein seit Einführung der Bundesliga im Jahr 1963 während der Saison pleitezugehen. Der Zwangsabstieg aus der zweiten Liga wäre die Folge, der TSV würde einen Absturz erleben, wie ihn bereits viele andere Traditionsklubs ertragen mussten; zum Beispiel Rot-Weiss Essen, dessen Idol Helmut Rahn die Deutschen 1954 mit seinem Siegtor gegen Ungarn zum Weltmeister geschossen hatte. RWE dümpelt heute in der "NRW-Liga".

Den stolzen Sechzigern blüht jetzt ebenfalls ein tristes Dasein im Amateurfußball: Stand Dienstagnachmittag fehlten nach SZ-Informationen noch die letzten zwei bis drei Millionen Euro von privaten Banken. Käme auch das zustande, könnte die Rettung gelingen - die übrigen Zusagen für den Sanierungsplan liegen größtenteils schon vor und würden dann wirksam werden. Doch die Zeit läuft davon. Bis spätestens Ende dieser Woche muss 1860 das fehlende Geld bei einer Bank auftreiben. Jemand, der bei den Krisengesprächen oft dabei ist, sagt: "Es wird verdammt schwer."

Seit Wochen verhandeln der neue Vereinspräsident Dieter Schneider und Geschäftsführer Robert Schäfer pausenlos mit Gläubigern und neuen Geldgebern. Den größten Teil der Finanzprobleme, die sich auf 22 Millionen Euro summieren, haben sie inzwischen gelöst. Schäfer und Schneider mühen sich redlich, das von ihren Vorgängern hinterlassene Chaos zu beseitigen. Vorige Woche sah es bereits so aus, als wären die Löwen gerettet. Doch das war ein Irrtum.

Das Sanierungskonzept stand eigentlich schon, als eine Krisenrunde am Münchner Flughafen mit Abgesandten von privaten und öffentlichen Banken am vorigen Freitag um den Durchbruch rang. Und am Montagabend, das war die Hoffnung, sollte alles dem Aufsichtsrat präsentiert werden. Aber daraus wurde nichts: Die Rettung scheiterte, weil sich ein namhaftes privates Kreditinstitut sowie Bayerns Landesbank, die Münchner Stadtsparkasse und weitere Beteiligte nicht auf die Details der geplanten Konsortiallösung einigen konnten.

In dieser, spätestens Anfang nächster Woche muss 1860 eigentlich die März- Gehälter seiner Profi-Kicker überwiesen haben. Klappt das nicht, wäre der Klub zahlungsunfähig - also insolvent, wie das unter Juristen heißt.

Was Schneider und Schäfer dem mit Politikern, Anwälten und Geschäftsleuten besetzten Aufsichtsrat dazu bei einer Sitzung Montagnacht mitzuteilen hatten, klang allerdings ziemlich ernüchternd. So ist weiterhin unsicher, ob das geplante Bankenkonsortium überhaupt und rechtzeitig zustande kommt. Und bei den vermeintlichen privaten Geldgebern, die sich dauernd melden, steckt oft wenig dahinter. Und falls doch jemand wirklich Geld hätte, läge gleich das nächste Problem vor. Aus Vereinskreisen ist zu hören, angeblich wolle eine Gruppe internationaler Investoren "sofort zwölf Millionen Euro" hinlegen, dafür aber den Klub gewissermaßen übernehmen, also das Sagen haben. 1860 wäre nicht mehr Herr im eigenen Haus und den Geldgebern ausgeliefert. Das will niemand beim TSV, und der Bundesliga-Verband würde dem wohl auch nicht zustimmen.

Es ist ohnehin fraglich, ob sich in wenigen Tagen ein Vertragswerk aushandeln ließe, mit dem ein Investor ganz schnell das nötige Kapital bereitstellt. Zehn Millionen, das ist nach aktuellem Status die Summe, die der TSV dringend an frischem Geld braucht, und die das Bankenkonsortium aufbringen soll: zwei Millionen Euro, um überhaupt damit beginnen zu können, den alten Schuldenberg in Höhe von nunmehr 14 Millionen Euro abzutragen; außerdem 3,5 Millionen für die laufende Saison und weitere 4,5 Millionen für die Lizenz 2011/12.

Allzu lange haben die Sechziger ihre Altschulden und die Probleme einfach vor sich hergeschoben, haben sich einen viel zu teuren Kader und sonstige Extravaganzen geleistet sowie unter der teuren Arena gelitten, die dem reichen Lokalrivalen Bayern München gehört. Erst seitdem Schäfer und Schneider am Werke sind, kommen alle Zahlen auf den Tisch, wird bilanziert und aufgeräumt. Vielleicht zu spät.

Nach der gescheiterten Krisenrunde am Flughafen schob man sich im Kreise der Finanzinstitute und weiterer Beteiligter gegenseitig die Schuld zu. In der an der Rettungsaktion beteiligten Privatbank soll man ungehalten über die öffentlichen Geldinstitute und die Politik sein. Das zielt auf die Stadtsparkasse, die BayernLB und auf die Förderbank LfA, die ebenfalls dem Freistaat gehört. Die LfA, die den Mittelstand unterstützt, sollte eine Bürgschaft übernehmen und so neue Kredite für 1860 ermöglichen. Bei der Krisenrunde scherte die LfA allerdings aus. Ihre Satzung und Auflagen der Europäischen Union (EU) machten es der Förderbank nicht möglich, den Löwen zu helfen, heißt es in Bayerns Regierung.

Stadtsparkasse und Landesbank haben ein weiteres Problem. Sie dürfen offenbar nur den kleineren Teil des notwendigen 10-Millionen-Kredits stellen, weil sonst eine verbotene Staatsbeihilfe vorliegen könnte. Ganz abgesehen davon, dass sich alle Banken einem Beteiligten zufolge "wie die Hyänen" um die letzten verbleibenden Sicherheiten streiten, die 1860 noch bieten kann - etwa die TV-Erlöse der nächsten Saison. Soll die Banken-Lösung klappen, braucht der TSV private Institute, die gut fünf Millionen Euro bereitstellen. Bisher ist davon nur die Hälfte absehbar. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Wie es wirklich um den TSV 1860 München steht, das wusste lange niemand genau. Erst jetzt, nachdem der neue Geschäftsführer Robert Schäfer und der neue Präsident Dieter Schneider monatelang alles geprüft und allseits verhandelt haben, ist die Lage klar. Den TSV drücken inzwischen Altschulden in Höhe von 14 Millionen Euro, von denen nach einer Sanierung noch sieben Millionen Euro übrig blieben. Die müssten später beglichen werden, wenn die Löwen gesund wären.

Den Schuldenstand und das Sanierungskonzept kennen inzwischen sowohl der Aufsichtsrat von 1860 wie auch die Gläubiger, Banken und Politiker, die zur Rettung beitragen sollen. Das Konzept sieht mehrere Maßnahmen vor, mit denen die Altlasten auf einen Schlag um die Hälfte verringert werden wollen. Eine Bank, der die Sechziger drei Millionen schulden, soll dafür Anteile an der Fußball-KGaA des TSV bekommen. Die KGaA ist jene Firma, mit der die Löwen in der zweiten Liga spielen. Andere Gläubiger sollen teilweise ihr Geld erhalten und teilweise darauf verzichten. Um diese Gläubiger teilweise auszahlen zu können, braucht der TSV 1860 zwei Millionen Euro an neuen Krediten. Und das zusätzlich zu den acht Millionen Euro an neuen Darlehen, die diese und nächste Saison für die laufenden Kosten und Ausgaben noch notwendig sind.

Zu den Gläubigern des TSV gehört auch der reiche Nachbar, der FC Bayern München. Dessen Arena schulden die Sechziger derzeit etwas mehr als zwei Millionen Euro. Diesen Betrag würden die Bayern stunden - ohne dass Zinsen darauf fällig wären. Auch mit anderen Gläubigern haben sich die Sechziger auf eine solche Lösung verständigt. Und dann ist da noch eine Anleihe bei den Fans in Höhe von 700000Euro. Doch die ist das geringste Problem. Die Fans werden kaum auf einer Rückzahlung bestehen.

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Quelle:
SZ vom 30.03.2011/jüst
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