Funktionäre:Das größte Problem des Spitzensports

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Der Sport hat nur eine echte Wundstelle, an der sich alle Probleme entzünden: Sein Führungspersonal. Im Bild: IAAF-Präsident Coe. (Foto: REUTERS)

Der Spitzensport hat kein Problem mit Doping oder Korruption, mit sinistren Sportlern oder Agenten. Er hat nur eine echte Wundstelle, an der sich alle Probleme entzünden: sein Führungspersonal.

Kommentar von Thomas Kistner

Es war surreales Theater, als im Januar eine Sondereinheit der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada in München ihre Ergebnisse zur verseuchten Leichtathletik präsentierte. Zuvor, in einem Report, hatte der Stab unter Cheffahnder Dick Pound die Funktionäre sogar als "Drecksäcke" bezeichnet - und zu Sebastian Coe befunden, der IAAF-Boss habe "lange Gelegenheit gehabt, das Problem anzugehen". Unglaubwürdig sei, dass die IAAF vom Treiben der Clique um Langzeit-Boss Lamine Diack und dessen Sohn "nichts mitgekriegt" haben will.

Aber dann, in München, sah Pound plötzlich alles anders. Der Kanadier bügelte jede Kritik an Coe ab. Für die Aufräumarbeit konnte er sich "keinen Besseren vorstellen" als den englischen Lord, der eigens aus London herbeigeeilt war und sich, keine Peinlichkeit scheuend, unter das Medienvolk gemischt hatte.

Klar. Seine Sportlordschaft hat nie was mitgekriegt. Coe, der viele Jahre auf den IAAF-Thron hingearbeitet hatte, wusste auch nie davon, dass ein Zirkel um den Sohn seines Amtsvorgängers, IAAF-Marketingberater Papa Diack, auffällige Blutwerte russischer Athleten gegen Schmiergeld vertuschen half. Der ahnungslose Coe, der 2015 im Londoner Parlament eigene Interessenskonflikte erklären musste: Als gut dotierter Nike-Botschafter hatte er für die WM-Vergabe 2021 an Eugene (USA) lobbyiert. Eugene, zufällig Sitz von Nike, wurde ohne Bewerbungsprozess gekürt. Coe wies alle Vorwürfe zurück. Wie in der Russen-Affäre, als die Beweise vorlagen: Darin sah er nur eine "Kriegserklärung" der Medien an den Sport.

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Und Pounds Münchner Kehrtwende? Wird durch seine Vita erklärt. Der Kanadier ist Wada-Gründungspräsident und IOC-Alterspräsident. Der jetzige Wada-Chef Craig Reedie sitzt im IOC-Vorstand, ist Brite und wie Coe in der Dopingaffäre mit entlarvender Nähe zu Moskaus Potentaten aufgefallen. Natürlich ist auch Coe eng mit Thomas Bach, als dessen Nachfolger an der IOC-Spitze er sogar galt: Shakespeare und Goethe, werden sie geneckt. Familie halt. So nennt sich das Netzwerk selber, das den Sport beherrscht.

Nun fliegt auf, dass Coe vor der Russen-Affäre Hinweise auf Doping und Korruption erhalten habe, aber die brisante Mail nicht gelesen haben will. Auch soll ihm der von Interpol gesuchte Diack für die Thronwahl Voten aus Afrika besorgt haben. Prompt spielt Coe wieder routiniert den ahnungslosen Lord. Man sollte seine Ausflüchte schlicht ignorieren - so wie er, wenn er Betrugshinweise erhält. Die Causa Coe zeigt: In IAAF, Wada und dem Dachgremium IOC läuft alles genauso krumm ab wie im Bruderverband Fifa.

Der Spitzensport hat kein Problem mit Doping oder Korruption, mit sinistren Sportlern oder Agenten, auch nicht mit gierigen Sponsoren oder den Figuren, die auf russischer Staatsseite offenbar die Manipulation steuern. Der Sport hat nur eine echte Wundstelle, an der sich alle Probleme entzünden: Sein Führungspersonal. Funktionäre, die all das ermöglichen, die Korruption zur Geschäftsbasis und den Dopingkampf zur Propaganda gemacht haben. Dieses Geschäftsmodell ist nur geschützt, wenn der Betrug abgesichert wird. Daher sind es stets nur Medien oder staatliche Fahnder, die etwas im Sumpf aufdecken; nie der Sport selber. Vergesst die neue Sanktion gegen Russland - sie wird vor Rio garantiert noch aufgeweicht; es werden Russen dabei sein. Vergesst dopende Sportler. Schaut nur auf die Funktionäre: Auf die Familie.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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