Deutsche Nationalmannschaft:Niclas Füllkrug arbeitet am nächsten Comeback

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Erst 63 Spielminuten in der Premier League: Niclas Füllkrug nach seinem Wechsel von Borussia Dortmund zu West Ham United. (Foto: Michael Zemanek/Shutterstock/Imago)

Mit einem Wechsel in die Premier League wollte Niclas Füllkrug seine Torjägerkarriere abrunden. Nun bremst ihn eine langwierige Verletzung – und er muss dabei zusehen, wie sich für seine Planstelle im DFB-Team neue Bewerber aufdrängen.

Von Sven Haist, London

Einen Spieler wie Niclas Füllkrug hat West Ham United in der Premier League noch nie verpflichtet. Der ambitionierte Mittelklasseklub aus dem Londoner East End hat in den vergangenen Jahren zwar einige kostspielige Transfers getätigt, unter anderem jenen von Angreifer Sébastien Haller, der im Sommer 2019 für 50 Millionen Euro von Eintracht Frankfurt gekommen war – der Rekordeinkauf bis heute. Aber mit Füllkrug besitzt West Ham seit Anfang August einen deutschen Nationalstürmer, der bei Welt- und Europameisterschaften getroffen hat und mit Borussia Dortmund in der vergangenen Saison im Finale der Champions League stand.

Nachdem ihm der BVB vor dieser Spielzeit demonstrativ den Stuttgarter Serhou Guirassy als Konkurrenten vor die Nase gesetzt hatte, entschied sich Füllkrug nach seiner Debütsaison in Dortmund zum erneuten Wechsel – vielleicht auch, weil fraglich erschien, was er mit dem BVB noch mehr hätte erreichen können als ein Finale in der Champions League. Seinerzeit sagte Füllkrug, es sei wichtig für ihn, einen Klub zu haben, in dem er eine „zentrale Rolle“ spiele. West Ham überwies stattliche 27 Millionen Euro für den 31-Jährigen. Die Sympathisanten dieses stets leidenschaftlichen Traditionsklubs konnten es kaum erwarten, bis Füllkrug seine ersten Tore erzielt – und er selbst auch nicht. Sein bis 2027 datierter Vertrag bei West Ham war die einmalige Gelegenheit, um die Laufbahn mit einer Station in der Premier League abzurunden.

Ist das eine Achillessehnenreizung – oder doch eine Entzündung?

Allerdings fehlt Niclas Füllkrug seinem neuen Klub inzwischen seit zwei Monaten verletzt, so lange ist er seit Jahren nicht mehr ausgefallen. Während des Länderspielblocks im September zog sich der Angreifer eine empfindliche Reizung der Achillessehne zu. Die lange Ausfallzeit könnte aber darauf schließen lassen, dass es sich inzwischen vielleicht doch mehr um eine Entzündung als um eine Reizung handelt. Anfangs war West Hams Coach Julen Lopetegui davon ausgegangen, Füllkrug sei nach zwei Wochen wieder einsatzbereit. Doch die Beschwerden halten sich hartnäckig, es habe „Komplikationen“ gegeben, räumte Lopetegui kürzlich ein.

Solche Verletzungen können aus Überlastung entstehen. In der Vorsaison absolvierte Füllkrug 57 Pflichtspiele für Klub und Nationalelf, der Höchstwert in seiner Karriere. Nach der Heim-EM blieb ihm fast keine Zeit zur Regeneration, schon nach drei Wochen kehrte er aus dem Urlaub zurück. Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, versuchte West Ham, ihn sorgsam aufzubauen: Lopetegui setzte Füllkrug in der Liga jeweils nur als Einwechselspieler ein, in drei Partien kam er zu Saisonbeginn auf zusammengerechnet nur 63 Spielminuten. Einzig im League Cup stand er im August in der Startelf. Eine Torbeteiligung gelang Füllkrug in diesen Matches nicht.

Seine Absenz ist für ihn und West Ham gleichermaßen schmerzhaft. Der Stürmer wollte das in ihn gesetzte Vertrauen zurückzahlen, und der Klub benötigt dringend seine Tore. Der Verein hat sich vom Saisonstart mehr versprochen, erst recht nach den Großinvestitionen im Sommer, als fünf Spieler für 150 Millionen Euro kamen und mit Lopetegui ein neuer Trainer. Nach elf Spieltagen steht das Team auf dem 14. Tabellenplatz. Anders als in Deutschland, wo die Klubs ihren Spielern im Verletzungsfall nur sechs Wochen den vertraglich vereinbarten Lohn fortzahlen müssen, greift in England nach so kurzer Zeit noch keine Frist. Immerhin erhält West Ham wohl finanzielle Unterstützung durch die Fifa – weil Füllkrugs Verletzung in die Zeit der Abstellungspflicht für Nationalspieler fiel. Ab 28 Tagen kompensiert der Weltverband einen Ausfall mit rund 20 000 Euro pro Tag. Die Höhe des Zuschusses hängt vom Gehalt des Spielers ab, das sich bei Füllkrug auf einen mittleren einstelligen Millionenbetrag belaufen dürfte. Die Rehabilitationskosten dürften indes allein auf West Ham zurückfallen.

Für einen Wechsel im Winter gibt es derzeit keine Anzeichen

Zuletzt häuften sich die Gerüchte um Füllkrug, manche Medien spekulierten sogar über einen vorzeitigen Abschied im Winter. Die Rede war bereits von einem Missverständnis, obwohl Füllkrug bisher nicht mal richtig für West Ham gespielt hat. Tatsächlich gibt es solche Anzeichen nach SZ-Informationen derzeit nicht. West Ham stärkt Füllkrug den Rücken, der wiederum an seiner Rückkehr in den Spielbetrieb arbeitet. Der Verein war jahrelang auf der Suche nach einem verlässlich treffenden Angreifer. Gerade versucht sich Michail Antonio auf der Position, ihm gelang aber nur ein Tor in elf Ligaspielen.

West Hams Führung um den Technischen Direktor Tim Steidten, der zuletzt für Bayer Leverkusen und Werder Bremen arbeitete, imponierte Füllkrugs Bilanz: In den zurückliegenden drei Bundesliga-Saisons traf er für Dortmund und Bremen immer zweistellig. Mit seiner Robustheit und Abschlussstärke passt Füllkrug eigentlich genau zum geplanten Wandel des Spielstils bei West Ham. Im Vergleich zum Konterfußball unter Vorgänger David Moyes bevorzugt Lopetegui ein Vorgehen mit mehr Ballbesitz. In der Offensive verfügt man über talentierte Spieler, die sich über einen Torjäger freuen würden.

Bisher hat die Elf ihr Potenzial nicht umsetzen können – wie Füllkrug, den in seiner Karriere immer wieder komplizierte Verletzungen zurückwarfen. Auf fast all seinen Stationen (Werder Bremen, 1. FC Nürnberg, Hannover 96) fiel er bisweilen monatelang aus: Er erlitt unter anderem einen Knorpelschaden in beiden Knien und einen Kreuzbandriss. Trotzdem arbeitete er sich stets beeindruckend zurück. Eine genaue Rückkehr ist derzeit schwer zu prognostizieren. Seine Situation erinnert an Mitspieler Antonio, der einst bei West Ham ebenfalls einen schweren Start hatte, bevor er zum Publikumsliebling wurde. Dasselbe ist Füllkrug zuzutrauen – und davon wird auch abhängen, wie seine Karriere in der Nationalmannschaft weitergeht, in der ihm während seiner Ausfallzeit neue Konkurrenz erwachsen ist. Während Arsenal-Angreifer Kai Havertz und der Stuttgarter Deniz Undav einen anderen, eher spielerischen Stürmertypus verkörpern, hat sich der Gladbacher Tim Kleindienst einstweilen die Planstelle „körperlich präsenter Mittelstürmer“ gesichert. Aber wer Niclas Füllkrug kennt, weiß, wie viel er investieren wird, um sie sich wieder zurückzuholen.

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