Führungsdebatte beim Radverband:Rudolf Scharping schwenkt um

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Sylvia Schenk oder Rudolf Scharping: Wer wird in Zukunft den BDR anführen? (Foto: dpa)

Die rigorose Doping-Gegnerin Sylvia Schenk hat sich bereit erklärt, den Bund Deutscher Radfahrer als Präsidentin anzuführen. Plötzlich erweckt auch der Amtsinhaber den Eindruck, er könnte erneut kandidieren. Welchen Plan verfolgt Rudolf Scharping damit?

Von Thomas Kistner

Aus seiner Amtsmüdigkeit machte Rudolf Scharping, der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), seit Mitte Dezember keinen Hehl. Dass er "zunehmend weniger Neigung zu einer weiteren Kandidatur" beim Konvent am 23. März verspüre, habe er verbandsintern immer wieder erklärt, "auch vor 20, 30 Leuten", sagt Hans Lutz, der Präsident des württembergischen Landesverbandes.

Letzte Zweifel an Scharpings Abtritt waren zerstreut, als er in der Vorwoche Präsidiumsmitglieder, Landeschefs und sogar rad-net.de, laut Selbstdefinition das "amtliche Organ und Medienpartner des BDR", persönlich ins Bild setzte: "Angesichts meiner geschäftlichen Belastungen und der jetzigen Umstände der Arbeit im Präsidium des BDR habe ich dem BDR-Präsidium mitgeteilt, dass ich im März nicht erneut für das Amt des Präsidenten kandidiere."

Seitdem scheint Umwälzendes passiert zu sein. "Man fragt sich, ob sich seine berufliche Belastung über die letzte Woche verändert hat", sagt Lutz, Olympiasieger im Bahnvierer von 1976 und viermaliger Weltmeister. Nicht nur sein Eindruck ist: Scharping macht plötzlich Wahlkampf. Am Samstag wird er beim Verbandstag in Baden erwartet, angefragt wurde auch der Württemberger Verbandsausschuss am selben Tag; am Sonntag erwartet ihn dann Nordrhein-Westfalen, die Höhle des Löwen: Wie Lutz zählt auch NRW-Chef Toni Kirsch zu den internen Kritikern des früheren Politikers.

Beim BDR wird Scharpings jähe Ochsentour als normale Amtspflicht verkauft - aber ist das so? Zugleich meldete ja die Nachrichtenagentur dpa Irritierendes: "Im Dachverband beeilte man sich zu erklären, dass es nie eine offizielle Mitteilung zum bevorstehenden Rücktritt Scharpings gegeben habe." Als ob es die brauchte, wenn der Präsident persönlich die Kollegen und das Amtsorgan informiert.

Was könnte den dramatischen Meinungsumschwung verursacht haben? Wie üblich in der meist furchtsam verschwiegenen Funktionärswelt, gehen seit kurzem gallige Mails hin und her; offiziell aber wird überall gemauert. Dabei herrscht massive Spannung im nationalen Radsport, seit klar ist, dass Sylvia Schenk für das Spitzenamt bereit stünde. Ausgerechnet Schenk: Bis 2005 Vorgängerin von Scharping, rigorose und streitbare Verfechterin eines klaren Anti-Doping-Kurses, dazu Vorstandsmitglied einer Organisation, mit der sich Sportverbände traditionell schwer tun: Transparency International (TI).

Schenk, die auch TI-Sportbeauftragte ist, hat schon Programmatisches durchblicken lassen, was in den Ohren manches altgedienten Radfunktionärs wie die blanke Drohung klingen mag. Glaubwürdigkeit in der Dopingbekämpfung, der intensive Dialog mit der Basis - die Frankfurter Anwältin würde dort anknüpfen, wo sie 2005 gescheitert war. Damals, als Branchen-Idol Lance Armstrong am Zenit seiner schmutzigen Karriere war und auch die restliche schmutzige Realität vom Freiburger Universitäts-Doping im T-Mobile-Rennstall bis zum spanischen Blutpanscher Eufemiano Fuentes noch unter dicken Teppichen verborgen lag. Seitdem hat sich einiges geändert.

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Wenn auch nicht viel im deutschen Radsport. Auch dort flogen zwar die Helden von Jan Ullrich über Rolf Aldag bis Erik Zabel auf, dazu renommierte Ärzte aus dem Verbandssport, trotzdem wurde weiter die gerade hierzulande unverzichtbare Einzelfallthese gepflegt. In Deutschland, wo es kein Anti-Doping-Gesetz gibt, nur eine zahme, von Sport und Politik gesteuerte Test-Agentur, wird das heikle Thema ungern stärker betont, als unbedingt nötig.

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Auch Scharpings BDR ist nicht durch glaubwürdige Aktionen aufgefallen. Eher durch merkwürdige. Etwa im Hinblick auf den langjährigen Sportdirektor Burckhard Bremer, der in der Vergangenheit der Dopingvertuschung bezichtigt wurde. 2011 herrschte sogar im sonst gründlich zerstrittenen Bundestag-Sportausschuss einhelliges Entsetzen, als der BDR ein Gutachten zugunsten Bremers präsentierte, das der Bruder eines im Leistungssportbereich des BDR angestellten Mitarbeiters geschaffen hatte. Noch heute, betonen Lutz und andere, sei Bremer im Hintergrund stark virulent. Von einer Beraterrolle ist die Rede.

Was immer Schenk oder Scharping zu bieten haben: Es liegt nicht auf derselben Welle. Alles klingt nach der Wahl zwischen Zeitenwende oder der Kontinuität alter Kameraden. Zweimal haben sie telefoniert, auf frühzeitige Initiative von Schenk. Radsport-Veteran Hans Lutz ist der Mann, der Schenk Ende Januar erstmals angesprochen und Mitte Februar konkret bearbeitet hat. Auf Scharping, gegen den er "persönlich nichts" hat, zählt er nicht mehr, den sieht er so wie viele andere: Der BDR-Chef sei nicht zu fassen.

"Ich bemühe mich, Gehör zu finden, Scharping sagt, er sei interessiert am Dialog, aber nie passierte etwas", sagt Lutz; außer, "dass sportlich bestimmte Dinge ohne Rücksprache veranlasst" wurden. Jetzt habe den ehemaligen Politiker mal wieder "das Wahlkampf-Gen gepackt, da wird richtig Remmidemmi gemacht, aber danach passiert dann dreieinhalb Jahre lang nichts".

Deshalb ist Schenk Wunschkandidatin für die 74 Delegierten aus Württemberg. Und vermutlich auch in Nordrhein-Westfalen, dem größten der 17 Landesverbände mit mehr als 100 Stimmen. Macht zusammen schon rund 180 Voten von insgesamt 605. Es gäbe weitere Landesverbände, die Schenk Unterstützung signalisiert haben, sagt Lutz. Seine Hochrechnung deutet auf ein knappes Rennen hin.

"Im Moment", sagt Sylvia Schenk, "sieht es nach einer Schlammschlacht aus. Da mische ich mich nicht ein." Eine anständige Auseinandersetzung würde sie nicht scheuen. "Mein Angebot steht, mich inhaltlich mit dem Radsport auseinanderzusetzen - mit oder ohne Kandidatur. Ich will helfen, eine Aufbruchsstimmung in Gang zu setzen."

© SZ vom 09.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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