Früherer Frankfurter Gelson Fernandes:"Der Körper hat ein Gedächtnis"

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Karriereende in Frankfurt: Gelson Fernandes. (Foto: Jan Huebner/Jan Huebner/imago)

Zum Saisonende hat der Schweizer Gelson Fernandes seine Karriere bei Eintracht Frankfurt beendet. Er spricht über Geld, rassistische Anfeindungen und seinen Traum, dass er sich gerne einen Klub kaufen würde.

Von Peter M. Birrer und Marco Keller, Lausanne

Er wusste es am 30. Mai noch nicht, aber Gelson Fernandes durfte mit einem Sieg als Fußball-Profi abtreten. Der defensive Mittelfeldspieler stand damals 13 Minuten lang auf dem Feld für seine Frankfurter Eintracht im Bundesliga-Spiel beim VfL Wolfsburg 2:1 gewannen die Frankfurter - Gelson Fernandes stand beim Siegtor von Daichi Kamada kurz vor Schluss auf dem Platz. Elf Bundesliga-Einsätze hatte Fernandes in dieser verlängerten vergangenen Bundesliga-Saison noch.

Diese war allerdings tatsächlich etwas verkorkst für den 33-jährigen Schweizer. Auf eine Gelb-Rotsperre im November folgten ein Infekt im Dezember und ein Sehnenriss im Januar. Nach der virusbedingten Pause und dem Spiel in Wolfsburg stoppte ihn schließlich noch eine Wadenverletzung, dann beendete er im Alter von 33 Jahren seine Karriere. Bis auf die erste Liga in Spanien hat der Schweizer in allen großen Fußball-Ligen Europas gespielt. 67 Mal spielte er seit dem 21. August 2007 zudem für sein Heimatland. In Lausanne verabschiedete er sich nun von den Journalisten.

Sie sagten einmal, dass Sie Verabschiedungen nicht ausstehen können. Hier machen Sie nicht den Eindruck, als würde Ihnen das Mühe bereiten.

Es ist keine Verabschiedung im eigentlichen Sinn, sondern eine Gelegenheit, um Danke für die Zusammenarbeit zu sagen. Meinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündete ich per Communiqué, meinen Rücktritt als Profi ebenfalls. Nun war es mir wichtig, einige Leute zu treffen, mit denen ich oft zu tun hatte.

Sie traten in Zeiten von Corona ab. Ohne Zuschauer. Ohne Emotionen.

Ja. Aber das letzte Spiel in Frankfurt mit 55 000 Zuschauern, mit meiner Familie im Stadion... Das wäre kaum machbar gewesen, weil es zu emotional geworden wäre. Ich hätte ziemlich gelitten.

Sie haben mehr als Ihr halbes Leben als Profi verbracht. Was hat das mit Ihnen als Mensch gemacht?

Der Fußball hat mich geprägt: Ich musste mich durchkämpfen. Er hat mir auch Werte vermittelt, die mich weiter begleiten werden. Ich habe immer die Ärmel hochgekrempelt, und ich werde auch in Zukunft arbeiten. Man sagt oft, dass Fußballer nach dem Karrierenende im Leben überfordert sind. Ich glaube nicht, dass das auf mich zutrifft.

Haben Sie schon angefangen?

Eben erst habe ich eine ganze Woche im Büro in Sitten verbracht, von 7.30 bis 17 Uhr, ohne Besuch im Schwimmbad. Wieso habe ich das gemacht? Als ich aus Frankfurt ins Wallis zurückgekehrt war, sagte ich mir: Ich bleibe nicht einfach daheim und schaue, was kommt. Ich hatte Lust zu erleben, wie sich das anfühlt. Ich kümmerte mich um Immobilien - am Freitag war ich fix und fertig.

Stottert Ihr Motor schon derart, dass Sie mit 33 aufhören mussten?

Ja, ich kann nicht mehr mehr auf meinem Niveau spielen, da muss ich ehrlich mit mir sein. Von den letzten sechs Monaten war ich viereinhalb verletzt. Das machte keinen Spass mehr. Wenn die neue Meisterschaft beginnt, bin ich 34. Gibt es in der Bundesliga viele Spieler mit 34? Schauen Sie sich die 18 Klubs an, und wie viele defensive Mittelfeldspieler es mit 34 gibt. Nullkommanull. Ich hätte sicher noch ein Jahr in der Schweiz spielen können, aber das war keine Option. Ich wollte auf ganz hohem Niveau aufhören.

Sie spielten in vier der fünf größten Ligen Europas. Wieso fehlt Spanien in Ihrer Vita?

Ich hätte letztes Jahr nach Spanien wechseln können, aber mein Manager war nicht heiß (er schaut zu seinem Schwiegervater und lacht). Seine Tochter schon, er aber nicht. Ich hätte 2009 bei Betis Sevilla unterschreiben können, und auch einmal beim FC Sevilla, aber es hat sich dann nie ergeben.

Welche Liga hat Ihnen am meisten gegeben?

In punkto Emotionen die Bundesliga, mit all den vollen Stadien. England ist sehr prestigeträchtig, aber Deutschland bietet ein Produkt, das für einen Spieler sehr interessant ist.

2007 überwies Manchester City 9,5 Millionen Franken (etwa 8,9 Millionen Euro) Ablöse für Sie an den FC Sion. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Summe hörten?

Eigentlich hätte zu Hertha BSC wechseln sollen, aber es kam nicht zu einer Einigung. Da rief mich mein Agent an: Hör zu, wir gehen nach Manchester. Sions Präsident Constantin gab die Summe stolz bekannt. Es war damals Schweizer Rekord. Für mich war es einfach eine Zahl.

Und in Manchester gab es auch etwas mehr Lohn als bei Sion.

Ich verdiente im Wallis schon gut, 12 000 Franken pro Monat, als 18-Jähriger. Mit so viel Geld kam ich mir vor wie ein Ölbaron, ich lebte ja noch zuhause. Natürlich, ich musste ja auch noch Rechnungen für die Familie bezahlen, es waren nicht 12 000 Franken Taschengeld. Aber es blieben ein paar Franken.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich ein junger Mensch den Kopf verdrehen lässt?

Man kann sich ab und zu etwas leisten. Aber man sollte intelligent sein und große Dummheiten vermeiden. Und manchmal ist es nicht schlecht, wenn sich ein Spieler die Finger verbrennt. Ich mochte Casinos nie, ich fand auch keinen Gefallen an teuren Uhren. Und meine Autos habe ich geleast.

Was denken Sie, wenn Franck Ribéry in Dubai ein Goldsteak isst und das Ganze in den sozialen Medien gepostet wird?

Vermutlich dasselbe wie Sie. Was ich manchmal vermisse: die Sensibilität den Fans gegenüber. Ganz viele Leute leiden, weil sie nicht viel haben. Und das, was sie haben, geben sie für den Fußball aus. Ist es dann nötig, meinen Reichtum so zu präsentieren? Nehmen wir Saint-Etienne. Das ist eine Arbeiterstadt, die Menschen dort haben nicht viel, und trotzdem sind sie bereit, viel für ein Ticket zu bezahlen. Als ich da war, fuhren wir Fußballer mit Luxusautos durch die Gegend. Der Klub hätte uns darauf hinweisen müssen: Jungs, das geht nicht. Lasst diese Autos in der Garage, kommt mit einem kleinen Wagen. Alles andere passt nicht in die Welt und zu den Werten von Saint-Etienne.

Mussten Sie sich in Ihrer Karriere auch gegen rassistische Angriffe wehren?

Ich war mehrmals mit Rassismus konfrontiert. Im Wallis gab es damals nicht viele Schwarze. Wir lebten in einem Quartier mit ganz vielen Ausländern, das machte es etwas einfacher. Wir lebten in einfacheren Verhältnissen als viele Schweizer und staunten manchmal, wie die wohnten, mit Garten und Pool... Wir dachten: unglaublich!

Wie war es im Ausland?

In Italien erlebte ich Rassismus mehr als einmal, als ich bei Chievo Verona unter Vertrag stand. Nie im Stadion, aber außerhalb. Sie zerstörten mein Auto und schrieben darauf: "Negro di merda, geh nach Hause." Und einmal erledigten sie vor meiner Haustür ihre Notdurft...

Was geht einem in solchen Moment durch den Kopf?

Schwierig... Es ist die traurige Realität. Ich sagte dem Verein: Ich muss weg. Darauf hieß es: nur nichts überstürzen. Ich hoffte auf Unterstützung, bekam aber zu wenig.

Ist es denkbar, dass Sie an einer Antirassismus-Demonstration teilnehmen?

Natürlich. Ich wollte teilnehmen, als die Bundesliga-Saison noch lief, musste aber wegen Corona darauf verzichten. Was den Fußball angeht: Für mich ist klar, dass bei rassistischen Vorfällen harte Sanktionen und hohe Geldstrafen ausgesprochen werden müssen. Es muss wehtun.

Für die Schweiz absolvierten Sie 67 Länderspiele. Und es gab nie eine Diskussion um Ihre Nominierung - auch wenn Sie oft auf der Bank saßen.

Ich hätte über 100-mal gespielt, wenn ich auf meiner Position nicht diese enorme Konkurrenz gehabt hätte. Zuerst war es Gökhan Inler, der Kapitän. Dann kam Granit Xhaka. Aber das waren für mich keine Konkurrenten, sondern enge Freunde, mit denen ich mich blind verstand. Ich hatte nie die geringste Mühe mit meiner Rolle.

Gab es nie einen Moment, in dem die gute Laune verflog?

Ich antworte Ihnen darauf mit einem Beispiel. Als wir 2014 bei der WM in Brasilien waren, schaute ich in der Vorrunde dreimal zu. Ottmar Hitzfeld hatte mich zuvor oft eingewechselt, aber in diesen drei Partien ergab sich keine Möglichkeit. Ich akzeptierte das. Aber andere Leute reagierten emotional.

Wer?

Freunde, Bekannte, ich bekam viele Nachrichten: Was macht der Trainer mit dir? Du spielst keine Minute, wie kann das sein? Das geht doch nicht! Sie waren wütend. Aber ich sagte mir: ruhig, ganz ruhig. Wir sind fürs Achtelfinale qualifiziert. Hier spielen wir für ein Land, es geht nicht um ein Einzelinteresse.

Die Nachrichten dürften Sie aber sicher beschäftigt haben.

Wissen Sie, was ich gemacht habe? Ich rief meine Mutter an. Und sagte: "Maman, wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen. Ich bin bei einer WM, ich vertrete ein Land, das uns aufgenommen und alles gegeben hat. Vielleicht bin ich ja derjenige, der die Mannschaft ins Halbfinale bringt, wer weiß!" Und was kam? Das denkwürdige Match gegen Argentinien.

Und Sie wurden nach etwas mehr als einer Stunde eingewechselt.

Genau. Hätte ich ein Topmatch gemacht, wenn ich in den Tagen zuvor beleidigt gewesen wäre? Wenn ich nicht immer die Jungs angetrieben hätte? Nein!

Was zeigt Ihnen das?

Dass es der einzig richtige Weg war, den Kopf nie hängen zu lassen. Ich hatte nie derart überragende spielerische Qualitäten, dass alle gesagt hätten: Gelson muss immer von Anfang an dabei sein. Ich hatte andere Vorzüge, mir wäre es doch nie in den Sinn gekommen, schlechte Laune zu verbreiten, wenn ich auf der Bank saß. Ich war mehr als ein Spieler.

Nämlich?

Ich coachte die Jungs vor einem Match, ich redete auf sie ein, motivierte sie ständig, ich tat alles für meine Mannschaft. Und sie hörten auf mich, weil sie wussten, dass ich viele Erfahrungen gesammelt habe.

Was sind die wichtigsten Ratschläge, die Sie einem jungen Spieler heute geben?

Investiere alles, was du hast, in deine Karriere, die eine begrenzte Zeit dauert. Achte darauf, wie du dich vorbereitest, wie du trainierst, wie du dich ernährst, dass du genügend schläfst, schau zu deinem Körper. Du bist verantwortlich dafür, diese Arbeit nimmt dir niemand ab. Und denke daran: Der Körper hat ein Gedächtnis. Wenn du findest, du müssest an freien Tagen irgendwohin fliegen und dich vergnügen, wirst du dafür büßen.

Was werden Sie in Zukunft machen?

Ganz bestimmt werde ich im Bereich Fußball etwas machen. Es gibt ein paar Projekte, aber ich lasse mir ein paar Wochen Zeit.

Sie haben sicher zwei, drei Nummern von bedeutenden Leuten in diesem Geschäft gespeichert...

...es sind ein paar, ja... (strahlt) Ich habe in ein paar Ländern gespielt und darum auch ein paar gute Kontakte. Und wenn jemand eine Information will, kann er mich anrufen. Ich gebe gerne Auskunft und erwarte nicht immer eine Gegenleistung.

Würden Sie heute gerne noch einmal in eine Karriere als Fußballer starten?

Nein, nein. Jeden Freitag ins Hotel vor einem Match, am Wochenende 13 Kilometer rennen, unter der Woche viel laufen... Ich habe es erlebt und auch genossen, jetzt fängt etwas Neues an. Niko Kovac (ehemaliger Coach in Frankfurt) sagte mir: Gelson, du wirst einmal Trainer.

Und?

Ich hätte bereits jetzt als Sportchef einsteigen können, lasse aber noch offen, was ich mache. Irgendwann aber möchte ich einen großen Traum verwirklichen - und mir einen Klub kaufen.

Einen Klub kaufen? Das kostet doch nur.

Nein. Wer gut arbeitet, verdient damit auch Geld. Zugegeben: In der Schweiz muss man sehr gut arbeiten. Aber ich sehe gute Chancen.

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