Fritz Sdunek und Ulli Wegner im Gespräch:"Das Herz des Boxers schlägt auch in der Brust des Trainers"

Sie haben als Boxtrainer Sportgeschichte geschrieben, sind befreundet und begegnen sich an diesem Samstagabend beim Kampf zwischen Marco Huck und Ola Afolabi: Fritz Sdunek und Ulli Wegner, die beiden erfolgreichsten deutschen Coaches, über komplizierte Siegertypen, Verantwortung im Ring und Turnen für echte Kämpfer.

Jürgen Schmieder und Benedikt Warmbrunn

Fritz Sdunek und Ulli Wegner haben Olympiasieger und Weltmeister im Boxen hervorgebracht. Sdunek führte Dariusz Michalczewski und Ralf Rocchigiani zu Titeln, derzeit betreut er Vitali Klitschko und Felix Sturm. Wegner gelangen Titelgewinne mit Sven Ottke und Markus Beyer, seine bekanntesten Boxer derzeit sind Arthur Abraham und Marco Huck. Huck verteidigt nach seinem Ausflug ins Schwergewicht - er verlor umstritten gegen Alexander Powetkin - an diesem Samstag in Erfurt seinen WM-Titel im Cruisergewicht gegen den Sdunek-Boxer Ola Afolabi. Beim Interview-Termin reden Wegner und Sdunek eine Viertelstunde lang über die Boxkämpfe der vergangenen Wochen - erst dann fällt ihnen wieder ein, dass da ja noch Journalisten am Tisch sitzen.

Pressekonferenz vor Box-Abend in Erfurt

"Wir beleidigen uns gerne und sind selten einer Meinung" - komisch, aber Fritz Sdunek und Ulli Wegner mögen sich trotzdem.

(Foto: dpa)

Sdunek: Sie wollten doch auch ein paar Fragen stellen, oder?

SZ: Da Sie gerade von prägenden Kämpfen reden: Wie bewerten Sie in der Rückschau das Duell von Marco Huck gegen Alexander Powetkin?

Wegner: Marco hat taktisch schlecht geboxt.

Sdunek: Unpräzise.

Wegner: Powetkin war so schwach! Das muss Marco erkennen. Eigentlich haut er den weg. Hab' ich recht, Fritz?

Sdunek: Ja.

SZ: Aber Huck wurde doch wegen seiner Courage gelobt. Es hieß, dass nur Powetkin schlecht geboxt hätte.

Sdunek: Da Powetkin nach vier Runden vollkommen ausgepowert war, hätte Huck ihn ausknocken müssen.

Wegner: Powetkin war zwei Mal angeknockt, aber Huck hat nicht nachgesetzt: kein Körpertreffer, Aufwärtshaken, linker Haken.

Sdunek: Ulli, Du kennst doch meinen Psychotrick, oder? Zur Motivation. Du gehst in der Rundenpause zu deinem Boxer und machst einmal kurz so...

Sdunek packt einen der SZ-Reporter am Hals und drückt ihm auf die Halsschlagader.

Sdunek: Mit Juan Carlos Gomez habe ich so zwei Titel gewonnen - in Argentinien und auch den Rückkampf. Wenn man das macht, dann hört einem der Boxer ganz schnell zu.

Sdunek lässt wieder los.

SZ: Schon gut. Wir hören zu!

Wegner: Was man wissen muss: Wir beleidigen uns gerne und sind selten einer Meinung. Das war schon immer so.

SZ: Wann ging das los?

Sdunek: In den sechziger Jahren. Ich habe Ulli bei der Armee-Meisterschaft gesehen, da war er noch ein Matrose.

SZ: Was war er für ein Boxer?

Sdunek: Mittelmäßig - wie ich auch. Beide haben keine Bäume ausgerissen.

Wegner: Du hast einem, der zur DDR-Spitze gehört hat, den Kiefer gebrochen und ihn K.o. geschlagen, das war schon eine Leistung. Machen wir kurz die Laufbahn durch. Bei mir war es so: Ich war Fußballer.

Sdunek: Ich auch. Torwart.

Wegner: Ich war bei der Marine: Uniform und Fußballklub, das war's. Von 48 Mann war ich der Zweitbeste und musste warten, ob mich ein Klub nimmt. In der Zeit habe ich mit dem Boxen angefangen. Aber so ein großes Talent, wie ich gedacht habe, war ich nicht. Was ich erreichen wollte, hat nicht geklappt. Ich wurde ganz schlecht aufgebaut, hatte nur schwere Kämpfe. Als ich dann die Chance bekam, einen Kurs zum Assistenztrainer abzuschließen, war das für mich wie ein Fünfer im Zahlenlotto.

Sdunek: Was mich vom Fußball zum Boxsport gebracht hat, war das vielseitige Training. Aber ich wollte als aktiver Boxer zu viel und habe mir zwei Mal die Hand gebrochen. Ich hatte das Glück, dass ich an der Hochschule Trainer hatte, die ein umfangreiches Wissen von der Sportmethodik hatten. Alles, was ich im Training gelernt habe, habe ich dann am Wochenende auf dem Dorf meinen Cousins beigebracht. Die waren erst sechs, die mussten mitmachen, bald hatte ich über 20 Jungs im Dorf dabei. Nach einem Jahr hatte ich den ersten DDR-Meister im Schwergewicht.

Wegner: Wir haben übrigens beide den gleichen Beruf gelernt.

SZ: Sie sind Schlosser.

Wegner: Traktoren-Landmaschinen-Schlosser!

SZ: Sollte ein Boxer andere Sportarten beherrschen?

Sdunek: Unbedingt! Vor allem Basketball und Tennis sind wichtig, weil da die Beinarbeit trainiert wird. Für die Reflexe auch Federball und Tischtennis.

Wegner: Deshalb war die Ausbildung in der DDR so effektiv: Man musste in allen Sportarten Leistung bringen. Nicht nur Weitsprung und Laufen, sondern auch Gymnastik mit Bändern.

Sdunek: Abgang über die Stange!

Wegner: Hör' mir uff! Was für mich das Schlimmste war: Hocke über das Längspferd.

"Vitali jammert dann schon immer"

SZ: Und heute lassen Sie Ihre Boxer turnen?

Sdunek: Ich versuche schon, möglichst abwechslungsreich zu trainieren. Vitali jammert dann schon immer: Hör' mir auf mit den Protopopow-Übungen!

SZ: Eiskunstläufer Oleg Protopopow?

Sdunek: Ja, er hat immer neue Sachen auf dem Eis erfunden: Drehungen, Wendungen, Figuren. Wenn ich Einheiten mache, bei denen Klitschko sich drehen muss, Gleichgewicht halten, Bälle werfen, wieder drehen, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen und motzt.

SZ: Vitali war auch am ersten Kampf beteiligt, an dem Sie beide gegeneinander antraten. Im November 2000 gegen Timo Hofmann siegte er, aber erstmals in seiner Karriere nur nach Punkten.

Wegner: Hoffmann war gut - und Klitschko so gut vorbereitet wie nie!

Sdunek: Das war der erste Kampf nach seiner Schulterverletzung. Vitali war unsicher - Timo hart im Nehmen.

Wegner: Bis zur fünften Runde war er grauselig. Aber dann kam er und hat durchgehalten. Das ist das Schöne: Dass Fritz und ich uns gegenseitig fordern.

Sdunek: Und fördern.

SZ: Als Wegner Bundestrainer war, haben Sie ihn als Trainer für den Sauerland-Boxstall empfohlen.

Sdunek: Jean-Marcel Nartz, der Matchmaker von Sauerland, fragte mich, ob ich ihm einen Trainer empfehlen könne. Ich konnte nur einen empfehlen, von der Mentalität und von der Art, mit Menschen umzugehen: Ulli Wegner.

Wegner: Und dann rief er an.

Sdunek: Das hast Du so in Deinem Buch aber nicht geschrieben!

Wegner: Weißt Du, wann mir das aufgefallen ist? Als ich fertig war. Hast du es eigentlich schon gelesen?

Sdunek: Klar. Aber gekauft hab' ich es nicht! Getauscht hab' ich es. Am Buchstand in Leipzig. Gegen eins von meinen.

SZ: Was sind Sie für Trainertypen?

Wegner: Wenn ich mit ihm bei Lehrgängen auf einer Bude geschlafen habe, war das ein Vergnügen. Das Einzige, was mich aufgeregt hat: Wenn seine Jungs mittags kamen: "Herr Sdunek, könnse mich massieren?" Und ich gebrüllt habe: "Ich will schlafen!" Aber Fritz sagte immer: "Ich mach' schon, Ulli, bleib ruhig." Der war immer so nett.

Sdunek: Ich konnte mittags nicht gut schlafen. Also habe ich Grillabende vorbereitet, Fische geputzt und so.

Wegner: Alles! Alles hast du gemacht!

Sdunek: Ich war die Glucke, ich habe meine Jungs geschützt.

SZ: Und Sie, Herr Wegner, Sie waren der strenge Vater?

Wegner: Es soll eine Ehre sein, wenn ein Boxer bei mir trainiert. Und wenn einer in Not ist, bin ich da. Aber Fritz hat es übertrieben. Macht er heute noch.

SZ: Stimmt das?

Sdunek: Ich habe viel von meiner Mutter, die war auch schon Bürgermeisterin. Mit 38 Jahren hatte sie einen Unfall, also konnte sie die Arbeit auf dem Bauernhof nicht mehr schaffen. Sie hat dann ein Studium gemacht und wurde Lehrerin. Sie konnte mit den Menschen umgehen. Sie hatte eine pädagogische Art. Das habe ich wohl geerbt.

SZ: Ist das der Grund, weswegen Sie unterschiedliche Boxer trainieren?

Sdunek: Man muss mit jedem Boxer anders umgehen. Das ist ja unsere Stärke, dass wir uns auf jeden Boxer einstellen. Er ist halt der Diktator.

Wegner: Hör' uff mit dem Unfug! Die müssen auf dem Boden bleiben.

Sdunek: Ich kann auch hart sein: Als ich die Klitschkos bekommen habe, haben alle gesagt: Fritz, die musst du anders nehmen, das sind lebende Gelddruckmaschinen. Darauf ich: Die sind genauso wie die anderen und werden genauso geführt. Die kamen immer viel zu spät zum Training, da habe ich gesagt: Danke, ich hab' jetzt keine Zeit mehr. Und bin gegangen. Aus.

SZ: Wie schafft man es, dass ein Weltmeister über Jahre ehrgeizig bleibt? Die haben ja nebenher noch andere Ziele: Vitali Klitschko will Politiker werden, Marco Huck das Leben genießen.

Wegner: Man muss fair sein. Es kommt auf jeden Einzelnen und auf dessen soziales Umfeld an: Markus Beyer war ein toller Boxer und trotzdem gut erzogen. Sven Ottke hat sich selbst bestimmt. Ist doch klar, dass der nach einem Jahr schreit: Diktator!

Sdunek: Die Klitschkos hatten von Anfang an viele Termine, aber da hatte ich noch sechs, acht Boxer, und wenn du dann alle halbe Stunde einen bestellst, aber die kommen zu spät, dann bringt das alles durcheinander. Oder wenn Vitali seine Sparringspartner immer gleich ausgeknockt hat, dann habe ich ihn mit russischen Schimpfwörtern bedacht.

SZ: Ist er heute pünktlicher?

Sdunek: Nein. Aber jetzt trainiere ich nur noch ihn. Der Höhepunkt war während der Orangenen Revolution, da waren wir ihn Los Angeles. Da habe ich manchmal 45 Minuten gewartet. Dann kam er und sagte: Dauert noch, habe ein Telefonat. Und dann will er 14 Tage vor dem Kampf nach Kiew fliegen, um für die Revolution zu kämpfen. Da habe ich gesagt: Vitali, du kannst gerne fliegen, ich komme auch mit - aber ich komme nicht mit zurück. Die Ukraine braucht einen Champion, keinen Verlierer.

Wegner: Die Beziehung zu den Klitschkos ist besonders: Die haben mit der Frau vom Fritz Deutsch gelernt.

Sdunek: Vitali hat einfach einen unglaublichen Gerechtigkeitssinn. Für den ist Boxen Ablenkung und Entspannung, der braucht das.

SZ: Man kann aber auch scheitern.

Sdunek: Die größte Herausforderung, die ich hatte, die mir auch die Augen geöffnet hat, war die Arbeit mit Ralf Rocchigiani. Den aus der Kneipe zu holen und nach zehn Wochen zum Weltmeister zu machen ...

SZ: ... Und danach ging's zurück in die Kneipe.

Sdunek: Ralf hatte deutlich mehr Talent als sein Bruder Graciano, aber naja.

SZ: Sepp Herberger sagte mal, dass ein Trainer die Sorgenkinder am meisten liebt. Ist das bei Ihnen auch so? Haben Sie Lieblingsboxer?

Sdunek: Nein.

Wegner: Friiiiiiiitz!

Sdunek: Rocchigiani, das war was Besonderes. Michalczewski auch. Und natürlich Vitali. Das sind jetzt 16 Jahre, mit all den Höhen und Tiefen.

SZ: Sie hatten mit Klitschko den tollen Kampf 2003 gegen Lennox Lewis.

Sdunek: Da leidet man mit. Das Herz des Boxers schlägt auch in der Brust des Trainers. Man spürt das. Man hätte zu dem Zeitpunkt nicht abbrechen müssen, die Blutung war gestillt. Aber dann hatte Lennox Lewis eine Verletzung. Da habe ich mitbekommen, wie der Doktor rübergegangen ist - und da hat Steward (Emanuel Steward, damals Trainer von Lewis, heute von Wladimir Klitschko/Anm. d. Red.) gesagt: "Stop the fight!" Der Arzt hat nur von weitem auf Vitali geschaut, ist zum Ringrichter gegangen und hat den Kampf gestoppt. Bitter.

"Ich bin etwas ruhiger, aber ich mache harte Ansprachen"

SZ: Herr Wegner, Sie hatten eine ähnlichen Erfahrung: Arthur Abraham kämpfte 2006 mit gebrochenem Unterkiefer, gab nicht auf und gewann.

Wegner: Er ist ein großer Sportler, der schwierige Situation meistern kann. Darum machen wir mentales Training. Dass aber so was kommt, hätte ich nie gedacht. Wenn es irgendein Gelenk gewesen wäre, hätte ich den Kampf sofort abgebrochen. Wenn ich da aber versagt hätte, den Kampf gegen den Willen des Boxers gestoppt hätte, hätte ich vor ihm für immer versagt.

Sdunek: Ich hätte ihn rausgenommen. Ich habe Vitali Klitschko auch schon rausgenommen.

SZ: Durch den Kampf wurde Abraham berühmt, dann ging es abwärts. War er der Boxer, der Sie am meisten enttäuscht hat?

Wegner: Der hat ja eine Art, einmalig, der wickelt jeden ein.

SZ: Sie auch?

Wegner: Nä, vor zwei Jahren habe ich ihm gesagt: Arthur, pass auf! Du kannst ganz schnell fallen. Nur ist er zu schnell zu Geld gekommen. Wie soll er das auch verkraften? Kommt mit 8000 Euro Schulden an und ist jetzt Millionär. Er hat aber nicht alleine schuld. Ich war der Einzige, der es mit ihm gut gemeint hat. Ich kann ihn nicht im Stich lassen.

SZ: An diesem Samstag treten Sie gegeneinander an. Der Fernsehzuschauer kennt Ulli Wegner auch wegen seiner legendären Pausenansprachen. Bei den Kämpfen von Ihnen, Herr Sdunek, läuft in der Ringpause immer Werbung. Was machen Sie in der Minute eigentlich?

Wegner: Der schimpft auch ganz schön!

Sdunek: Ich bin etwas ruhiger in der Ecke, aber ich mache schon harte Ansprachen, wenn es notwendig ist. Wenn die Boxer aber nicht das machen, was sie sollen, halte ich auch mal die Schnauze. Dann gucken die mich erschrocken an: Warum sagt der nichts?

Wegner: Fritz hat ganz andere Typen. Einen Huck, einen Abraham muss ich klar, deutlich mit einfachen Anweisungen dirigieren.

Sdunek: Ich habe schon mal einem Typen eine Backpfeife gegeben. Oder das Beispiel Zsolt Erdei: Der boxte mit gebrochener Rippe; da habe ich dann den Schmerz vergrößert, habe reingedrückt. Oder eben der Trick mit der Gurgel.

SZ: Herr Sdunek, was trauen sie Marco Huck zu - unabhängig vom Kampf gegen ihren Schützling Afolabi?

Sdunek: Huck hat sich gut entwickelt. Er ist ein Junge mit Herz, kennt keine Angst, keine Gefahr. Er sollte im Cruisergewicht bleiben. Ich weiß nicht, ob ihm das Schwergewicht bekommen würde

Wegner: Beim Schwergewicht kannst du doch nur von deinen beiden Klitschkos sprechen. Alles andere ist doch schrecklich! Und der Kleene Klitschko, der hat nach wie vor Angst! Fritz, das sage ich dir: Guck' dir doch mal an, wie unsicher der ist. Klitschko kann unglaublich boxen, mit der Führungshand. Aber ich bin überzeugt: Huck haut den weg!

Sdunek: Einen der Klitschkos? Niemals!

Wegner: Den Großen nicht. Aber den Kleenen: Wenn der eine Bombe von Huck bekommt, dann hat der Angst.

Sdunek: Wladimir hat eine unglaubliche Führungshand, er hat seine Defensive verbessert. Schwer, den zu erwischen.

Wegner: Ich hätte gesagt: Huck, verzichte auf ein paar Pfennige, mach drei, vier Schwergewichtskämpfe, und dann nehmen wir uns den Kleenen vor.

SZ: Die Chance gibt es ja durchaus noch.

Wegner: Müssen wir mal sehen. Hängt auch ein bisschen davon ab, wie er sich jetzt aus der Affäre zieht.

SZ: Haben Sie beide schon über den Kampf am Samstag gesprochen?

Sdunek: Klar, wir haben uns gegenseitig die Taktik verraten. (lacht)

Wegner: Ich weiß sowieso, was Fritz vorhat.

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