Süddeutsche Zeitung

Nachträgliche Medaillen:Späte Festakte mit bitterem Geschmack

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Endlich können Sportler wie Ariane Friedrich auf großer Bühne feiern, wenn sie nachträglich eine Medaille erhalten. Doch die Zeremonien erinnern an die großen Defizite im Anti-Doping-Kampf.

Kommentar von Johannes Knuth

Ein bisschen kommt man sich da vor wie bei der Planung des Hochzeitsmenüs. Option eins wäre die Spargelcremesuppe zur Vorspeise, die auf der Terrasse gereicht wird, ehe die Festgesellschaft für den Rehbraten in den Schlosssaal weiterzieht. Oder doch Option zwei, mit Grünkohlrisotto und Flying Dessert? Das ist ja jetzt der neue Dreh, den sich die Hüter des Weltsports ausgedacht haben: Wer nachträglich eine Medaille erhält, weil ein Athlet in der Ergebnisliste vor ihm bei Nachforschungen mit verbotenen Schnellmachern aufgeflogen ist, der kann sich seine nachträgliche Siegerzeremonie selbst zusammenbasteln.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) schlägt mittlerweile sogar sechs Varianten für die Ersatzfeier vor: von einer Ehrung bei den Spielen bis zur Feier im kleinen Kreis. Auf Anfrage sogar mit IOC-Präsident Thomas Bach als Trauzeuge, äh, Pardon, Medaillenüberreicher.

Und das ist ja auch löblich: dass die Sportverbände endlich die ganz große Bühne anbieten, um einen Moment nachzustellen, den es so nie gab. Früher verschickten sie die Medaillen schmucklos per Post. Die deutsche Kugelstoßerin Nadine Kleinert stieg so nachträglich zur Weltmeisterin in einer traurigen Disziplin auf: 13 Päckchen mit neuen Plaketten habe sie erhalten, hat sie einmal errechnet. Heute also die große Kapelle.

Wirtschaftliche und emotionale Folgen

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF prämierte 2017 erstmals Athleten im festlichen Korsett seiner Weltmeisterschaften, die frühere Siebenkämpferin Jessica Ennis-Hill stand damals mit Babybauch auf der höchsten Stufe des Podests. Hammerwerferin Betty Heidler nahm ihre Silbermedaille von den Spielen 2012 zuletzt im kleinen Kreis entgegen, Speerwerferin Christina Obergföll musste sogar bis zum vergangenen Wochenende warten, ehe sie ihr Silber bei einem kleinen Festakt in ihrer Heimat Offenburg erhielt, weil die Russin Maria Abakumowa in Peking 2008 gedopt war. Hochspringerin Ariane Friedrich hat wiederum die größere Variante gewählt: während des Istaf-Meetings an diesem Sonntag im Berliner Olympiastadion - dort, wo sie 2009 bei der WM Rang drei belegte, aus dem mittlerweile der zweite Platz geworden ist.

Tatsächlich erzählen all diese Episoden auch davon, dass Verbände wie die IAAF ihr Betrugsproblem mittlerweile seriöser angehen - auch wenn Leichtathletik-Primus Seb Coe kaum anderes übrig blieb, nachdem sein Vorgänger von schweren Korruptionsvorwürfen eingeholt wurde. Russlands Verband, dessen Leichtathleten die meisten Umverteilungen verursachen, ist jedenfalls nach wie vor von internationalen Wettkämpfen gesperrt. Andere Verbände - auch das große IOC - waren da schon wieder nachsichtiger.

Aber am Ende ist jede Ehrung auch eine mit Bittergeschmack: Die Nachrücker leiden ja unter dem wirtschaftlichen Betrug, weil ihnen als verhinderte Medaillengewinner viele Fördergelder verwehrt blieben; und dann sind da die emotionalen Spätfolgen, weil das Leben eben kein Bild ist, in dem man radiert und Jahre später einen neuen Moment hinein malt. Das größte Problem hat Betty Heidler zuletzt erst wieder angesprochen: "Dass diejenigen Länder, die sich mit Manipulation auskennen, den Fahndern nicht einen, sondern mehrere Schritte voraus sind." Teils ist das wohl sogar gewollt, weil mancher Sportlenker das wahre Ausmaß des Pharmaproblems doch lieber für sich behält. Auch daran erinnert jeder verspätete Festakt, in London, Offenburg, Berlin.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2019
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