Deutschland unterliegt Argentinien:Verletzung, Platzverweis, Eigentor! Noch was?

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Ein Spiel, in dem ziemlich viel passierte: Sieben Wochen nach der Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien verlieren Löws Männer eine bemerkenswerte Testpartie 1:3 gegen Argentinien. Torhüter Ron-Robert Zieler sorgt im 864. Länderspiel der DFB-Geschichte für ein Novum - sein Platzverweis ist nur eine von vielen Kuriositäten an diesem ernüchternden Abend.

Lang war sie weg, die Nationalmannschaft, fast sieben Wochen hat man von ihr nichts mehr gesehen und gehört, aber das erste, was die Menschen im Stadion und an den Fernsehschirmen interessierte, waren nicht die Füße der Fußballer. Als erstes schaute die Nation den Spielern auf den Mund. Es war die Folge einer unsäglichen Debatte, im Zuge derer einige eher rückwärtig orientierte Diskutanten das Singen der Hymne zur Spielerpflicht erklären wollten.

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Marco Reus bewirbt sich im Nachhinein für einen Startplatz im EM-Halbfinale, Marc-André ter Stegen hält einen Elfmeter gegen Messi und hübscht seine DFB-Bilanz trotzdem nicht auf, die Abwehrspieler purzeln durcheinander und Mario Götze schützt Fußball-Deutschland vor der Depression. Die DFB-Elf gegen Argentinien in der Einzelkritik.

Thomas Hummel

Joachim Löw hatte sich heftig gegen derlei populistische Forderungen gewandt, und wie die ersten Bilder des Abends zeigten, hatte Löw über Nacht keinen neuen Erlass formuliert. Mesut Özil, Sami Khedira und Jérome Boateng sangen auch dieses Mal nicht, womit sie sich aber kaum von den Argentiniern unterschieden. Auch die sangen eher mäßig.

Es war nicht zu vermeiden, dass dieser Auftakt in die neue Länderspiel-Saison nicht für sich allein stehen durfte. Dieses Spiel gegen den großen Gegner Argentinien wurde ständig verglichen mit dem Spiel gegen den letzten großen Gegner, dem die Deutschen Ende Juni in Warschau begegnet waren. Das EM-Halbfinale gegen Italien hat die Sicht auf die heiß geliebte Mannschaft und den ebenso geliebten Trainer zumindest vorübergehend verändert; umso höher war es der Elf anzurechen, dass sie munter in diese bemerkenswert kuriose Partie startete, die unter sehr unglücklichen Umständen 1:3 (0:1) endete.

Man wolle die Fans zurückgewinnen, hatte Sami Khedira als Motto ausgegeben, und nach den Eindrücken der Anfangsphase hätte man gerne mal erfahren, wie diese Wiedergutmachung in einem normalen Spiel ausgefallen wäre. Normal war dieses Spiel aber eher nicht.

Die Kuriositäten in chronologischer Folge (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Mats Hummels musste in der 25. Minute ausgewechselt werden, zwölf Minuten, nachdem er mit Argentiniens Stürmer Higuain zusammengeprallt war; der Dortmunder Verteidiger zog sich eine Halswirbel-Verrenkung zu. Fünf Minuten später holte der Manuel-Neuer-Vertreter Ron-Robert Zieler den Argentinier Sosa im Strafraum von den Beinen, was den Gästen einen Elfmeter und Zieler einen Platzverweis einbrachte, mit dem er - immerhin - in die Archive eingeht.

Es war tatsächlich der erste Platzverweis für einen deutschen Nationaltorhüter in der DFB-Geschichte, die bereits 864 Länderspiele lang ist - und das für eine eher pazifistisch gefärbte Aktion, jedenfalls gemessen an den gelegentlichen Aggressionsanwandlungen, für die einige von Zielers Vorgängern berühmt und berüchtigt waren (Schumacher, Kahn).

Muss man noch dazu sagen, dass der arme Zieler bei seiner strafwürdigen Aktion vermutlich nur deshalb zu spät kam, weil der Ball vorher von einem Maulwurfshügel im Rasen gebremst worden war?

Und weiter ging's im Kuriositätenkabinett: Für Zieler kam Marc-André ter Stegen ins Spiel, jener Torwart, der wegen der Gladbacher Champions-League-Qualifikation eigentlich geschont werden sollte und nur wegen Neuers Absage in Marsch gesetzt wurde. Ter Stegen kam, stellte sich in den Kasten und, ja gut, dann hielt er den Elfmeter eines gewissen Messi mit lässiger Selbstverständlichkeit. Wobei Messi auch geschossen hatte, als wolle er den Maulwurf in seinem Hügel nicht erschrecken.

Noch was? Ach so, ein Eigentor gab's noch, von Sami Khedira, der bis dahin fast so gespielt hatte wie bei der EM. Kraftvoll und mit natürlicher Chef-Attitüde beherrschte er das Mittelfeld, aber in die Jahresrückblicke wird er es höchstens mit dem letzten Ballkontakt der ersten Halbzeit schaffen. Nach einem Eckball schoss er sich selbst so an, dass der Ball ins Tor prallte, 0:1. Es war ein Treffer zu jenem Zeitpunkt, den die Küchenpsychologie des Sports "den unglücklichsten" nennt.

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Von Carsten Scheele

Eine Verletzung, ein Platzverweis, ein Eigentor - das war der bittere Lohn für eine Mannschaft, die ohne Lahm, Schweinsteiger, Gomez und Podolski einige hübsche Spielzüge auf den Rasen gezeichnet hatte.

Vielleicht war es in gewisser Hinsicht ganz praktisch, dass die Achterbahn der Merkwürdigkeiten die Zuschauer mächtig durchschüttelte. So kamen sie schon nicht auf komische Gedanken. In der Tat drängten sich ja immer wieder ein paar ketzerische Überlegungen auf - zum Beispiel, wie Löw in Warschau nur auf die Idee kommen konnte, Miroslav Klose und Marco Reus aus der Elf zu nehmen. Auch gegen Argentinien war zu erkennen, wie gut die beiden miteinander und mit Mesut Özil kombinieren können. Wenn die drei ihre Füße im Spiel hatten, wurde es oft gefährlich, einmal traf Reus sogar den Pfosten (48.).

Dennoch drohte vorübergehend eine Art Debakel, weil die DFB-Elf in Unterzahl bisweilen etwas naiv nach vorne spielte und altbekannte defensive Schwächen zeigte. Messi und di Maria nutzten das zu zwei trockenen Treffern (52., 73.). "Die ersten 20, 25 Minuten waren gut von uns", sagte Joachim Löw später, "aber in Unterzahl war es schwer, gegen Weltklassespieler wie Messi oder di Maria immer kompakt zu bleiben." Am Ende organisierten sich die Deutschen doch noch einen halbwegs versöhnlichen Abschluss: Mit einer prächtigen Kombination bereiteten die eingewechselten Schürrle und Götze einen Flugkopfballtreffer von Höwedes vor (82.).

So endete das Spiel in angemessener Kuriosität: Als Höwedes traf, war er der älteste Deutsche auf dem Feld; er ist 24. Zum Kapitän hat er es aber nicht mehr geschafft, obwohl die Kapitäne Klose und Khedira ausgewechselt waren. Die Binde trug am Ende Jérome Boateng.

© SZ vom 16.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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