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French Open:Zverevs Schrei der Erleichterung

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In einem wilden und turbulenten Zweitrunden-Match ringt der deutsche Tennisspieler den Argentinier Sebastian Baez nieder - im Fünfsatz-Krimi muss er sogar einen Matchball abwehren.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Der verwandelte Matchball war schon vorbei, Alexander Zverev war bereits kurz zu seinem Platz gegangen, da drehte er noch mal um und ging zurück in die Mitte des Court Philippe Chatrier. Die Menge applaudierte noch, die meisten standen auf den Tribünen des mächtigen Hauptstadions. Da brüllte Zverev laut los. Weit riss er den Mund auf, zweimal, dreimal. Man hörte ihn nur nicht, weil es um ihn herum derart laut war. Aus Zverevs Schrei der inbrünstigen Erleichterung wurde ein Schrei der Stille.

Mit einem 2:6, 4:6, 6:1, 6:2, 7:5-Erfolg gegen den jungen argentinischen Aufsteiger Sebastian Baez, 21, hat Zverev, der einzige noch im Männerfeld verbliebene deutsche Tennisprofi, die dritte Runde bei den French Open erreicht. Das Match war so turbulent und wild, wie sich das Ergebnis liest. Und Zverev machte es wie Angelique Kerber, um eine Analogie salopp zu formulieren. Kerber hatte in der ersten Runde gegen die Polin Magdalena Frech zwei Matchbälle abgewehrt. Zverev wehrte nun seinerseits einen Matchball ab. Nach 3:24 Stunden war der Argentinier bei 5:4 und 40:30 nur einen Punkt von der Überraschung entfernt gewesen. Sein Return landete im Aus. Nach 3:36 Stunden hatte dann Zverev Matchball. Und wieder landete ein Ball Baez' im Aus.

So eng, so grausam kann Tennis sein. Ein paar Hiebe nur, und alles hat sich gedreht. Zverev wandte sich nach dem letzten Punkt zu seiner Box, sein Vater saß oben in einer Art Mini-Loge, sein Physiotherapeut auch. Er machte eine Geste, die ausdrückte: Habt ihr's gesehen? Fünfsatz-Siege kann Zverev nirgends so gut wie in Roland Garros. Seine Bilanz dort lautet jetzt: 8:1, wenn es über die volle Distanz geht.

Minuten später stand Zverev beim Platz-Interview mit dem früheren dreimaligen French-Open-Sieger Mats Wilander, der Schwede fragte, wie er noch am Leben geblieben war. "Ich habe einfach versucht zu kämpfen", antwortete Zverev, der das letzte Mal in einer ersten Runde bei einem Grand-Slam-Turnier 2019 in Wimbledon ausgeschieden war. Dabei bleibt es. "Du musst einen Weg finden", sagte Zverev weiter am Mikrofon und erinnerte an die Branchengrößen Rafael Nadal und Novak Djokovic, die es immer schaffen würden, Lösungen zu finden. Durchaus Verwunderung klang aus seiner Stimme, als er ergänzte: "Ich bin noch im Turnier jetzt." Das kann übrigens auch Carlos Alcaraz von sich behaupten: Auch der 19-jährige Aufsteiger musste in seinem Zweitrundenmatch einen Matchball abwehren, beim 6:1, 6:7 (7), 5:7, 7:6 (2), 6:4 gegen seinen Landsmann Albert Ramos-Vinolas verbrachte der Spanier sogar 4:34 Stunden auf dem Platz.

Baez zeigt Zverev zwei Sätze lang Grenzen auf

Zverev bekam in den ersten beiden Sätze von Baez wahrlich Grenzen aufgezeigt, begünstigt durch eine fahrige, fehlerhafte, teils konfuse Leistung des Deutschen. Baez hat sich in der Weltrangliste schon auf Platz 36 hochgearbeitet. "Er ist ein unglaublich harter Schläger", sagte Zverev lobend auf dem Platz und meinte: Baez trifft die Bälle mit voller Wucht. Und nicht nur das. Baez, der vom Stil her sehr an Diego Schwartzman erinnert, seinen gestandenen Landsmann, streute Stopps ein, die Zverev zusetzten. Doch der 25-Jährige fing sich, in den Sätzen drei und vier war er klar besser, ehe im fünften Satz Baez mit einem ersten Break auf 4:2 davonzog. Zverev blieb mit Mühe dran, wehrte den besagten Matchball ab und stahl Baez dessen Aufschlagspiel zum 6:5. Diesen Vorteil ließ er sich nicht mehr nehmen.

"Vor dem Turnier hat nicht jeder mit mir gerechnet", sagt Kerber

Angelique Kerber erreichte diesmal wenige dramatisch die dritte Runde. Beim 6:1, 7:6 (2)-Erfolg gegen die 19 Jahre alte Elsa Jacquemot, auch auf dem Court Philippe Chatrier vor Zverevs Match ausgetragen, hatte sie leichtes Spiel im ersten Satz, Jacquemot wirkte anfangs nervös. Im zweiten Satz agierte die Französin mutiger. Die Partie wurde knapper, doch dass sich Kerber in zwei Sätzen durchsetzte, wertete sie als gutes Zeichen. "Ich bin froh, dass ich nicht in den dritten Satz gegangen bin", sagte sie. "Natürlich merke ich die letzten Tage. Aber es ist auch ein gutes Gefühl. Es ist ein gutes Gefühl, wieder Matches zu gewinnen, diese engen Situationen wieder im Griff zu haben." Offen gab sie zu: "Ich meine, die letzten Jahre sind nicht so gut gelaufen. Ich glaube, vor dem Turnier hat nicht jeder mit mir gerechnet, dass ich eine Runde oder zwei gewinne. Jetzt stehe ich in der dritten Runde."

Dort trifft Kerber, 34, am Freitag auf Alijaksandra Sasnowitsch aus Belarus, die die US-Open-Siegerin Emma Raducanu aus Großbritannien 3:6, 6:1, 6:1 bezwang. Für Kerber geht es nun auch um einen besonders verlockenden Einsatz. Gewänne sie ihre nächsten fünf Matches, hätte sie den Karriere-Grand-Slam erreicht. Erst zehn Frauen gelang es, alle vier Grand-Slam-Turniere mindestens einmal zu gewinnen. Kerber siegte 2016 bei den Australian Open und US Open, 2018 in Wimbledon. Stefanie Graf hat bislang als einzige Deutsche an allen vier Standorten triumphiert.

"Natürlich würde es mir viel bedeuten", sagte Kerber zur Aussicht, dass auch sie Teil dieses elitären Zirkels werden könnte. "Aber das ist noch zu weit weg, um überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden. Wenn es passiert, können wir darüber sprechen. Natürlich wäre es ein Traum. Aber es ist noch so weit weg gefühlt." Sie wirkt tatsächlich entspannt in Paris, der Titelgewinn vergangenen Sonntag in Straßburg wirkt positiv nach. Auf dem Platz beim Interview mit der früheren Spielerin Marion Bartoli sagte Kerber gar einen besonders schönen Satz: "Wenn du alles erreicht hast, spielst du für die Liebe zum Spiel." Man darf ihr das glauben: Sie nimmt's, wie es kommt in Paris.

Beendet ist der Einzel-Wettbewerb für Andrea Petkovic, die für ihre 1:6, 6:7 (3:7)-Niederlage gegen die frühere Weltranglistenersten Wiktoria Asarenka aus Belarus eine aus ihrer Sicht plausible Erklärung bieten konnte: "Das interessiert natürlich Roland Garros nicht, aber elf Uhr ist nicht so meine Zeit. Ich bin eher so ab 13 Uhr zu hundert Prozent verfügbar", sagte die 34-Jährige aus Darmstadt in der ihr eigenen Art. Es könnte sein, dass es ihr letztes Einzel in Paris war, ganz weiß sie noch nicht, wie lange sie noch auf der Tour sein wird. "Das ist wirklich schwierig zu sagen. Es ist mir, als ich vom Platz ging, einmal kurz durch den Kopf gegangen. Wenn es von meinem Willen abhängig wäre, würde ich noch zehn Jahre spielen", meinte sie, "aber ich mach's von meinem Körper anhängig. Das kann ich erst nach einer ganzen Saison sagen."

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