Die deutsche Nummer eins im Tennis ist klug, artikuliert und polyglott. Sie spricht vier Sprachen fließend, Deutsch, Englisch, Ukrainisch, Russisch, und lernt gerade eine fünfte, Spanisch. Zu ihren bemerkenswerten Fähigkeiten gehört außerdem die Fähigkeit, zwischen Wissensdurst und Neugier zu unterscheiden. Einen Reporter, der ihr in Paris im internationalen Teil ihrer Pressekonferenz – auf Englisch – den Namen ihrer nächsten Gegnerin verraten wollte, unterbrach sie höflich, aber bestimmt. „Bitte nicht“, sagte Eva Lys. „Heute will ich erst einmal genießen, was ich habe.“
Eva Lys, 23 Jahre alt, hat zum ersten Mal die erste Runde des Hauptfelds eines Grand-Slams-Turniers überstanden, ohne vorher drei mühselige Runden der Qualifikation überstehen zu müssen. Das ist, so banal es klingt, von unschätzbarem Vorteil, weil es Kräfte für kommende Aufgaben spart. „Für mich war es physisch oft schwer, nach drei Matches das vierte qualitativ gut zu spielen“, sagte sie. Und weil sie sich „so fit fühlt wie noch nie“ in ihrer Tenniskarriere, fand sie nach dem 6:0, 6:3-Auftaktsieg über Peyton Stearns aus den USA, immerhin die an Nummer 28 gesetzte Spielerin der French Open, dass es Zeit sei für Reflexion und ein kurzes Innehalten.
Im Januar hatte sie sich bei den Australian Open einen Namen gemacht, weil sie sich nach einer Niederlage in der Qualifikation trotzdem als sogenannte Lucky Loserin bis ins Achtelfinale durchgeschlagen hatte. Inzwischen ist sie in der Weltrangliste an Position 59 notiert, und die nächste Aufgabe für „Lucky Lys“ wird es sein, ebendieses Adjektiv vor ihrem Namen vergessen zu machen. Denn mit Losglück kann sich niemand dauerhaft in der Weltelite des Tennis etablieren.
Für Laura Siegemund ist im Einzel Schluss, die Doppel-Spezialistin unterliegt der Ungarin Anna Bondar
Zumindest in Deutschland ist sie mit ihrem fehlerfreien, mutigen Spiel, das sie selbst als „intuitiv“ beschreibt, schon an allen Konkurrentinnen vorbeigestürmt: Hierzulande die Beste zu sein, sei ein „tolles Gefühl“, sagt sie, ein „kleiner Push“ und natürlich ein weiterer Meilenstein. Dass sie gerade mit Riesenschritten durchs Ranking marschiert, führt sie auch darauf zurück, dass sie über einen längeren Zeitpunkt gesund geblieben ist. Sie ist an der rheumatischen Autoimmunerkrankung Spondyloarthritis erkrankt und hat sich früher regelmäßig Pausen zur Erholung verordnen müssen. 2020 hatte ihr Arzt in Hamburg ihr diese Diagnose übermittelt, „und ich glaube“, sagte sie, „2025 ist das erste Jahr, in dem ich sagen kann, dass ich es wirklich im Griff habe“. Es ist eine subjektive Einschätzung, die sie mit Zahlen stützen kann: In zwölf Turnieren ist sie von Januar bis Ende Mai angetreten, „noch drei Turniere mehr“, rechnete sie vor, „und ich habe so viele gespielt wie im gesamten vorigen Jahr“.
In der Partie gegen Stearns, die kürzlich auf den Sandplätzen von Rom das Halbfinale erreicht hatte, ließ sie sich nicht aus dem Konzept bringen, als es der US-Amerikanerin im zweiten Satz gelang, leichte Fehler beziehungsweise die Nervosität abzulegen. Nächste Gegnerin von Lys – ihr Vater, der auch ihr Trainer ist, oder der Rest der Familie werden es ihr erzählt haben – ist die 18-jährige Kanadierin Victoria Mboko, Nummer 122 der Welt, der viele eine brillante Zukunft prognostizieren.
Doppelspezialistin Laura Siegemund, 37, wird in Paris nur noch an der Seite ihrer Partnerin, der Brasilianerin Beatriz Haddad Maia, zu sehen sein. Die derzeit drittbeste deutsche Einzelspielerin, Nummer 97 der Welt, hat ihr erstes Match als Solistin gegen die Ungarin Anna Bondar 6:7, 3:6 verloren. Yannik Hanfmann unterlag der Nummer acht der Welt, dem Italiener Lorenzo Musetti, 5:7, 2:6 0:6. Vier weitere deutsche Spieler, darunter Tatjana Maria, 37, die Nummer zwei hinter Lys, greifen am Montag ins Geschehen ein.