French Open:Thiem fordert den Spin-König

French Open: Jubelt Dominic Thiem auch gegen Nadal?

Jubelt Dominic Thiem auch gegen Nadal?

(Foto: AFP)
  • Dominic Thiem trifft im Halbfinale der French Open auf Rekordsieger Rafael Nadal.
  • Nach seinem souveränen Viertelfinal-Sieg gegen Novak Djokovic werden dem Österreicher gute Chancen auf das Erreichen des Finales eingeräumt.
  • In Paris unterstreicht der 23-Jährige seinen Anspruch auf die Tennis-Weltspitze.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Günter Bresnik hebt eine Hand, ihm ist da eine Geschichte eingefallen. Sie wird sicher gut. Bresnik ist ein herrlicher Geschichtenerzähler. Seit 30 Jahren arbeitet er als Trainer und Manager im Tennisgeschäft. "Der Fibak kam vorhin", setzt der 56-jährige Wiener an, er spricht vom früheren polnischen Profi Wojtek Fibak. "Da fragt er mich, weil der Dominik nicht nur optisch, sondern grundsätzlich ein schöner Mensch sei, ob der adelig ist. Oder aus einer Künstlerfamilie kommt."

Bresnik lacht auf dem Sofa im Spielercafé. "Das traf es: Dominik ist im Innern ein schöner Mensch. Wenn der von einem Bub oder einer Großmutter angesprochen wird, redet er gern mit ihnen." Pause. "Man muss natürlich aufpassen, dass man sich mit dem Erfolg nicht zum Negativen verändert." So gesehen muss Bresnik mehr denn je höllisch auf Dominic Thiem aufpassen.

Sein Spieler, den er trainiert, managt, betreut, seitdem der zwölf war, dessen Eltern einiges finanziell riskierten, als sie die Wohnung verkauften, um die Reisen für den Sohn zu bezahlen - dieser tatsächlich nette 23-Jährige aus Wiener Neustadt hat ja Erfolg. Er verdient viel. Spielt um Titel. Gerade wieder, bei den French Open in Paris.

"Man sieht die Entwicklung auch daran, dass fünf, sechs Reporter von daheim hier sind, sogar ein TV-Sender", sagt Bresnik, "das gab's lange nicht." Als Thomas Muster 1995 Roland Garros gewann und 2010 Jürgen Melzer am Bois de Boulogne das Halbfinale erreichte, war die Aufregung ähnlich. Nun verzückt wieder ein Österreicher die Heimat. Das ist zwar seit längerem so, doch diesmal fühlt es sich anders an. Nicht nur nach einer rot-weiß-roten Schlagzeile. Die ganze Branche hatte Thiem - hinter Rafael Nadal - mit auf dem Zettel für den Coupe des Mousquetaires.

Oben zu bleiben ist die Kunst

Vor zwölf Monaten ist das etwas anders gewesen, obwohl seine Teilnahme in Paris auch eine Erfolgsstory war. Damals hatte Thiem sein erstes Halbfinale bei einem der vier wichtigsten Turniere erreicht, sein Durchbruch lief indes eher so nebenher. Er war wie ein Überraschungsgast auf einer Party. Novak Djokovic, der damals seinen letzten fehlenden Grand-Slam-Titel gewann, fieselte Thiem ab, 6:2, 6:1, 6:4. Schneidet man dieses Ergebnis von 2016 gegen das vom Viertelfinale 2017, ist ersichtlich: Etwas hat sich verschoben. "Eine Sensation", gab Thiem zu Protokoll. Das Duell am Mittwoch endete 7:6, 6:3, 6:0 - für ihn. Er wirkte nicht erschöpft. Er flippte nicht aus. Irgendwie war alles fast normal. Zumindest was Thiem betraf.

Andererseits, abheben wird er vermutlich nie, er hat viele Werte seines erfahrenen Trainers längst verinnerlicht. Die Sportzeitung L'Équipe adelte den Karriere-Wegweiser als "Maître Günter". Nach oben zu kommen, sei gut, sagt dieser. Aber oben zu bleiben, die Kunst. So gesehen ist Thiem dann wohl doch ein Künstler.

Keiner, gegen den man gerne spielt

Er hat ja wirklich sein tolles Jahr bestätigt. Was der kritische Geist Bresnik "beeindruckend" findet. Ende 2016 nahm Thiem an den ATP-Finals in London teil, nur die acht Besten einer Saison spielen dort. Thiem ist Siebter der Weltrangliste. Er hat die Großen Vier alle in seinem jeweils letzten Match gegen sie geschlagen, Roger Federer, Rafael Nadal, Andy Murray, Djokovic. Wobei es auch mal holperte. Anfang des Jahres habe Thiem "zu viel erwartet", sagt Bresnik. Auf dem Platz verlor er früher, schimpfte öfter mit sich selbst, eine Marotte, die sein Trainer hasst: "Er darf alles da draußen - aber nicht raunzen!"

Thiem kam wieder in die Spur. Mit dem Turniersieg in Rio setzte er ein Zeichen. In Madrid erreichte er sein erstes Finale bei einem Turnier der Masters-Serie. Er habe sich nochmals "extrem verbessert", sagt Bresnik. Der Aufschlag sei härter, der Return sicherer, er komme besser in den Ballwechsel. Körperlich habe er zugelegt, seine blitzartige Hand- und Armbewegung, die seinen Bällen so viel Spin mitgibt, dass sich die Bälle noch mehr um die eigene Achse drehen als bei Spin-König Nadal, hat er seiner stabileren Beinmuskulatur als Ausgangsbasis zu verdanken.

"Er ist keiner, gegen den man gerade auf Sand gerne spielt", sagte der Australier Bernard Tomic in Paris, der in drei Sätzen verlor. Er musste sich nicht grämen. Alle Gegner Thiems verloren bislang in drei Sätzen. Diese Bilanz schafften nur Stan Wawrinka (spielt das zweite Halbfinale gegen Murray) und Nadal. Der Spanier, der La Décima anpeilt, den zehnten Titel in Paris, ist am Freitag Thiems Gegner.

Wie viel Respekt Thiem genießt, lässt sich an zwei Debatten erkennen: Auf der einen Seite wird erstmals über einen Gegner von Nadal spekuliert, ob dieser Nadal schlagen könne. Viele trauen es ihm zu. Auch ein Experte: "Sein Spiel ist sehr mächtig. Vorhand, Rückhand, Aufschlag, diese Waffen sind ziemlich gut. Er gibt einem nicht viele Optionen" - Nadal sagte dies. Auf der anderen Seite hat Thiem eine Diskussion ausgelöst, die einen anderen betrifft - und doch eine Folge seiner Stärke ist. Nachdem er Djokovic demontiert und der Titelverteidiger nichts an Gegenwehr anzubieten hatte, wird der Serbe in die Mangel genommen. Zwar war er nach der Niederlage geständig, Thiem sei einer der "aufstrebenden Stars". Er selbst habe in allen Bereichen Defizite - körperlich, mental, technisch.

"Er hat keine Chance"

Diese Einsicht schützte den zwölfmaligen Grand-Slam-Champion aber nicht. "Inakzeptabel" sei dessen Vorführung im dritten Satz gewesen, sagte John McEnroe der BBC. "Es hatte den Anschein, als wollte er gar nicht mehr auf dem Platz sein." Boris Becker sprach als Eurosport-Kommentator: "Es scheint Gespräche mit möglichen Trainern zu geben. Aber das muss schnell gehen und nicht erst während Wimbledon." Dort erst soll der 30-Jährige, der nach Paris erstmals seit März 2011 nicht mehr die Nummer eins oder zwei im Ranking sein wird, wieder mit seinem neuen Stand-by-Trainer Agassi arbeiten. "Djokovic muss die nächsten drei, vier Wochen nutzen, um zurückzukommen", forderte Becker eindringlich.

Thiem muss das alles nicht tangieren, er hat nun die Ehre, sich mit einem Spieler zu messen, der erst zweimal in Paris verloren hat. Ob er eine Chance hat? Gar an den Titel glaube? "Das ist eine harte Frage", sagte er, aber lächelte auch. Bresnik wiederum sagte klipp und klar über seinen Spieler: "Er hat keine Chance." Er rechne damit, dass er am Samstag wieder in Wien über den geliebten Flohmarkt flanieren könne. Nur: Das mit den "zero chances" hatte Schlitzohr Bresnik auch vor dem Match gegen Djokovic gesagt. Das Ende ist bekannt.

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