French Open:Kerber versucht's mit ihrem alten Trick

2016 Australian Open - Day 13

30. Januar 2016, Melbourne Tennis Park: Angelique Kerber präsentiert sich erstmals in ihrer Karriere als Grand-Slam-Gewinnerin.

(Foto: Fiona Hamilton/Getty)

Von Philipp Schneider, Paris

Spielfreie Tage können Tennisprofis auf merkwürdige Ideen bringen, das hat Serena Williams neulich in Rom bewiesen. Nachdem die Amerikanerin zuvor einige Turniere grippegeschwächt verpasst hatte, kam sie nach Durchsicht der Speisekarten ihres Hotels am Abend vor ihrem Achtelfinale in der italienischen Hauptstadt auf die Idee, jenes Menü zu bestellen, das am Vortag Chip gegessen hatte. Chip ist ein Yorkshire-Terrier. Chip ist treu, er ist immer dabei, wenn Williams um die Welt reist. Chips 15 Euro teures "Doggy Menu" hatte sich am Tag zuvor zusammengesetzt aus Rindfleisch mit Hühnchen und Gemüse und dabei offenbar besser ausgesehen als die Speisen, die das Hotel für Williams zubereitet hatte.

"Don't judge me", man solle sie nicht verurteilen dafür, dass sie "einen Löffel" probiert habe, verriet Williams auf Snapchat, auch wenn es "ein bisschen wie Reinigungsmittel" geschmeckt habe und sie sich nun "sehr schlecht fühle". Zwei Dinge konnte die Welt aus Williams kulinarischer Verfehlung lernen: Die Weltranglistenerste verrät gerne viel über sich in den sozialen Netzwerken. Und als Weltranglisten-Erste kann sie es sich erlauben der Welt mitzuteilen, wenn sie Hundefutter gespeist hat.

Angelique Kerber ist Weltranglistendritte, aber es liegt nicht allein daran, dass sie bislang viel weniger Inneneinsicht gegeben hat. Es wirkt noch immer so, als sei der Tochter eines Tennislehrers, die in Bremen geboren wurde und in Kiel aufwuchs, der Rummel um ihre Person nicht sonderlich genehm, der sie seit Januar umtost. Am liebsten würde sich die erste deutsche Grand-Slam-Siegerin seit Steffi Graf 1999 wohl wieder verstecken in den hinteren Reihen der Tennisgesellschaft.

Der Trick aus Melbourne

Aber dort ist kein Platz mehr für sie, das weiß auch Kerber. Jenes rauschhafte 6:4, 3:6, 6:4 im Finale der Australian Open gegen Serena Williams hat ihre Karriere, hat ihr Leben in ein Vorher und ein Nachher geteilt, es gibt keine Zeitmaschine, die das wieder ändern könnte. Und deshalb haben sich auch die Spielregeln für Kerber geändert.

Am Freitag hat Kerber in Paris eine Pressekonferenz gegeben. Die French Open hatten zu dem Zeitpunkt nicht einmal begonnen, sie hatte noch keinen Ballwechsel bestritten, aber das war der Weltpresse egal. Am Tag vor Turnierstart werden seit jeher die wichtigsten Spieler vor die Mikrofone geladen, und in der Frauenkonkurrenz war in diesem Jahr niemand erfolgreicher als die 28-Jährige.

Ob das Gefühl anders sei, einen Raum als Grand-Slam-Siegerin zu betreten? "Fühlt sich viel besser an", sagt Kerber, natürlich habe sie viel mehr Selbstvertrauen, aber bei jedem Wettbewerb beginne sie wieder bei Null. Und deshalb werde sie das große Turnier in Frankreich genauso angehen wie jenes in Australien: "Ich werde versuchen, die Dinge nicht zu komplizieren und das wie ein ganz normales Turnier betrachten. Nur weil ich Grand-Slam-Siegerin bin, kriege ich die Matches nicht geschenkt." Dann lächelt sie etwas unsicher.

"Sieht alles gut aus"

Kerber, die in der ersten Runde auf die Niederländerin Kiki Bertens trifft, hat in den Wochen und Monaten dieses Jahres wechselhaft gespielt. Nach dem Titel in Australien sorgte sie im Fed Cup gegen Rumänien für zwei Punkte, zog in Charleston ins Halbfinale ein, sie gewann auch wie im Vorjahr das Turnier in Stuttgart, sie wirkte selbstsicher, spielte konzentriert.

Doch dann schlichen sich wieder alte Unsauberkeiten in ihre Schläge: In Madrid wie auch in Rom verlor sie ihre erste Partie. Den geplanten Start in der Woche danach beim Nürnberger Turnier sagte sie wegen einer Schulterverletzung ab. Wie sie danach ihre Zeit gestaltete, verriet sie zum Glück nicht so detailliert wie Williams, aber doch ansatzweise: Sie war im Kino, auch im Restaurant. Kerber hat vor Paris ihren Sport ein wenig ausgeblendet und über das große Turnier eher kleine Gedanken gehabt.

Wie sie ihre Formschwankungen erklärt? Dieses Jahr sei "ein bisschen anders" für sie. Schlechte Phasen gebe es aber immer. "Das ist kein Megadrama. Ich bin selbstbewusst hergekommen und auf einem guten Weg. Sieht alles gut aus."

Lisickis sportliches Drama

Vor allem im Vergleich zu Sabine Lisicki lässt sich das behaupten. Die ehemalige Wimbledon-Finalistin und frühere Weltranglisten-Zwölfte, die nach Beendigung ihrer Liaison mit Oliver Pocher weiter den Tennisprofi neben der Privatperson sucht, setzte in Paris ihren beängstigenden Sinkflug fort: 2:6, 2:6 verlor sie zum Auftakt gegen die Qualifikantin Verónica Cepede Royg aus Paraguay, Nummer 161 in der Welt.

Lisicki war schon vor Turnierstart auf Weltranglistenplatz 51 abgesackt, nun brachte sie gerade einmal die Hälfte ihrer ersten Aufschläge ins Feld und wird wohl nicht einmal als Ersatzspielerin zu den Olympischen Spielen nach Rio reisen dürfen. Ein solches sportliches Drama ist bei Kerber gewiss nicht vorstellbar. Aber ob sie Chancen hat auf einen Turniersieg?

Schon lange war keine Frauenkonkurrenz mehr so unvorhersehbar wie die nun folgende, bei den vergangenen zehn Turnieren gab es zehn verschiedene Siegerinnen. Serena Williams gewann zwar trotz ihrer kulinarischen Irrfahrten den Titel in Rom, allerdings war der ihr erster seit August 2015. Den Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit hat die Amerikanerin zuletzt verloren. Irgendwo auf dem Weg zwischen ihrer Halbfinal-Pleite gegen Roberta Vinci bei den US Open und dem Turnier von Rom. Und das ist auch der Verdienst von Kerber.

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