Süddeutsche Zeitung

French Open:Genug gezetert

Alexander Zverev bezwingt Fabio Fognini in einem Match voller Höhen und Tiefen. Im Viertelfinale der French Open trifft er nun auf Novak Djokovic, der zuvor dem bis dahin tadellosen Jan Lennard Struff eine Lehrstunde erteilt hatte.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Morgens im Court Philippe Chatrier, diesem riesigen Kasten, standen sie gemeinsam an der Grundlinie. Links Novak Djokovic, der aufschlug. Rechts Jan-Lennard Struff, der aufschlug. Das Hauptstadion der 123. French Open war zu diesem Zeitpunkt noch leer, es ist Sitte, dass die dort kämpfenden Protagonisten sich zuvor akklimatisieren dürfen bei einer letzten Übungseinheit. "Das ist nicht etwas, das Novak besonders liebt, den Trainingsplatz mit jemandem zu teilen", stellte Boris Becker als Kommentator von Eurosport fest, der 51-Jährige wusste das aus erster Hand: Er war mal Coach des nun wieder Weltranglisten-Ersten. Als "ein bisschen hektisch" habe Becker bei seiner Ausspähung den Serben empfunden. Für den Moment mochte das gestimmt haben.

Als das Achtelfinalmatch begann, war es tatsächlich offen - ganze sieben Spiele lang aber nur. Ab dem Zeitpunkt stand nur noch einer an der Grundlinie. Djokovic verteilte wie jemand, der offenbar unfassbare Lust darin verspürt, einen sehr guten Sparringspartner zu vermöbeln, die Bälle fast nach Belieben. "So ist er momentan nicht spielbar", ordnete Becker die Aktionen des 32-Jährigen ein, die zu einem 6:3, 6:2, 6:2-Erfolg geführt hatten. "Er hat mich früh aus meiner Position rausgeholt", analysierte Struff. "Er war Klassen besser."

Alexander Zverev ist also mehr als gewarnt, wenn es noch eines Hinweises der Stärke von Djokovic bedurfte. Denn der 22-jährige Hamburger, der mit Struff viel trainiert hatte in Paris, ist nun der Nächste, der sich mit Djokovic messen darf. Zverev hatte nach Struff im zweitgrößten Stadion, dem Court Suzanne Lenglen, den Italiener Fabio Fognini mit 3:6, 6:2, 6:2, 7:6 (5)

besiegt. Es war ein lange Zeit herrlich hitziges Duell. Struff musste sich wenig vorwerfen (außer dass er öfter ans Netz hätte gehen müssen, was er selbst bemängelte), denn erstens hätte er Djokovic nur stoppen können, wenn er ihm die Tennissaiten beim Seitenwechsel mit einer Schere durchschnitten hätte. Zweitens war er auch so ein Gewinner der ersten Grand-Slam-Woche. Als "Late Bloomer", Spätzünder, wurde er nach seinen drei Siegen gegen den Kanadier Denis Shapovalov, den Moldawier Radu Albot und den Kroaten Borna Coric auf der Roland-Garros-Homepage gewürdigt, die Sporttageszeitung L'Équipe titelte: "Achtet auf den großen Struff!" Auch in Übersee fand dessen Offensivgeist Beachtung, nach einer Pressekonferenz passte ihn ein Reporter der New York Times ab. Das alles lag daran, dass diejenigen, die es in die Runde der letzten 16 bei diesen Grand-Slam-Mammutveranstaltungen schaffen, weltweit mehr Aufmerksamkeit erhalten. Struff war zuvor noch nie im Achtelfinale.

Selbstverständlich hatte er sich eine längere Spielzeit als von 1:33 Stunden erhofft. Sein Konzept fußt eigentlich darauf, viele direkte Gewinnschläge zu produzieren. Er wisse aus eigener Erfahrung, wenn er etwa gegen aggressive Gegner antreten muss, wie das sei, wenn einem die Bälle um die Ohren fliegen, hatte er zuvor gemeint: "Das fühlt sich nicht immer gut an." In diesen Zustand des Schmerzempfindens wollte er Djokovic, so weit möglich, versetzen. Djokovic machte aber nicht mit - und zerstörte Struffs Angriffswillen gnadenlos.

Barty gegen Keys

Ashleigh Barty, die in der dritten Runde Andrea Petkovic, 31, aus Darmstadt besiegt hatte, hat am Montag erstmals das Viertelfinale bei den French Open erreicht. Die 23-jährige Australierin setzte sich gegen die Serena-Williams-Bezwingerin Sofia Kenin aus den USA mit 6:3, 3:6, 6:0 durch. In der Runde der letzten acht Spielerinnen trifft die Weltranglisten-Achte auf die Amerikanerin Madison Keys (Nummer 14), die gegen die Tschechin Katerina Siniakova beim 6:2, 6:4 weniger Mühe hatte. An diesem Dienstag finden die ersten beiden Viertelfinals statt. Vorjahresfinalistin Sloane Stephens aus den USA tritt gegen Johanna Konta aus England an. Petra Martic (Kroatien) und Marketa Vondrousova (Tschechien), überraschend so weit vorgestoßen, bestreiten die zweite Partie. Deutsche sind nicht mehr dabei. Gerald Kleffmann

In seinen ersten drei Aufschlagspielen glänzte Struff noch, aber ab der 4:3-Führung Djokovics wurde deutlich, was Grand-Slam-Gewinner der ersten Woche von Grand-Slam-Gewinnern nach der zweiten Woche unterscheidet: Sie schnappen zu, wenn sich Chancen bieten. Sie zermürben Gegner. Schon Yannick Hanfmann, Yannick Maden (jeweils gegen Rafael Nadal) und Oscar Otte (gegen Roger Federer) hatten die Erfahrung gemacht, dass sie ansehnlich mitwirken können. Aber irgendwann klappt das nicht mehr mit dem Mithalten. Es ist, als würden die Top-Profis in den fünften Gang schalten, während die anderen im dritten hängen bleiben. Die Klasse Djokovics drückte sich auch in einer Statistik aus: Er ist der erste Spieler, der in Roland Garros zehnmal in Serie das Viertelfinale erreichte. 15 Grand-Slam-Titel hat er bereits, in Paris könnte ihm wie 2015/16 der vierte in Serie nach Erfolgen in Wimbledon, New York und Melbourne glücken. Struff rückt dafür neu in die Top 40 ein. "Ich will das Positive und den Schwung nach Stuttgart mitnehmen", sagte er; nächste Woche startet die Rasensaison. Zverev begann sein Match gegen Fognini mal wieder mit Schwächen, sein Aufschlag wackelte, insgesamt fabrizierte er zwölf Doppelfehler. Phasenweise sah es aus, als wollten die beiden ausloten, wer schneller ausflippen kann. Fognini, Nummer 12 der Welt, beschimpfte seine eigenen Leute in der Box, warf Zverev zynisch Handküsschen zu, schmiss mehrmals den Schläger, erhielt eine Verwarnung. In den ersten eineinhalb Sätzen machte Zverev mit, zeterte, maulte, motzte, meist auf Russisch. In diesen Phasen kommt die Heimat seiner Eltern in seiner Seele zum Vorschein. Nach 2:55 Stunden hatte Zverev dann aber, am Ende ruhiger geworden, gesiegt. Viel öfter als zuvor war er ans Netz gerannt, 46-mal, 28-mal punktete er dabei. Eine Korrektur seiner Taktik, die vermehrt kritisiert worden war, auch von Becker. "Ich bin glücklich, wie ich gespielt habe", sagte er, "es ist schön, wieder im Viertelfinale zu sein. Das ist etwas Besonderes für mich." Vergangenes Jahr hatte Zverev das bislang einzige Mal die Runde der letzten Acht bei einem Grand Slam erreicht, in der Partie gegen den Österreicher Dominic Thiem aber eine Oberschenkelverletzung erlitten und klar verloren. Umso mehr hatte er diesmal, sagte er, die Sehnsucht, "mir noch mal die Chance zu geben, ein Viertelfinale zu spielen". Die bekommt er jetzt. Er setzt dabei am Mittwoch eine Tradition der Deutschen bei diesem Turnier fort - er trifft nun auch auf einen der Big Four, der großen Vier - Djokovic. "Gegen die Nummer eins der Welt", sagte Zverev mit einem Lächeln, "das wird interessant."

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SZ vom 04.06.2019
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