French Open: Frauen:Die Tipps der Frau Abramowicz

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Die 19-jährige Polin Iga Swiatek gibt mit ihrem French-Open-Sieg eine Ahnung davon, wie sich das Frauen-Tennis entwickeln könnte - der mentale Aspekt wird noch wichtiger.

Von Lisa Sonnabend, Paris/München

Einmal quer gelegt: Im vergangenen Herbst konnte Iga Swiatek stolz ihren French-Open-Pokal präsentieren, auch Daria Abramovicz (links) durfte den neuen Champion halten. (Foto: Corinne Dubreuil/dpa)

Nur wenige Tennisfans schafften es auf die Anlage von Roland Garros in den vergangenen zwei Wochen, wegen der Coronavirus-Pandemie waren nur 1000 Zuschauer erlaubt. Doch eine Anhängerin von Rafael Nadal fingen die Kameras immer wieder ein, sie kam jeden Tag. "Er ist mein Lieblingsspieler", berichtete die 19-Jährige einmal: "Ich hoffe, dass er einen weiteren Titel holt." Am Samstag war es dann der Nadal-Fan selbst, der triumphierte. "Jedes Jahr habe ich zugeschaut, wie Rafa hier die Trophäe hochreckt", sagte Iga Swiatek bei der Siegerehrung: "Es ist der Wahnsinn, jetzt stehe ich hier, an der gleichen Stelle." Swiatek bezwang die Australian-Open-Siegerin Sofia Kenin 6:4, 6:1, nur 84 Minuten dauerte das Endspiel. Beim Matchball knallte der Teenager eine Vorhand unerreichbar ins Feld, hielt sich die Hand vor den Mund, langte sich an die Stirn. Es war wirklich irgendwie unglaublich. Swiatek ist die erste Grand-Slam-Siegerin im Einzel aus Polen, sie ist die jüngste Gewinnerin bei den French Open seit Monica Seles 1992, der letzte Sieger von Paris, der 19 Jahre alt war, hieß: Rafael Nadal.

Als Nummer 54 der Welt kam Swiatek nach Paris. Sie war zwar in diesem Jahr mit Ergebnissen wie dem Achtelfinale bei den Australian Open aufgefallen, doch kaum jemand wusste, wie man ihren Nachnamen richtig ausspricht ("Swi-on-tek"). Dann demütigte sie im Achtelfinale die Topgesetzte Simona Halep mit 6:1 und 6:2, sie gab in den sieben Partien bis zum Titelgewinn lediglich 28 Spiele ab - ein derartiger Durchmarsch war seit Serena Williams in ihrer dominanten Zeit niemandem im Frauentennis gelungen. Swiateks Stärken: ihre mutigen, kraftvollen, unaufhaltsamen Schläge - und ihre innere Ruhe.

Mit Kopfhörern betrat die Polin am Samstagnachmittag das Stadion Philippe Chatrier. Sie zog die weiße Kappe tief ins Gesicht und begann das erste Finale ihrer Karriere abgebrüht. Swiatek nimmt die Bälle so früh wie keine andere Spielerin derzeit, steht meist einen Schritt vor der Grundlinie, setzt die Gegnerinnen sofort unter Druck, spielt unerreichbare Winkel. Das langärmlige Hemd flatterte dabei an ihrem hageren Körper. Schnell lag Swiatek 3:0 vorne. Doch die 21 Jahre alte Kenin, die immer dann besonders präzise spielt, wenn sie zurückliegt, glich zum 3:3 aus. Swiatek ließ sich nicht beeindrucken - auch nicht, als die Amerikanerin beim Stand von 3:5 einen Satzball abgewehrt hatte und auf 4:5 herankam. 6:4 gewann die Polin den ersten Durchgang. Den zweiten Satz begann Kenin mit einem Break - doch dann holte sie kein Spiel mehr. Beim Stand von 1:2 ließ sie sich behandeln: Der ohnehin mit einem Tape zugepflasterte linke Oberschenkel wurde nun dick bandagiert. "Ich möchte es nicht als Ausrede anführen", sagte Kenin nach der Partie, "aber mein Bein fühlte sich nicht gut an." Swiatek ließ sich von der Unterbrechung nicht beirren, sie machte kaum noch einen Fehler. Erst danach wurde sie überwältigt. "Es ist verrückt", sagte sie. Die Stimme wackelte, sie lächelte tapfer. Sie stemmte den Pokal hoch, die schwarze Atemschutz-Maske durfte sie nicht einmal für die Siegerfotos ausziehen. Nur kurz nahm Swiatek sie ab, um die Trophäe zu küssen.

Vor ein paar Tagen hatte Swiatek noch angekündigt, wenn es mit dem Tennis nicht vorangehen würde, wolle sie sich an der Uni einschreiben. Nun springt sie in der Weltrangliste auf den 17. Platz. 2018 gewann Swiatek noch das Juniorenturnier in Wimbledon, zwei Jahre später ist sie bereits in der Weltspitze angekommen. Polens Präsident Andrzej Duda und der FC-Bayern-Fußballer Robert Lewandowski gratulierten, "Poland Garros", titelte die Sportzeitung Przeglad Sportowy.

Konzentriert bis in die Fingerspitzen: Überraschungssiegerin Iga Swiatek gab auf dem Weg zum Titel nicht einen Satz ab. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Im Frauentennis hat es zuletzt häufig neue Grand-Slam-Siegerinnen gegeben. Die Weltranglistenerste Ashleigh Barty war wegen der Infektionsgefahr nicht nach Paris gereist, die US-Open-Siegerin Naomi Osaka fehlte verletzt, die 23-malige Grand-Slam-Gewinnerin Serena Williams zog in der zweiten Runde zurück. Die verbliebene Turnierfavoritin Halep sowie Kenin besiegte Swiatek deutlich. Es waren ihre Tage, sie nutzte ihre Chance.

"Die Herausforderung wird nun sein, konstant zu spielen", analysierte Swiatek nach dem Endspiel: "Das ist das größte Problem im Frauentennis derzeit. Es fehlt Beständigkeit." Swiatek arbeitet bereits seit Jahren mit einer Sportpsychologin zusammen. In Paris betonte sie oft, wie wichtig die Anleitungen und Tipps von Daria Abramowicz, einer ehemaligen Profiseglerin, für sie seien, wie sie sich im Finale bemühte, die Erwartungen niedrig zu halten. Sie erzählte, wie ihr Vater, der auch ihr Trainer ist, skeptisch war, als sie sich psychologische Unterstützung holte. Nun war sie selbst von sich überrascht: "Ich war mental so konstant."

In Paris trug Swiatek stets ihre weiße Kappe, sie hilft ihr, bei sich zu bleiben, sicherlich auch, sich vor dem Druck zu verstecken. Swiatek nahm die Kappe nie ab, nicht nach dem Matchball, nicht für die Siegerehrung, nicht bei der Fragerunde. Es soll ja weitergehen.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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