French Open:Eiskalte Korrekturen

Tennis - ATP Finals

„Ich hoffe, es wird ein schweres Match für beide“: Alexander Zverev (rechts) trifft auf Novak Djokovic (links), die Nummer eins.

(Foto: Andrew Couldridge/Action Images via Reuters)

Alexander Zverev hat sein Tief in eine Chance umgedeutet - und sich in Paris ins Viertelfinale gekämpft. Nun wartet eine schier unüberwindbare Hürde: Novak Djokovic.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Socken brauche er, Handschuhe, etwas für die Ohren, die Nase, zum Schutz. "Du hast nichts an", sagte Alexander Zverev und erklärte das Prozedere: "Es sind so 180 Grad minus in einem Raum, da gehst du für drei Minuten rein und frierst dir einen ab." Kryotherapie nenne man diesen Aufenthalt in einer Kältekammer - "das tut weh. Das ist kein Zehn-Grad-Eisbad". Danach sei er fertig, "du musst erst mal unter die warme Dusche". Der Effekt sei positiv, für die Regeneration der Muskeln: "Ich fühle mich danach einfach gut." Er lächelte: "Aber das können Sie sicher googeln, da erfahren Sie das genauer."

Als Zverev den Pressekonferenzraum verließ, strahlte er Leichtigkeit aus. Seine Körpersprache war also identisch mit dem, was er zuvor betont hatte. "Ich bin im Viertelfinale, alles scheint gerade zu funktionieren", hatte er gesagt und: "Alles in meinem Leben ist aktuell sehr gut." Mit Siegen im Bewusstsein sieht die Welt eben angenehmer aus. Dass nach wie vor manche Probleme dahinwabern, verheimlicht Zverev nicht; der juristische Streit mit seinem früheren Manager Patricio Apey belastet ihn. Aber offensichtlich nicht in Paris.

Zverev, 22, ist wieder einmal der letzte verbliebene Deutsche bei einem Grand-Slam-Turnier, diesmal in der Runde der letzten acht. Er erlebt aber ein neues Kapitel. Er ist ja einer, für den es jahrelang nach oben ging, der die Nummer drei der Weltrangliste war und nun die Nummer fünf ist. Wenn so einer Sorgen offenbart und häufiger verliert als in der zurückliegenden Sandplatzsaison, ist die Zeit der Kritiker gekommen. "In einer leichten Krise" wähnte ihn zuletzt nicht zu Unrecht Boris Becker; der 51-Jährige hat aber das Glück, dass er dafür nicht gegeißelt wird, weil er Zverev nahesteht. Inmitten seiner Rechtfertigungsphase hat sich Zverev auf das besonnen, was stets sein Ansatz war: "Ich höre nur auf sehr wenige Leute, ich höre auf Leute, die in meinem Umkreis sind" - und nicht "auf die Experten, davon gibt es ja immer Tausende".

Wie sich die Lage darstellt, hat dieser nicht immer ganz durchschaubare Zverev sein Tief kurzerhand in eine Chance umgedeutet. Ja, er liebe es, dass andere - Rafael Nadal, Novak Djokovic, Roger Federer - mehr im Fokus stünden. "Das Beste, was mir passieren konnte, war, wie gut die Sandplatzsaison von Tsitsipas war." Der Grieche Stefanos Tsitsipas, 20, ist im Achtelfinale nach einem packenden Match an Stan Wawrinka gescheitert und dennoch der neue Darling der Branche, was Zverev recht ist: "Letztes Jahr war ich der neue Superstar, dieses Jahr ist er es, nächstes Jahr, in zehn Jahren ist es wieder ein anderer." Der Welpenschutz, den Aufsteiger genießen, kommt nun anderen zugute.

Gleichwohl heißt das nicht, dass Zverev alles auf dem Platz richtig gemacht hat. Nicht nur Becker, auch John McEnroe oder Mats Wilander, frühere Nummer-eins-Spieler, hatten sein zu defensives Stellungsspiel moniert. Zverev neigt dazu, so weit hinter der Grundlinie zu stehen, dass er für den Seitenwechsel fast die Metro nehmen muss. Er brauche, mit 1,98 Metern Größe, Zeit zum Schwingen, erklärte er, hat aber dann doch im Achtelfinale gegen Fabio Fognini Korrekturen vorgenommen. Fast 50 Mal wagte er Netzangriffe. Er stand auch eher tiefer im Feld. "In die Vorhand habe ich mich verliebt", sagte Becker, in Paris nicht als deutscher Head of Men's Tennis im Einsatz, sondern als TV-Experte: "Vor allem die Vorhand cross öffnet komplett den Platz." Sein Fazit nach Zverevs 3:6, 6:2, 6:2, 7:6 (5)-Sieg gegen den Italiener: "Das ist das Niveau, das ich mir gewünscht habe. Aber das brauchst du auch für das Match gegen Djokovic."

Er wollte nach dem unglücklichen Viertelfinale im vergangenen Jahr die Chance haben, es besser zu machen, das war Zverevs Ziel. Nach drei Fünfsatzpartien hatte er beim Duell mit dem Österreicher Dominic Thiem eine Oberschenkelverletzung erlitten, die sich als vier Zentimeter langer Riss herausstellte; in drei Sätzen verlor er klar. "Ich hoffe, es wird ein schweres Match für beide", sagt Zverev nun hoffnungsvoll, denn dass es für ihn eines wird, ist unbestritten. Nur: Ob es auch für Djokovic schwer wird, ist offen. Der Serbe hat nach einem Krisenjahr in den Planierraupenmodus zurückgefunden und beim 6:3, 6:2, 6:2 gegen Jan-Lennard Struff seinen 25. Sieg in einem Grand-Slam-Match in Serie erzielt, beginnend mit Wimbledon 2018. Mit seinem zweiten Triumph in Roland Garros könnte Djokovic wie im Mai 2016 Inhaber aller vier Grand-Slam-Trophäen sein. "Ich komme fast an mein bestes Tennis auf Sand ran", sagte er.

Zverev schöpft seine Zuversicht vor der großen Aufgabe auch daraus, in Fognini (Nummer 12 der Welt) erstmals bei einem Grand Slam einen Spieler aus den Top 20 bezwungen zu haben. Mit Ivan Lendl, seinem absenten Coach (der zur Rasensaison zu ihm stößt), wird er sich wie immer per Telefon eine Taktik zurechtlegen. Jedoch seien die Gespräche "immer kurz, meistens ist er auf dem Golfplatz", verriet Zverev in einem Eurosport-Interview: "Er hat immer so 44 Sekunden Zeit, bevor er den nächsten Schlag machen muss." Daher "redet er dann halt viel, und das war's". Fürs Viertelfinale in Paris hat diese Art der Kommunikation immerhin schon mal gereicht.

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