Süddeutsche Zeitung

French Open:Zwei Deutsche überrumpeln die Tennisbranche

  • Als erste deutsche Paarung im modernen Profitennis gewinnen Kevin Krawietz und Andreas Mies mit den French Open ein Grand-Slam-Turnier.
  • Die beiden Einzelspieler ergänzen sich im Team ideal - und überraschen als Duo in Paris die gesamte Tennisbranche.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Am Sonntagmorgen die Kontrolle: die Rue de la Convention hinauf, über zwei Ampeln. Auf der Pont Mirabeau der Blick nach rechts. Und? Da steht er noch, in voller Pracht. Eine 324 Meter hohe, monströse Eisenkonstruktion. Der Eiffelturm.

Hatten Andreas Mies und Kevin Krawietz nicht tags zuvor versprochen, ihn in der Nacht abzureißen?

Für Paris, immerhin, ist das eine gute Nachricht, dass diese zwei Teufelskerle ihre Ankündigung nicht wahr gemacht haben, die sie - da musste man Nachsicht walten lassen - im Zustand der Euphorie ausgesprochen hatten. Das Letzte, was man von ihnen und einer Gruppe Freunde aus dem Spielercafé auf der Anlage am Bois de Boulogne gehört hatte, klang ja so: "So sehen Sieger aus, scha-la-la-la-la!"

Sie durften zurecht feiern. Kein deutsches Duo (auch kein Frauen-Duo) hatte in der Epoche des Profitennis je die French Open oder ein Grand-Slam-Turnier gewonnen; die Ära läuft seit 1968. Marc-Kevin Goellner und David Prinosil standen 1993 im Finale. In der Amateurzeit gab es einst einen Triumph, für Gottfried von Cramm und Henner Henkel, 1937. Mit ausländischen Partnern immerhin wurden Titel verzeichnet. Michael Stich siegte 1992 in Wimbledon mit John McEnroe (USA). Philipp Petzschner gewann 2010 in Wimbledon sowie 2011 bei den US Open mit dem Österreicher Jürgen Melzer. Doch nie triumphierten zwei deutsche Männer zusammen in Melbourne, Paris, London oder New York.

Krawietz und Mies sind jetzt die Ersten. "Wir sind zum ersten Mal hier und holen den Titel, das ist Wahnsinn", sagte Krawietz. Grand-Slam-Champion? "Das klingt lächerlich", sagte Mies. Er war nicht der einzige, der ungläubig schaute.

Ein beschwerlicher Weg zu Titel

Krawietz, 27, und Mies, 28, der Kölner und der Coburger, sind gute Spieler, aber für größere Erfolge hatte es nie gereicht. Mies spielte vier Jahre College-Tennis in Auburn, Alabama, kehrte zurück, musste sich am Knie operieren lassen, konzentrierte sich aufs Doppel. 2014 war er im Einzel die Nummer 781 der Weltrangliste. Heute ist er nicht mal mehr gelistet als Solist. In der Bundesliga spielt er für Rot-Weiss Köln. Krawietz, der in der Liga für den TC Großhesselohe antritt, galt einst als großes Talent. Höher als Position 211 im Einzel schaffte er es bislang aber nicht.

Paris war erst ihr zweites Grand-Slam-Turnier, bei dem sie zusammen antraten. "Ich hatte schon als Kind die French Open gesehen und gesagt: Irgendwann spiele ich dort mal und bin im Fernsehen", sagte Mies. Eurosport übertrug ihr Finale. Ihr Coup ist ein wahrgewordener Traum. Zwar ein bisschen in der Nische, aber eindeutig auf größtmöglicher Bühne.

Nach dem Frauenfinale durften Krawietz und Mies auf den Court Philippe Chatrier, ins Hauptstadion. Ihre Gegner waren die Franzosen Fabrice Martin und Jeremy Chardy, der im Einzel mal zu den Top 30 gehörte. "Es war absoluter Wahnsinn, als wir auf den Platz kamen, was die für Lieder angestimmt hatten", berichtete Mies. Ihr Vorsatz: "Wenn die gegen uns sind, wollten wir das auf uns ummünzen und genießen." Die Rolle der Außenseiter liegt ihnen, wenngleich sie sich nicht so sehen. Im Februar gewannen sie das ATP-Turnier in New York, das gab Mut. "Ohne arrogant klingen zu wollen", sagte Mies, "wir waren immer überzeugt, ein Grand Slam zu gewinnen und in die Weltspitze zu kommen." Beides ist nun schlagartig geglückt. In der Rangliste schossen sie auf Platz 21 (Krawietz) und 22 (Mies) hoch, was einen wichtigen Effekt hat: "Man sagt, im Einzel musst du Top 100 sein und im Doppel Top 30, um in alle Turniere reinzukommen", sagte Mies.

Jahrelang hatte er kleine Turniere abgeklappert, 200 Euro für einen Sieg bei einem Future, 1100 Euro bei einem Challenger. "Ich habe viel draufgezahlt." Zuvor betrug sein Karriere-Preisgeld 160 000 Euro. Nun teilen sie sich 580 000 Euro. "So viel?", rief Mies. Er wolle aber sparen. Es sei eine beruhigende Basis für das Reisen auf der Tour. Nun dürfen sie ja überall hin. Zum Beispiel wieder nach Wimbledon, wo sie 2018 ihr zuvor einziges Grand Slam bestritten hatten.

"Aber das könnt ihr mir glauben", schob Mies nach, "der Titel ist mir echt wichtiger als Geld. Diese Momente zu erleben, als wir auf den Boden gefallen sind und uns in den Armen lagen." Wie zwei Säcke waren sie synchron auf den Rücken geplumpst. "Ich dachte, wo bleibst du?", verriet Mies. "Warum springst du nicht auf mich drauf?" Gab es mal so beschwingte deutsche Sieger?

"Was für eine Reise!", staunte Krawietz, als er bei der Siegerehrung auf Englisch zur Tenniswelt sprach. Die nachgereisten Freunde und Familienmitglieder im Publikum applaudierten. "Die hatten auch Tränen in den Augen", sagte Mies, "das sind Momente, wofür wir spielen."

Jetzt klingt alles so schlüssig, wie sie es schafften, die Branche zu überrumpeln - und sich selbst: Mies musste einmal umziehen, weil sie länger im Wettbewerb blieben als gedacht. Dann musste er seine Airbnb-Wohnung verlängern, weil sie das Finale erreichten - und er nur bis Freitag gebucht hatte.

Mies zerstört jeden Rhythmus der namhaften Gegner

Ende 2017 hatten die zwei es erstmals miteinander versucht, "die Chemie stimmte gleich", sagte Mies. Sie gewannen ein Challenger, ein kleineres Profiturnier. Seit März 2018 sind sie ein festes Duo. Seitdem ging es aufwärts. "Wir ergänzen uns perfekt", betonte Krawietz. Er schlage gut auf, sei der Ruhigere. Der Return sei eine Stärke von beiden. Und Mies? "Du kannst Kanonenkugeln auf ihn schießen", sagte Krawietz, "da räumt er sie weg. Es ist ihm völlig wurscht, was da angeflogen kommt."

Wie ein Irrwisch hechtete Mies am Netz in die Ballwechsel, zerstörte jeden Rhythmus der Gegner, die namhaft waren. In Runde zwei bezwangen sie den Franzosen Nicolas Mahut, der alle vier Grand- Slam-Titel im Doppel errang, und den Österreicher Jürgen Melzer. Chardy/Martin besiegten sie 6:2, 7:6 (3), es war komplett verdient. Sie ließen keinen Breakball zu.

Und dass der Eiffelturm noch steht? "Wir haben uns da leider übernommen", sagte Mies lachend am Sonntag. "Wir waren zwar 50 Leute, aber der Eiffelturm ist doch zu stabil." Krawietz scherzte: "Wir haben dran gerüttelt, aber er wollte nicht." Bis halb sechs morgens hätten sie gefeiert, in einem Nachtclub. Als Nächstes spielen sie das Rasenturnier in Halle, aber erst einmal geht es nach Hause. "Ich habe bisher nur den Matchball gesehen, den mir ein Freund per Video zugeschickt hat", sagte Mies. "Zuhause werde ich auf jeden Fall das Halbfinale und Finale genüsslich reinziehen." Das Schöne: Er weiß ja, wie sie ausgingen.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2019/tbr
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