Halbfinals der French Open:Tänzer und Philosoph ziehen in den Kampf

Diego Schwartzmann bei den French Open 2020

Gute Laune in Paris: Diego Schwartzman spielt gegen Rafael Nadal um den Finaleinzug.

(Foto: imago images/Paul Zimmer)

Null Grand-Slam-Titel gegen 36: Die Rollen sind klar verteilt, wenn Tsitsipas und Schwartzman auf Djokovic und Nadal treffen. Doch beide haben ein schlaues Überlebensrezept.

Von Gerald Kleffmann

Cédric Pioline, der Wimbledon-Finalist von 1997, der bei den French Open zum Team der Platz-Interviewer zählt, stellte seine erste Frage auf dem Court Philippe-Chatrier an den Sieger dieser letztlich überraschend einseitigen Viertelfinalpartie. Stefanos Tsitsipas, Dreisatz-Gewinner gegen den Russen Andrej Rubljow, hörte sie sich aufmerksam an. Er überlegte. Er überlegte. Die wenigen Zuschauer, die wegen der Corona-Beschränkungen Einlass ins Stadion fanden, wurden unruhig, manche klatschten. Tsitsipas aber: sagte nichts. Er fand nicht die richtigen Worte. Da schwieg er lieber erst mal.

Einen nachdenklicheren Tennisprofi gibt es möglicherweise gerade nicht in der Weltspitze. Manchmal, wenn er sich in seinen Blues hineinsteigert, kommt auch ein abgefahrenes Selfie-Video wie während der Corona-Pause heraus. Da hatte er sich gefilmt, allein im düsteren Licht sitzend, und Mephisto-gleich monologisiert.

Diego Schwartzmans größte Stärke, zumindest jene, mit der er abseits seines variantenreichen Gewusels auf dem roten Sand glänzt, ist sein Hüfttanz. Schwartzman liebt Musik. Seine beste Nummer: die Arme ausstrecken und sanft das Becken rotieren. Wenn Tsitsipas der Einsiedler ist, ist Schwartzman der Gesellige. Dass er auch in der Lage ist, seiner Freundin am Strand zärtlich in die Backe zu beißen, wissen nun seine halbe Million Instagram-Follower. Er, der aus ärmeren Verhältnissen kam, genießt schon das Leben.

Die größte Hürde für alle Herausforderer von Djokovic und Nadal war und ist das Format bei Grand-Slam-Turnieren

Halbfinals der French Open: Der Philosoph und der Tänzer hoffen auf ihr erstes Grand-Slam-Finale: Stefanos Tsitsipas und ...

Der Philosoph und der Tänzer hoffen auf ihr erstes Grand-Slam-Finale: Stefanos Tsitsipas und ...

(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Es sind in jedem Fall zwei unterschiedliche Charaktere, die an diesem Freitag stellvertretend in den Kampf ziehen für alle, die sich nicht The Big Three nennen dürfen, und das ist ja die gesamte Menschheit abzüglich Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic. Tsitsipas, 22, aus Athen, spielt im Halbfinale der French Open gegen den Weltranglisten-Ersten Djokovic, Schwartzman, 28, aus Buenos Aires gegen den zwölfmaligen Roland-Garros-Sieger Rafael Nadal. Null Grand-Slam-Titel gegen 36 (17 der Serbe, 19 der Spanier) - die Rollenverteilung ist eindeutig. Auch wenn Djokovic im Viertelfinale gegen den Spanier Pablo Carreño Busta Probleme im Nacken hatte, auch wenn Nadal sich gegen den jungen Südtiroler Jannik Sinner lange schwertat - die Geschichte hat gelehrt: Es muss viel zusammenkommen, damit diese Größen ihres Sports stolpern. Und damit ist nicht ein Regelbruch wie der von Djokovic bei den US Open gemeint, als er (gegen Carreño Busta) eine Linienrichterin mit einem Ball traf, den er wütend weggedroschen hatte, und disqualifiziert wurde.

Die größte Hürde für alle ihre Herausforderer war und ist das Format bei Grand-Slam-Turnieren. Im Modus Best of 3, bei dem nur zwei gewonnene Sätze nötig sind, gelangen ja schon einigen der neueren Generation schöne Siege. Als Alexander Zverev 2018 die ATP-Finals in London gewann, bezwang er Federer und Djokovic. Schwartzman rang vor den French Open beim Masters-Turnier in Rom Nadal nieder, 6:2, 7:5. Wenn aber nur drei Gewinnsätze zum Siegen reichen, wie in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York , sieht die Bilanz anders aus. Schwartzman etwa verlor alle vier bisherigen Grand-Slam-Duelle gegen den Mallorquiner. 2018, auch in Paris, spielte Schwartzman einen überragenden ersten Satz, gewann diesen 6:4, Nadal wirkte angeknockt. Nach einer Regenpause endete die Partie: 6:3, 6:2, 6:2 für Nadal. Djokovic hatte am Mittwoch Schwierigkeiten gegen Carreño Busta, er konnte sich lange nicht frei bewegen, wirkte angeschlagen, doch ein Best of 5-Match bietet Freiraum genug, um Tiefs aussitzen zu können. Zverev gelang 2018 ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren, gefährlicheren Grand-Slam-Spieler, als er lernte zu akzeptieren, dass er nicht in Panik verfallen muss, wenn der erste Satz weg ist oder auch der zweite.

"Ich jage etwas Spektakuläres", sagt Tsitsipas

Beim Blick auf die Siegerlisten lässt sich vermuten, dass die Dominanz der Big Three (Federer will nach seiner Verletzungspause im Januar bei den Australian Open zurückkehren) ermüdend ist. Aber dieser Eindruck wird der Sache nicht gerecht. Auch wenn sich die drei selbst in zwei Lager aufspalten und Federer und Nadal nicht immer eins mit Djokovic sind: Sie bilden eine Klasse für sich und verteidigen diese gemeinsam Jahr für Jahr, während die jüngeren Kollegen Jahr für Jahr versuchen, sie in die Bredouille zu bringen.

Was Nadal und Djokovic neben ihrer Zähigkeit auszeichnet, ist ihre Kompromisslosigkeit, sie beißen alles weg. Novak Djokovic verlor auf dem Weg in sein 38. (!) Grand-Slam-Halbfinale nur einen Satz, Nadal (34. Halbfinale) keinen. Zügig erste Runden zu überstehen, hilft nicht nur, besser bei Kräften zu bleiben. Sondern auch geistig frisch. Rubljow, der das Turnier in Hamburg gewann (gegen Tsitsipas), rieb sich in Paris bereits in der ersten Runde gegen Sam Querrey (USA) auf, als er einen 0:2-Satzrückstand aufholte. Tsitsipas musste zwar Gleiches gegen den Spanier Jaume Munar leisten. Im Viertelfinale der beiden ließ sich aber konstatieren, dass Rubljow mental ausgelaugt war von seinem Weg dorthin. Tsitsipas wirkte williger und energiegeladener.

"Anpassung. Anpassung. Anpassung." Diese Antwort hatte der Grieche selbst zu Beginn der French Open auf die Frage gegeben, welche Fähigkeit bei diesem wetterbedingt schwierigen Turnier am wichtigsten sei. Eine schlaue Antwort. Denn während eines Grand Slams passiert so viel (in Matches), ändert sich so viel (Fitness, Wetter, eigene Psyche), dass man ständig neu reagieren muss. Im Grunde sind es zwei, drei Turniere, nur in einem verpackt. Der lediglich 1,70 Meter große Schwartzman hat in diesem Sinne sein Überlebensrezept so definiert: "Ich muss auf dem Platz mixen. Ich muss aggressiv sein, wenn ich die Chance dazu habe. Ich muss gut in der Verteidigung sein, wenn ich verteidigen muss."

Den bezeichnendsten Satz, worum es nun geht, hat natürlich der Philosoph Tsitsipas geäußert, er sagte: "Ich jage etwas Spektakuläres." Pech eben nur, dass das Nadal und Djokovic genauso sehen. Auch mit 34 und 33 Jahren immer noch.

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