French Open:Djokovic ist nun ein Spieler wie jeder andere

2017 French Open - Day Eleven

0:6 im dritten Satz: Novak Djokovic scheitert bei den French Open.

(Foto: Getty Images)
  • Titelverteidiger Novak Djokovic verliert in Paris in drei Sätzen gegen Dominic Thiem.
  • Aus dem sportlichen Tief hat sich der ehemalige Weltranglistenerste noch lange nicht befreit.
  • "Das tut mir jetzt ein bisschen weh. Das ist kein schönes Bild dieser Legende", sagte Boris Becker.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Der Sieger stand auf dem Platz namens Court Suzanne Lenglen am Mikrofon, das ihm Ex-Profi Cedric Pioline hinhielt. Fast schon demütig würdigte er seine eigene Tat. Er brachte mit ruhiger Stimme seine Freude zum Ausdruck, dass er ja nun im Halbfinale dieser French Open stehe, wie er es schon vor genau einem Jahr geschafft hatte. Er hätte gut agiert, "den Ball sauber getroffen", analysierte er, und mit Blick auf den kommenden Gegner, den neunmaligen Roland-Garros-Champion Rafael Nadal, sagte er schmunzelnd mit leiser Ironie: "Es ist unglaublich, wie schwer es ist, bei einem Grand Slam tief ins Turnier vorzustoßen. Es wird nicht leichter am Freitag."

Nadal ist ja wieder erstarkt und auf Sand in diesem Jahr unterwegs wie eine Planierraupe. Am Mittwoch führte er 6:2, 2:0, ehe sein spanischer Landsmann Pablo Carreno Busta wegen einer Bauchmuskelzerrung aufgab. Alles wäre also nett und doch unspektakulär gewesen - wenn der Sieger dieses 7:6 (5), 6:3, 6:0 Novak Djokovic geheißen hätte.

Aber es war Dominic Thiem, der da bei Pioline stand und lächelte.

Zwölf Punkte in Serie verloren

Dem 23-jährigen Österreicher, Nummer sieben der Weltrangliste, einem der größten, Tennis schuftenden Talente, war eine Machtdemonstration gelungen. Der erste Satz verlief noch auf Augenhöhe, 73 Minuten lang. Dann nahm das Raunen der Zuschauer zu, sie sahen etwas, das in dieser Liga selten vorkommt: einen Klassenunterschied. "Das tut mir jetzt ein bisschen weh. Das ist kein schönes Bild dieser Legende", sagte Boris Becker, der Djokovic drei Jahre lang trainiert und zu sechs grandiosen Grand-Slam-Triumphen geführt hatte, als Eurosport-Kommentator.

Wahrscheinlich muss man bis in die Jugend Djokovics zurückgehen, um eine Phase zu finden, in der sein Spiel derartig auseinanderbrach wie Mitte des dritten Satzes. Zwölf Punkte in Serie verlor er nicht nur - er überreichte sie Thiem auf dem Tablett. Mit Bällen, die er am Rahmen traf. Bällen, die nicht knapp, sondern weit im Aus landeten. Bällen, die tief unten ins Netz segelten. Oft winkte er kopfschüttelnd ab. Er beeilte sich häufig und schlug schnell auf, als wolle er, dass alles rasch vorbei ist. Dies war das Bild, von dem Becker so treffend sprach.

Und es war eines, das Novak Djokovic von sich zeichnete. Die Quintessenz seiner Worte: Von seinem sportlichen Tief, dessen schleichender Prozess mit dem erlösenden, weil einzig damals noch fehlenden Grand-Slam-Titel vor einem Jahr in Paris eingesetzt hatte, ist er lange nicht erholt. Daran ändert auch die Euphorie wenig, die er mit der spontanen Verpflichtung von Andre Agassi als Hin-und-wieder-Trainer in sich bewirkte. Im Grunde, das schwang in seinen kritischen Selbstbetrachtungen mit, ist er jetzt ein Spieler wie jeder andere.

Djokovic wirkt ratlos

"Es ist offensichtlich, dass mehr oder weniger alle Teile meines Spiels auf und ab gehen", räumte Djokovic ein, "ich fühle, mir fehlt die Konstanz. Ich spiele ein tolles Match oder zwei und dann spiele ich das komplette Gegenteil. Das ist heute passiert." Djokovic, der vor zwölf Monaten noch titanbeschichtet jeden Angriff seiner Gegner an sich abprallen ließ, gestand nun wirklich, ihm sei gegen Thiem "der große Kämpfer" in sich abhanden gekommen. Er sei unfähig gewesen, den Ball gut zu treffen. Thiems "heftiger Spin" habe ihm Probleme bereitet. Die Schonungslosigkeit, mit der er sich analysierte, war indes bemerkenswert. Da ist er keiner unter vielen.

Ratlos bei aller Tiefenschärfe wirkte er dennoch. Es klang nach Durchhalteparole, als er, der zwölfmalige Grand-Slam-Sieger, der 223 Wochen lang die Nummer eins gewesen war, von sich forderte: "Das Mindeste, das ich tun kann, ist, alles zu geben, wenn ich den Schläger in der Hand halte." Ende 2016 ging Becker als Trainer, Anfang Mai 2017 trennte sich Djokovic vom ganzen Team, Agassi, den er als tiefgründiges Idol bewundert, entfachte Hoffnung. Und doch weiß er offenbar nicht genau, wie er seine Karriere weiter definieren soll. Ob er sich nicht eine Pause nehmen wolle? "Vertraut mir", beschwichtigte er die Reporter, um dann sagen: "Ich denke über viele Dinge nach. Vor allem in den letzten paar Monaten. Ich versuche einfach zu erspüren, was das Beste für mich jetzt ist." Während andere der Großen weiter siegen, hat Paris 2017 zementiert: Djokovics Sinnsuche geht weiter.

In Wimbledon wird er spielen, klar, dort trifft er Agassi wieder, der am vergangenen Wochenende Paris aufgrund lange feststehender Pläne verlassen hatte. Es brauche Zeit, betonte Djokovic, bis dessen Einfluss wirke, sie müssten sich besser kennen lernen. Er nimmt sich diese Zeit. Djokovic sprach klar, freundlich, unaufgeregt. "Ich weiß genau, wo ich gerade stehe", sagte er, aber er kramte in seiner Erinnerung und ergänzte: "Ich weiß, wo ich auch sein kann." Und: "Ich bin so motiviert wie jeder andere Spieler auf der Tour." Nicht weniger also. Aber: Auch nicht mehr.

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