Roland Garros:Der Mythos glänzt

Roland Garros: Guy Forget, Turnierdirektor von Roland Garros, verteidigt die Entscheidung, Dopingsünderin Maria Scharapowa keine Wildcard gegeben zu haben.

Guy Forget, Turnierdirektor von Roland Garros, verteidigt die Entscheidung, Dopingsünderin Maria Scharapowa keine Wildcard gegeben zu haben.

(Foto: Miguel Medina/AFP)

Selbstsüchtige Funktionäre und gescheiterte Modernisierungspläne? Passé! Vive la France! Bei den French Open, dem Grand Slam in Paris, herrscht wegen Umstrukturierungen Aufbruchstimmung.

Von Gerald Kleffmann, Paris

9 Uhr, Samstag, die Sonne brennt auf diese fantastische Stadt, ein idealer Morgen für ein Croissant und einen Café au lait. Aber rund um die bekannte Anlage im Bois de Boulogne sind die Frühstücksplätzchen seltsam leer. Dafür die Avenue de la Porte d'Auteuil im Norden: eine 300 Meter lange Schlange. Der Boulevard d'Auteuil im Süden: eine 200 Meter lange Schlange. Und immer mehr Menschen hetzen herbei, manche im Stechschritt, aber fast alle mit diesem speziellen, erwartungsfrohen Gesichtsausdruck: Großes passiert da heute.

Am Samstag ist Kid's Day, der Tag für die Kinder. Das volle Programm wartet, samt Stars auf dem Center Court und Musik, bis die Ohren dröhnen. Und tausend Dinge gratis. Die French Open, das berühmteste, wichtigste Sandplatzturnier im Tennis, beginnt mit dem Hauptfeld erst an diesem Sonntag. Schon an Christi Himmelfahrt, vergangenen Donnerstag, als Qualifikationsmatches anstanden, wurde der Kartenverkauf gestoppt. Rien ne va plus, hieß es. Wie also soll das erst werden, wenn es ernsthaft losgeht? Einige der Securityleute sehen jetzt schon geschafft aus.

Roland Garros, das ist eben keine normale Veranstaltung. Die Kritiker können noch so viel schimpfen, auf die Enge, das Gedränge, klapprige Sitze, höllisch teure Preise. Die Umweltschützer können mit Trompeten blasen zum Marsch gegen die Sünden, die bei einer dringend benötigten Erweiterung der Grundfläche dieses Turniers bevorstehen. Die Anwohner können fluchen, wie sie wollen, weil die Menschen lärmend an den Vorgärten vorbeiziehen. Roland Garros ist ein Mythos, der eher an Glanz gewinnt denn verliert.

Das Preisgeld wurde auf 2,1 Millionen Euro angehoben

Das erste "Championat de France international de Tennis" fand 1891 statt. Ein Brite gewann, und bis heute ist nicht mal klar, ob er H. oder J. Briggs heißt. Das wurde nicht überliefert. Die Frauen starteten erst sechs Jahre später. Nun, im 2017, ist das zweite Grand-Slam-Event der Saison eine Mammut-Show, ausgeleuchtet und vermarktet in jeglicher Hinsicht. Die Sieger im Frauen- wie Männereinzel kassieren je 2,1 Millionen Euro, das Preisgeld wurde wieder angehoben, ein Statussymbol.

In Paris haben sie auch stets stolz auf sich verwiesen, aber lange vergessen, dass man Substanz nachweisen muss. Nur "Vive la France!" zu rufen und verdammt lässig auszusehen, wie sie es hier nun mal größtenteils tun, reicht eben nicht, die internationale Tenniswelt zu beeindrucken, wenn die gerade in Melbourne das erste Grand-Slam des Jahres bestritt und dort mal wieder höchsten Komfort und Service und Platz an allen Ecken und Enden genoss.

Die French Open verharrten zu lange unter dem fast schon päpstlich geschwungenen Befehlsstab des früheren Präsidenten des französischen Verbandes (FFT), Jean Gachassin, einer Art Mischung aus Nicolas Sarkozy und Louis de Funès. Ein wilder, leidenschaftlicher Tennisfan, immer in der ersten Reihe sitzend, nicht gut Englisch sprechend, ein Unikat. Aber der frühere Rugby-Spieler führte das Mega-Ereignis nicht in die Moderne. Er führte es wie sein Versailles, laminiert im Ruhme seiner Geschichte. Und ein bisschen soll er angeblich auch in die eigene Tasche abgeführt haben, über delikate Ticketverkäufe, wie das gerne so ist in den Funktionärskreisen des Weltsports.

Madrid scharrte bereits mit den Hufen, um Paris abzulösen

So gesehen ist die Aufbruchstimmung, die hier spürbar ist, nachvollziehbar. Alte Zöpfe sind nun weg. Der neue Präsident Bernard Giudicelli setzte gleich mal ein moralisches, wenn auch heiß diskutiertes Zeichen, indem er der zurückgekehrten Maria Scharapowa keine Wildcard gab. Nach Verletzungen könne man ja Spieler diese freien Startplätze zusichern, aber nicht einer Dopingsünderin, so die Haltung. Derselben Meinung ist Guy Forget, der Turnierdirektor, der frühere Spitzenspieler, der offen bekennt, man wolle und solle sich als Grand Slam-Turnier diese Haltung leisten. Die French Open stehen einfach über einzelnen Spielern. Man müsse nicht so sehr auf den Gewinn achten. Der ist ja ohnehin da, weil Roland Garros ein Selbstläufer ist.

Aber manchmal braucht es auch Druck von außen, um sich wieder mehr Mühe zu geben. Als 2010 sämtliche Modernisierungspläne der French Open wie einbetoniert zu sein schienen, scharrte Madrid bereits mit den Hufen und drängte sich als möglicher Grand-Slam-Ersatz für Paris auf, wie das Tennis World Magazine auf seiner Website berichtet. Mit der neuen Führung kommt endlich Bewegung ins Setup, bis 2020 soll tatsächlich, wenn auch als letztes der vier Grand Slams, das Hauptstadion ein ausfahrbares Dach erhalten. In Melbourne haben sie schon alle drei Courts wetterfest gemacht.

Doch es geht voran im 16. Arrondissement. Auch davon zeugen die Schlangen an diesem Samstag; Menschen, die hinter den Gittern zäh voranpirschen, um sich wieder und wieder filzen zu lassen. Sicherheitsvorkehrungen sind auch ein Ausdruck von Größe in der modernen Welt geworden. Die French Open, das steht fest, vibrieren wieder.

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