Tennisspieler Daniel Altmaier:Wie ein Manager aus dem Silicon Valley

Daniel Altmaier bei den French Open 2020

Daniel Altmaier siegte sich als Qualifikant mit sechs Siegen in die Runde der letzten 16 von Roland Garros.

(Foto: REUTERS)

Plötzlich taucht ein unbekannter junger Deutscher im Achtelfinale der French Open auf und die Tenniswelt staunt. Qualifikant Daniel Altmaier ist vor allem eines: gewillt, alles für den Erfolg zu tun.

Von Gerald Kleffmann

Irgendwann, Daniel Altmaier hatte schon viel über seinen nächsten beeindruckenden Sieg berichtet und sein halbes Leben nacherzählt, weil er ja für so viele noch ein Unbekannter ist, da hob er den rechten Arm. Gerade schilderte er, wie er in der Vorbereitung auf diese Saison in Argentinien gewesen war, in Buenos Aires, mit seinem argentinischen Trainer Francisco Yunis, der mal die Nummer 61 der Weltrangliste war als Spieler. 14 Tage hatte sich Altmaier durchchecken lassen, spielerisch, aber nicht nur. Auch von drei dortigen Fitnesscoaches sowie seinem eigenen, den er mitbrachte und der auf Osteopathie spezialisiert ist. "In der Dehnposition kriegen wir nur 90 Grad hin", sprach Altmaier, und Journalisten aus Deutschland und anderen, auch entfernteren Ländern hörten über Video-Schalte zu. Er hob den linken Arm - "in der vielleicht nur 80 Grad. Und das haben wir alles mal aufgeschrieben für meinen ganzen Körper". Für ihn sei dann etwas mit dem Namen "Mobilitätsprogramm" festgehalten worden, "um das Bestmögliche aus dem Körper rauszuholen", erklärte er weiter.

Wie dieses Bestmögliche aussieht, darüber staunt nun die Tenniswelt in Paris.

Altmaier aus Kempen, 22, vor zwei Jahren lange nicht spielfähig gewesen wegen Verletzungen, der vor dem Qualifikationsturnier der French Open nicht wusste, ob er würde antreten können aufgrund Adduktorenbeschwerden, steht jetzt im Achtelfinale des größten Sandplatzturniers, das es gibt. Nach drei Siegen war er, noch aktuell die Nummer 186 der Weltrangliste, ins Hauptfeld eingerückt; noch nie hatte er zuvor ein Grand-Slam-Match bestritten. Dann besiegte er den erfahrenen Spanier Feliciano Lopez und den deutschen Davis-Cup-Spieler Jan-Lennard Struff, dem er früher als Hitting Partner diente. Und am Samstag fertigte er, man darf das so zuspitzen, den an Nummer sieben gesetzten Italiener Matteo Berrettini ab, mit 6:2, 7:6 (5), 6:4. Wieder nur drei Sätze brauchte er, wie gegen Lopez und Struff. Der letzte Grand-Slam-Debütant, der so in die Runde der letzten 16 gestürmt war, war in Paris Ulf Stenlund 1986.

In Paris wirbeln viele neue Namen durch die Tableaus

Eigentlich war bei den vor drei Wochen zu Ende gegangenen US Open, dem ersten Grand-Slam-Event seit Ausbruch der Pandemie, mit mehr Überraschungen gerechnet worden. Es hatte Absagen gegeben, viele scheuten das Premieren-Erlebnis einer Bubble, der öffentlich isolierten Veranstaltung in New York. Aber in Paris wirbeln nun deutlich mehr neue Namen durch die Tableaus.

Bei den Frauen warf etwa die Außenseiterin Martina Trevisan die so oft hochgehandelte Griechin Maria Sakkari aus dem Wettbewerb; die Italienerin aus Florenz war den Tränen nahe, sie hat einen schwierigen Weg hinter sich, vier Jahre litt sie an Essstörungen und war, einst ein Talent, nicht fähig, ihr Potential auszuschöpfen. Der junge Franzose Hugo Gaston bot eine spielerische packende Geschichte. Der Linkshänder, der eine Wildcard erhalten hatte, steht auch im Achtelfinale, dank seines feinen Ballgefühls, das er für Stopps, Lobs, mutige Angriffe einsetzt. Stan Wawrinka, 2015 Sieger in Paris, verlor überrumpelt den fünften, entscheidenden Satz gegen den mit 0:6. Altmaier wiederum fasziniert auf seine Art, die man vielleicht so beschreiben kann: Er denkt und spricht wie ein Manager aus dem Silicon Valley, wie ein routinierter Trainer und manchmal auch wie ein netter Freund. Wenn er zum Beispiel immer wieder "mein Team" lobt.

Selten jedenfalls kommt es vor, dass ein Profi aus den vermeintlichen Niederungen der Branche auf die Bühne schoss - und sich derart fesselnd und präzise artikuliert, als halte er eine Präsentation um einen Pitch vor CEOs. Mit dieser Spezies hat Altmaier im Übrigen auch geredet, erzählte er an einer Stelle. Als er lange ausfiel, mit Schulter-und Muskelverletzungen, habe er die Pause genützt und allerlei Leute gesprochen. Aus der Wirtschaft, aber auch aus dem Sport, etwa Anthony Joshua, den Schwergewichtsweltmeister im Boxen. Er war wissbegierig zu erfahren, wie erfolgreiche Menschen erfolgreich wurden. Der Pay-TV-Sender Sky förderte ihn mal ein Jahr, mit einer "Sport Scholarship". Auch das war ein Projekt, für beide Seiten.

Im vergangenen Jahr suchte sich Altmaier den neuen Trainer, landete bei der renommierten Management-Agentur Starwing, wo sein Vorbild Wawrinka Klient ist. Wechselte den Arzt, die Ernährung und ging seine Karriere an, als ziehe er ein Start-up auf, mit dem Ziel: jetzt investieren, später der Break-even, langfristig Gewinn machen. Altmaier, stets in seinen Jahrgängen eines der Toptalente des Deutschen Tennis-Bundes gewesen, turnte da wohlgemerkt irgendwo außerhalb der Top 200 rum.

"Tennisspielen ist ein Marathon"

Ein Kostprobe seiner Analysefähigkeit - so erklärte er, wie er es schaffte, nun schon sechs Matches auf höchstem Niveau in Paris zu absolvieren: "Das wirklich Gute ist, dass das mein 16. Tag auf der Anlage ist. Die Anlage ist leer. Man hat sehr viel Freiraum als Spieler. Man hat nicht so viele Augen auf sich gerichtet. Ich war in der Lage, eine sehr, sehr gute Routine zu haben. Tag für Tag." Und hätte er verloren jetzt? "Dann analysieren wir und machen weiter. Tennisspielen ist ein Marathon."

Im Achtelfinale, das ihm schon 189 000 Euro einbringt, trifft er auf Pablo Carreño Busta, der Spanier stand gerade im Halbfinale der US Open. Oft verwendete Altmaier, der mit seiner weit geschwungenen einhändigen Rückhand an den dreimaligen Roland-Garros-Sieger Gustavo Kuerten erinnert, das Wort "Intensität", die er auf dem Platz zeigen wolle, er denke nur an sich. Berrettini hätte er ausgeblendet. Nachdem er also so viel geduldig und anschaulich von sich berichtet hatte, kam er bezüglich seines nächsten Auftrittes schnell auf den Punkt: "Ich halte es kurz", sagte Altmaier: "Ich werde Carreño Busta auch nichts schenken." Das darf man dem neuen Gesicht dieses Grand Slams bedingungslos glauben.

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