Coco Gauff im FinaleIn Paris die Welt entdecken

Lesezeit: 3 Min.

„Egal, wie groß die Enttäuschung ist: Am nächsten Tag geht die Sonne wieder auf“, sagt Coco Gauff.
„Egal, wie groß die Enttäuschung ist: Am nächsten Tag geht die Sonne wieder auf“, sagt Coco Gauff. (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Coco Gauff steht nach 2022 zum zweiten Mal im Endspiel der French Open und trifft dort auf Aryna Sabalenka. Aber das Leben der 21-Jährigen ist nicht nur auf Tennis ausgerichtet.

Von Barbara Klimke, Paris

In manchen Fällen kann es nützlich sein, die Welt von oben zu betrachten. Etwa von der Spitze des Eiffelturms. Dann sieht man, wie winzig alles ist, sagt Coco Gauff, man ahnt, dass jeder Mensch sich mit weit schwerwiegenderen Problemen herumschlägt als einem verlorenen Finalspiel auf einem Tennisplatz. „Und egal, wie groß die Enttäuschung ist: Am nächsten Tag geht die Sonne wieder auf, unabhängig vom Ergebnis“, sagt sie. „Gerade in einer Stadt wie Paris.“

Es klingt wie ein banales Kapitel aus der Schule des Lebens. Aber Coco Gauff spricht von einer existenziellen Erfahrung, die sie im Alter von 18 Jahren erlebte. Zum ersten Mal in ihrer jungen Karriere hatte sie damals erreicht, was vorhergesagt worden war, seit sie als 15-jähriges Mädchen aus Florida auf dem Rasen von Wimbledon zum Auftakt die große Venus Williams geschlagen und ihr dann schüchtern die Hand geschüttelt hatte. „Der Himmel steht ihr offen“, lautete Williams’ Prophezeiung. Und dann stand Coco Gauff drei Jahre später, an einem Samstag im Frühling 2022, im Endspiel der French Open auf dem Sand des Court Philippe-Chatrier – und ging sang- und klanglos unter: 1:6, 2:6, gegen die Polin Iga Swiatek.

Frauen-Halbfinals der French Open
:Sabalenka und Gauff im Finale

Aryna Sabalenka beendet die eindrucksvolle Serie von Iga Swiatek in Paris und erreicht erstmals das Endspiel  beim Tennis-Sandplatzklassiker. Die Belarussin trifft dort am Samstag auf die Amerikanerin Coco Gauff.

Von Barbara Klimke

Am nächsten Tag lief sie durch die Straßen von Paris und stellte fest, dass ihre Niederlage keinen wirklich interessierte. Ohnehin wurde sie kaum erkannt. Der Schmerz, der ihr Universum erfüllte, schnurrte auf ein erträgliches Maß zusammen, ungefähr auf die Größe eines Baguettes. „Was in unserem Leben enorm erscheint, ist nicht ganz so groß im Zusammenhang der Dinge, das habe ich damals begriffen“, sagt Coco Gauff heute, mit 21 Jahren. Mit anderen Worten: Sie ist bestens vorbereitet auf ihr zweites French-Open-Finale.

An diesem Samstag um 15 Uhr trifft Coco Gauff, die Nummer zwei der Weltrangliste, auf die Nummer eins, die 27 Jahre alte Aryna Sabalenka aus Belarus. Es ist das Duell der beiden besten Tennisspielerinnen der vergangenen Monate. Gauff, wie Sabalenka eine Spezialistin für schnelle Courts, hat es zu beeindruckender Expertise auf den roten Krümelböden gebracht und stand in Roland Garros fünfmal nacheinander mindestens unter den besten Acht. In dieser Sandplatzsaison erreichte sie sowohl das Finale von Rom gegen die Italienerin Jasmine Paolini als auch das Endspiel von Madrid, wo sie Sabalenka den Pokal überlassen musste. Der Wucht des belarussischen Powertennis wird sie ihren Stil entgegensetzen, einen exzellenten Aufschlag und druckvolle Grund- und Winkelschläge. Besonders an ihrem Offensivspiel hat sie zuletzt viel gearbeitet. Es sei ja so im Tennis, sagt Gauff: „Keiner spielt ein Jahr lang, ohne ein Match zu verlieren. Und wenn man nicht unbesiegbar ist, dann gibt es immer etwas zu verbessern.“

Ihren ersten und bislang einzigen Grand-Slam-Titel hat sie ebenfalls gegen Sabalenka erstritten, 2023 in New York, anderthalb Jahre nach der Pariser Niederlage. Aber damit sich eine Karriere entwickeln kann, sagt sie heute, brauche es Ruhe und Zeit. Für einen Triumph in ihrem ersten Pariser Finale fehlte es noch an Reife: „Ich war dermaßen nervös, dass ich mich im Grunde schon abgeschrieben hatte, bevor es losging.“

„Meine Großmutter hat mir beigebracht, in jeder Situation freundlich und verständnisvoll zu sein.“

Nicht viele Athletinnen besitzen die Gabe, jederzeit innerlich einen Schritt zurückzutreten und sich selbst und ihr Umfeld aus der Distanz zu analysieren; und die wenigstens sind so eloquent wie Coco Gauff. Sie ist politisch interessiert und gesellschaftlich engagiert, sie hat zum Thema „Black Lives Matter“ eine beeindruckende Rede gehalten, als sie 16 Jahre alt war, sie äußert sich zu Frauenfragen, Gleichstellung und dem US-Waffenrecht. „Meine Großmutter hat mir beigebracht, in jeder Situation freundlich und verständnisvoll zu sein“, sagt sie. Ihre Großmutter Yvonne Lee Odom, eine Lehrerin, hatte enorme Widerstände zu brechen: Sie war 1961 als Kind die erste Schwarze auf einer bis dahin nur von Weißen besuchten Schule.

Und wenn Coco Gauff um die Welt reist, dann will sie trotz des streng getakteten Turnieralltags, der Konzentration auf das Tennis, etwas sehen von den Menschen und den Städten – „und wenn ich nur 20 Minuten vor die Tür gehe“. Sie ist überzeugt, dass es von Vorteil ist, „immer wieder ein bisschen Abstand vom Sport zu nehmen“. Außerdem halte sie es für peinlich, wenn sie zu Hause in Florida gefragt werde, wie ihr Paris gefalle und sie antworten müsste: „Ich habe nur das Hotel gesehen.“

Wie viele Tennisprofis hatte sie sich während der Corona-Pandemie angewöhnt, bei Reisen auf dem Zimmer zu bleiben. „Aber das ist sicherlich mental nicht gesund.“ In Paris ist sie jetzt mit Familie und Freunden losgezogen und hat einen vergnügten Spielenachmittag im Escape-Room verbracht, aus dem man sich durch das Lösen von Rätselaufgaben befreit. Das werde sie garantiert wiederholen. Und falls sie am Samstag gegen Aryna Sabalenka verlieren sollte, wird das eine Weile schmerzhaft sein. Aber es ändert nichts daran, dass am nächsten Tag die Sonne aufgeht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

French Open
:„Es ist nicht leicht, bei so kalten Bedingungen einen Winner zu schlagen“

Alexander Zverev hadert nach seinem Viertelfinal-Aus gegen Novak Djokovic mit dem Wetter. Dabei fehlte ihm nach starkem Start schlicht eine Antwort auf das taktisch flexiblere Spiel des Serben.

SZ PlusVon Barbara Klimke

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: