Tennis-Talent Mirra Andrejewa:Zu jung zum Autofahren

Tennis-Talent Mirra Andrejewa: Unerschrockenes Debüt: Mit schwungvollem, solidem Grundlinientennis spielte sich Mirra Andrejewa in die dritte Runde von Roland Garros durch.

Unerschrockenes Debüt: Mit schwungvollem, solidem Grundlinientennis spielte sich Mirra Andrejewa in die dritte Runde von Roland Garros durch.

(Foto: Clive Brunskill/Getty)

Im Frauentennis rückt mit Wucht eine neue Generation an. Den anderen eine Nasenlänge voraus scheinen die Andrejewa-Schwestern zu sein - vor allem Mirra, 16, macht derzeit große Sprünge und erreichte die dritte Runde von Paris.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Mirra Andrejewa hatte kürzlich etwas Nettes über Andy Murray gesagt, der Schotte kommentierte das dann bei Twitter, und spätestens seit dieser Geschichte kennen viele im Tennisgeschäft Mirra Andrejewa, die im April 16 Jahre alt wurde. Es war in Madrid, als die Russin das erste Mal bei einem Turnier der 1000er Kategorie mitwirkte, da saß sie im Fernsehen und schwärmte in gutem Englisch: "Die Atmosphäre hier ist so besonders! Wenn man hier was essen geht und all die Stars sieht ... man sieht Andy Murray an sich vorbeilaufen - und allein sein Gesicht. Er ist so wunderschön im echten Leben!"

Ihre Augen strahlten, aber genau auf diese nahm Murray selbstironisch Bezug. Im Internet griff er Andrejewas Eloge auf und schrieb: "Man stelle sich vor, wie gut sie erst wird, wenn sie ihre Augen in Ordnung bringt." Hinter den Satz setzte er drei Emojis, staunende Augen, ein Gelächter-Smiley, ein Gesicht mit Herzchen als Augen.

Von dieser Mirra Andrejewa aus Krasnojarsk in Sibirien schwärmen gerade sogar dreimalige Grand-Slam-Sieger.

Im Frauentennis, das ist unübersehbar, rückt mit Wucht eine neue Generation an, es sind Spielerinnen, die teils so jung sind, dass sie nicht mal Autos steuern dürfen. Da sind die Schwestern Brenda, 16, und Linda, 18, Fruhvirtova, aus Tschechien, die beide bei diesen French Open im Hauptfeld standen, aber das Lospech hatten, auf Elena Rybakina (Kasachstan) und Anastasia Pawljutschenkowa (Russland) zu treffen. Sie verloren. Da sind die tschechischen Kolleginnen Linda Noskova, 18, und Sara Bejlek, 17: Noskova scheiterte erst in der zweiten Runde an der Wimbledon-Siegerin Rybakina. Bejlek schaffte es über die Qualifikation in die erste Runde.

Tennis-Talent Mirra Andrejewa: Große Bühne: Brenda Fruhvirtova, 16, gehört zur Tschechiens großen Tennishoffnungen, sie musste sich zum Auftakt der French Open der Wimbledonsiegerin Elena Rybakina geschlagen geben.

Große Bühne: Brenda Fruhvirtova, 16, gehört zur Tschechiens großen Tennishoffnungen, sie musste sich zum Auftakt der French Open der Wimbledonsiegerin Elena Rybakina geschlagen geben.

(Foto: Clive Brunskill/Getty)

Gerade hat die Branche diese Namen verinnerlicht, da tauchen Mirra und die zwei Jahre ältere Erika Andrejewa auf. "Können diese Russen die nächsten großen Schwestern des Tennis werden?", fragte nun bezeichnend die New York Times und verwendete dabei die Formulierung Sister Act - so wurden Serena, 41, und Venus, 42, Williams aus den USA genannt, die aufgeteilt 23 und sieben Grand-Slam-Titel im Einzel errangen. Die Messlatte liegt hoch.

Am Donnerstag bestritt Mirra Andrejewa ihre Zweitrundenpartie gegen Diane Parry, 20, die Französin aus Nizza erhielt viel Unterstützung im Court Simonne-Mathieu. Aber Andrejewa spulte unaufgeregt, bis auf eine kurze Schwächephase, ihr solides Grundlinientennis herunter, das nicht spektakulär aussieht, aber klinisch effektiv ist. 6:1, 6:2 siegte sie. Am Samstag nahm sie Coco Gauff, 19, die mit 15 Jahren als Art Wunderkind galt und in diesem Club der Teenies mit Abstand die erfahrenste ist. Den Ansturm von Andrejewa meisterte sie eben dank ihrer Routine.

Die Amerikanerin stand 2022 im Finale der French Open. Andrejewa hat in Paris schon mit Gauff trainiert, das ist jetzt ihr Leben, solchen Spielerinnen zu begegnen. Und falls sie mal Grand-Slam-Legenden sehen wollte, auch das kann sie nun erleben: Vor ihrem Aufwärmtraining am Donnerstag stand Pat Cash mit seiner Spielerin Kayla Day auf dem Platz. Das schwarz-weiß karierte Stirnband trägt der ehemalige Wimbledonsieger aus Australien übrigens auch als Trainer noch.

Unbeschwertheit kann ein Vorteil sein: Mirra Andrejewa spielt "einfach, wie ich fühle"

Mirras größte Stärke ist zweifellos in ihrem Kopf, und noch ist unklar, ob es sich dabei schlicht um eine Kostbarkeit namens Jugend hält oder ob sie diese Qualität auch ins Erwachsenenalter transportieren kann. In Paris beschrieb sie sich so: "Ich mache einfach das auf dem Platz, was sich für mich richtig anfühlt. Ehrlich, wenn ich mit meinen Trainern über den Plan vor einem Match rede, denke ich bis zum Match daran. Aber dann vergesse ich das Zeug - und ich spiele einfach, wie ich fühle, und das ist es."

Mit diesem Ansatz der Unbeschwertheit ist sie schon durch die Qualifikation gerauscht (Erika schied dort aus), 6:1, 6:4, 6:0, 6:2, 7:6, 6:4 endeten dort ihre Sätze, in der ersten Runde fertigte sie Alison Riske-Amritraj aus den USA 6:2, 6:1 ab und sagte routiniert wie eine langjährige Spielerin: "Ich bin wirklich glücklich und freue mich auf die nächste Runde." Bei solchen Antworten könnte man übersehen, dass sie noch sehr jung ist, doch bei manchen Fragen meldet sich die Wirklichkeit zurück. Sie gehe noch zur Schule, erzählte sie amüsiert, der Unterricht laufe online ab. Sie sei gut, aber in Chemie, da sei sie schlecht, "ich verstehe gar nichts". Vielleicht gehört diese Art der Demut zu einem Plan. Sie solle nicht wie eine Diva auftreten, wurde ihr mitgegeben, daran hält sie sich.

Aus Sibirien stammte bereits eine sehr erfolgreiche Russin, Maria Scharapowa startete von Njagan aus ihre einzigartige Karriere. Auch bei Mirra Andrejewa waren es die Eltern, die zunächst einmal den Traum träumten, ihr Kind könne vielleicht im Tennis etwas Großes werden. Als Mutter Raisa 2005 den russischen Profi Marat Safin bei den Australian Open triumphieren sah, entschloss sie, dass ihre Töchter es in dieser Sportart versuchen sollten. Es ist verblüffend, aber wie vor 20 oder zehn Jahren manche Wege aus östlichen Gefilden nach oben in den Tenniskosmos führten, so funktioniert es heute immer noch oft. Mirras und Erikas Talente jedenfalls wurden früh erkennbar, die Familie zog, um die Töchter zu fördern, erstmals um, nach Sotschi ans Schwarze Meer und dann in eine dieser sonnigen Regionen, in denen die letzten Schliffe Hochbegabter am besten möglich sind.

Bei den Andrejewas war es nicht Florida wie bei Scharapowa, die bekanntlich bei Nick Bollettieri andockte, sondern die Côte d'Azur in Südfrankreich. Ihre Trainer in Cannes sind die früheren französischen Profis Jean-René Lisnard und Jean-Christophe Faurel. Ein Agent des Vermarktungsriesen IMG, der sich wie ein Krake Talente auf der ganzen Welt schnappt, berichtete in der New York Times, dass sie Mirra mit zwölf gesehen hätten und wussten: "Das Mädchen ist speziell." Sie sei kleiner gewesen als die anderen, aber extrem wettkampfhungrig. Sie nahmen sie unter Vertrag, natürlich.

Noch ist Andrejewa Nummer 143 der Weltrangliste, aber es geht jetzt rasant nach oben, in die Top 100 wird sie bald einfallen. Im Januar stand sie noch im Juniorinnen-Finale bei den Australian Open, fast dreieinhalb Stunden dauerte ihr denkwürdiges Match gegen Alina Kornejewa, 15, sie litten beide und krochen am Ende mehr vor Erschöpfung zu den Bällen, als dass sie liefen. Beißen kann sie also auch. Andy Murray hatte ihr vor den French Open eine Textnachricht geschrieben, er wünschte ihr viel Glück in Roland Garros. "Vielleicht spiele ich deshalb gerade so gut", sagte Andrejewa und lachte. Humor ist ihr also auch nicht fremd.

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