Taylor Fritz bei den French Open:Seid mal lieber still jetzt!

Taylor Fritz bei den French Open: Na? Na? Was sagt ihr jetzt? Die Geste von Taylor Fritz nach seinem Sieg gegen den Franzosen Arthur Rinderknech spricht Bände.

Na? Na? Was sagt ihr jetzt? Die Geste von Taylor Fritz nach seinem Sieg gegen den Franzosen Arthur Rinderknech spricht Bände.

(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

US-Profi Taylor Fritz wird bei seinem Sieg gegen einen Franzosen niedergepfiffen - und reagiert voller Trotz. Das spezielle Pariser Publikum scheint in diesem Jahr noch gereizter zu sein als sonst.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Dann kam der Matchball, und selbst am Morgen danach, als das Wetter weniger warm war und sich die Gemüter etwas abgekühlt hatten, durfte man mit Fug und Recht behaupten: Dieser Matchball ging in die Geschichte dieses Turniers ein. Beziehungsweise das, was unmittelbar auf ihn folgte. Vorhang auf für die große Show des Taylor Fritz, den man nach dieser Aufführung mit diversen Tapferkeitsmedaillen auszeichnen sollte.

Fritz, 25, aus San Diego, ist die Nummer acht der Weltrangliste, er besiegte am sehr späten Donnerstagabend Arthur Rinderknech, 27, der aus dem schönen Département Var in der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur stammt. Ein letzter Ball von Rinderknech, die Nummer 78 im Ranking, flog sanft wie ein Vogel hinter die Grundlinie im Court Suzanne-Lenglen, und dann brachen sich die so lange unterdrückten Gefühle von Fritz ihre Bahn. Er legte sofort den rechten Zeigefinger auf seine Lippen. Er tänzelte im Kreis, er hob beide Arme. Na? Na? Was sagt ihr nun? Seid mal lieber still jetzt! Das sollte die Geste heißen. Genauso gut könnte man seinen Kopf ins Maul eines Löwen stecken, das wäre nicht weniger gefährlich gewesen.

Denn Rinderknech ist natürlich Franzose. Und die Franzosen, sie unterstützen nicht nur ihre Landsleute bei diesen French Open. Sie peitschen sie an. Sie bejubeln sie. Mit allen Mitteln. Und sie sind gegen jeden, der nicht Franzose oder Französin ist. Das ist nur ein bisschen übertrieben formuliert. Die Einzigen, die vor Antipathien geschützt waren, waren Menschen, die zufällig auf die Namen Roger Federer, Rafael Nadal und Serena Williams hörten. Ja, wer einmal diese Kunstform der Buhrufe und Pfiffe in Perfektion erleben will, der sollte sich unbedingt diese Veranstaltung am Bois de Boulogne ansehen. Sie war an diesem 1. Juni mal wieder so intensiv, dass Morgan Riddle, eine Influencerin erstes Ranges im Internet, eiskalt lächelnd einfach das ganze Drama von oben filmte, während sich die Meute akustisch auf ihren Freund Fritz stürzte.

Da stand er dann, am Mikrofon, er sollte, wie es üblich ist, als 2:6, 6:4, 6:3, 6:4-Sieger dieses Zweitrundenduells ein paar nette Sätze auf dem Platz sagen. Marion Bartoli, die frühere Spielerin, moderierte, beziehungsweise: Sie versuchte es. Denn das Buhen und Pfeifen, es nahm kein Ende. Minutenlang zeigten Tausende auf den Tribünen, was sie von Fritz hielten. Dass sie selbst den amerikanischen Profi durchgängig schlecht behandelt hatten? Dass Fehler bejubelt worden waren? Dass jeder Punktgewinn von Rinderknech wie eine göttliche Auferstehung betrachtet wurde? Niemand, absolut niemand schien sich daran zu erinnern. Bartoli sah aus, als sei sie den Tränen nahe. Und auch Fritz' Augen wurden immer trüber. Aber er hielt dem Wasserfluss stand. Der Trotz, es den Pöblern zu zeigen, war stärker.

Eine Frage schließlich beantwortete Fritz, niemand verstand sie, aber zu hören war, wie Fritz sagte: "Ich liebe euch, ich liebe euch", und: "Das Publikum war so großartig, sie haben mich angetrieben. Sie haben mich so angetrieben, dass ich sicherstellen wollte, dass ich gewinne." Das war eine Art Dolchstoß, der zu noch mehr Buhrufen und Pfiffen führte. Der Pawlowsche Reflex funktioniert auch hier.

Es ist bekannt, dass das Pariser Tennispublikum seine Wahrnehmung gerne sofort und ungefiltert mitteilt, manchmal kann das auch zu sehr widersprüchlichen Reaktionen führen. Im spektakulären Match zwischen Daniel Altmaier und dem Südtiroler Jannik Sinner, das der Deutsche nach 5:26 Stunden mit 7:5 im fünften Satz gewann, brüllten die Zuschauer erst minutenlang "Jannik, Jannik, Jannik!" - um dann kurz darauf "Daniel, Daniel, Daniel!" zu skandieren. Stehen sich zwei Nicht-Franzosen gegenüber, herrscht also mehr Flexibilität im Fan-Dasein, das darf man ihnen anrechnen. In diesem Jahr, warum auch immer, wirkt das Publikum aber reizbarer als sonst. Der neueste Trend: Sogar Akteure (also nicht-französische Akteure), die sich nur zur Sicherheit einen Ballabdruck kurz ansehen, werden niedergepfiffen. Der Trainer Patrick Mouratoglou kritisierte dieses Verhalten nun explizit: "Es wird systematisch", schrieb er bei Twitter.

Taylor Fritz hat nun Glück und Pech. Glück, weil er weiterhin im Turnier ist, in der nächsten Runde auf den Argentinier Francisco Cerúndolo trifft, der sich gegen Yannick Hanfmann glatt durchgesetzt hatte, und im Tableau nun kein Franzose mehr übrig ist. Aber er hat Pech, weil nach Lage der Dinge das Turnier weiterhin in Paris, im 16. Arrondissement im Westen der Stadt, fortgesetzt wird. Und ja, man ist gerne nachtragend hier. Bei den US Open hat sich mal der Russe Daniil Medwedew auf ähnlich legendäre Art mit dem Publikum angelegt. Tatsächlich fingen da die New Yorker an, ihn zu lieben. Sie wissen hemdsärmeligen Mut zu schätzen. In Paris ist das eher anders.

Fritz ist bereit, diesen Kampf mit dem französischen Publikum anzunehmen. Spät in der Nacht setzte er noch einen Königstweet ab. Er veröffentlichte bei Twitter nur ein einziges Emoji. Es war ein Gesicht - und ein Finger lag auf den Lippen.

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