Alexander Zverev bei den French Open:Mit dem Selbstverständnis für die große Bühne

Alexander Zverev bei den French Open: Die Emotionen sind schon wieder oberste Schublade - und auf dem Platz läuft es auch schon wieder besser für Alexander Zverev.

Die Emotionen sind schon wieder oberste Schublade - und auf dem Platz läuft es auch schon wieder besser für Alexander Zverev.

(Foto: Thomas Samson/AFP)

Alles klappt bei Alexander Zverev noch nicht, aber der deutsche Tennisprofi genießt den Rummel in Paris sichtlich. Im Achtelfinale trifft er nun auf Grigor Dimitrov - ein "Wahnsinnsspieler", wie Zverev sagt.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Auf einmal stürmte eine Gruppe durch den Medienraum, der unterhalb des Court Philippe-Chatrier Journalisten aus aller Welt Platz zum Arbeiten bietet. Vorneweg lief ein Mann mit einem Gerät in der Hand, es sah wie eine Angel aus. Dann kam eine Frau, sie hielt eine Kamera und filmte im Rückwärtsgehen, während zwei weitere Personen mitliefen. In der Mitte ragte ein groß gewachsener Mann hervor, er schaute zunächst ernst und versuchte ganz offensichtlich, so zu tun, als gäbe es den Mann mit der Angel, an deren Ende ein Mikrofon hing, die Frau mit der Kamera und die anderen zwei nicht. Aber dann erspähte dieser Riese einen Reporter, auf dessen Hemd in breiten Buchstaben "Miami" stand. "Cooles Shirt", rief der Riese namens Alexander Zverev und grinste.

Er blieb allerdings nicht stehen, um sogleich mit dem Journalisten über die Miami Heat zu reden, das Team aus Florida, das derzeit in den NBA-Finals steht, ist ja seine Lieblingsmannschaft, auch weil er mit Power Forward Jimmy Butler eng befreundet ist. Zverev schritt stramm weiter, entschlossen und den Rummel um ihn herum wie ein Model auf dem Laufsteg majestätisch ignorierend und nur umrahmt von dem Netflix-Team, das eine zweite Doku-Staffel über Profis in diesem Jahr dreht.

Patricio Apey, der früher viele Jahre Zverev als Manager betreute, ehe die beiden im Streit auseinandergingen, hatte einmal der SZ erzählt, wie sehr Zverev die großen Bühnen liebe: Weil er schon als Kind, als sein neun Jahre älterer Bruder Mischa bereits als Profi durch die Tennislandschaft reiste, die Stadien der Tour kennen und schätzen lernte. Apey, ein distinguierter Chilene und auch heute noch bestens im Geschäft als Berater von Stefanos Tsitsipas und Elena Rybakina, befand damals, Zverev betrachte die Bühne, wenn die Blicke auf ihn gerichtet sind, als "natürliches Territorium". Er fühle sich dann wohl, und zumindest dieser Tage lässt sich diese Schilderung bestens nachvollziehen.

War Zverev wirklich vor exakt einem Jahr hier noch im Rollstuhl vom Hauptplatz der French Open bugsiert worden? Hatte er nicht sieben Monate gefehlt und dann seit seiner Rückkehr Ende 2022 immer wieder größere Leistungsschwankungen auf dem Platz gezeigt? Sogar Sergi Bruguera, der renommierte Trainer, musste gehen. Wenn man Zverev sieht, wie locker er sich auf der Anlage im Westen der Stadt gibt, könnte man anzweifeln, dass es da in letzter Zeit irgendwelche Probleme gab.

Zverevs Aufschlag ist trotz zuverlässiger Doppelfehler eine Säule seiner Dominanz

Von der Gemütslage her hat sich Deutschlands bester Tennisprofi also wieder eingeklinkt in seinen Status quo vor jenem Unfall im Halbfinale gegen den Spanier Rafael Nadal. Auch wenn Zverev anfangs etwas wild agierte und doch sehr für diesen teils zittrigen 3:6, 7:6 (3), 6:1, 7:6 (5)-Erfolg am sehr, sehr späten Samstagabend (das Match ging sogar bis in den Sonntag) gegen den Amerikaner Frances Tiafoe kämpfen musste - eine gewisse Selbstverständlichkeit schwang schon mit, dass er nun, 26 Jahre alt inzwischen, zum sechsten Mal in Serie im Achtelfinale der French Open steht. "Es wird nicht einfacher, ganz klar", sagte Zverev. "Ich freue mich, in der zweiten Woche hier zu sein, und hoffentlich wird es noch weit für mich gehen hier."

Spielerisch gut ist alles indes noch nicht, sein letzter Gegner Tiafoe, der ihn seit Jugendtagen kennt, bescheinigte aus erster Hand nach seiner Niederlage: "Verglichen mit dem Niveau, das er vor seiner Verletzung hatte, muss sich sagen: Ich glaube nicht, dass er auf diesem Niveau ist." Tiafoe war sich aber sicher: "Er wird in kürzester Zeit wieder an der Spitze des Spiels sein." Schwächen zeigt Zverev bislang noch vor allem bei der Konstanz, glänzenden Schlägen folgen gerne Aktionen, die sicher auch sein Team, angeführt von Vater Alexander als Trainer, manches Mal ratlos machen. Er selbst betrachtete seine Höhen und Tiefen im Spiel als nicht dramatisch: "Die hatte ich immer, die hat jeder Tennisspieler. Das Wichtigste ist, dass ich in den wichtigsten Momenten meinen Aufschlag gefunden habe", meinte er. Tatsächlich ist sein Service trotz zuverlässiger Doppelfehler eine Säule seiner Dominanz.

Alexander Zverev bei den French Open: Jahrelang wartete man bei Grigor Dimitrov auf den Befreiungsschlag. Ist jetzt, mit 32 Jahren, der Moment für den Bulgaren gekommen?

Jahrelang wartete man bei Grigor Dimitrov auf den Befreiungsschlag. Ist jetzt, mit 32 Jahren, der Moment für den Bulgaren gekommen?

(Foto: Lewis Storey/Getty)

Im Achtelfinale trifft Zverev an diesem Montag - wieder zur späten Stunde - auf Grigor Dimitrov. Der Bulgare, der anfangs seiner Karriere noch Baby-Federer genannt wurde, weil sein Spielstil tatsächlich sehr an den des inzwischen nicht mehr aktiven Schweizers erinnert, hatte Daniel Altmaier aus Kempen 6:4, 6:3, 6:1 beherrscht. Nach dessen Marathonmatch gegen den Südtiroler Jannik Sinner in der Runde zuvor war der 24-Jährige sichtlich geschwächt. Wobei Zverev auch einzuordnen wusste: "Natürlich ist Dimitrov ein Wahnsinnsspieler. Ich glaube, er spielt vielleicht sein bestes Tennis auf Sand, das er je gespielt hat, momentan." Mal abgesehen davon, dass Zverev auffallend oft über kommende Gegner sagt, sie würden das Tennis ihres Lebens spielen, hat er im Kern hinsichtlich Dimitrov schon recht.

32 Jahre ist Dimitrov mittlerweile, als Nummer 29 wird er in der Weltrangliste geführt, aber bei einem Gefühlsspieler wie ihm ist es wichtiger, die tagesaktuelle Verfassung zu betrachten. Und die ist zurzeit hervorragend. Zwar wird er wohl nie mehr ganz an dieses leichtfüßige Allroundertennis herankommen, mit dem er 2017 die ATP Finals in London gewann. Aber Dimitrovs variantenreicher Stil ist immer noch unverkennbar, weshalb der smarte Grisha, so sein Spitzname, viele Anhänger hat, auch unter den Kollegen ist er beliebt. Novak Djokovic hat ihn mal als "bestaussehenden Kerl auf der Tour" geadelt. Die Liste der Ex-Freundinnen von Dimitrov ist im Übrigen extrem lang, aber das ist ein anderes Thema.

Zverev, der 2014 einmal gegen Dimitrov verlor, in drei weiteren Duellen später aber stets gewann, hatte schon zu Turnierstart zu verstehen gegeben, dass er niemanden fürchte. "Jetzt bin ich gesund", sagte er. "Jetzt kommt es nur noch darauf an, ob ich mein Tennis finden kann. Das hängt nur von mir ab." Sollte er Dimitrov bezwingen, träfe er auf den Sieger der Partie zwischen Tomas Martin Etcheverry (Argentinien) und Yoshihito Nishioka (Japan), beide Profis jenseits der Top 20. So schlecht ist seine Ausgangslage jetzt nicht.

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