Süddeutsche Zeitung

French Open:11 500! 5000! 1000!

Unmittelbar vor Start der French Open treffen Beschränkungen der Behörden wegen der hohen Infektionszahlen in Paris auch das Grand-Slam-Turnier: Abermals wird die Zuschauerzahl begrenzt - die Tickets werden nun verlost.

Von Gerald Kleffmann, Paris/München

Diese Stimme! Seit 16 Jahren ist Marc Maury Sprecher von Roland Garros, und selbst wer als Sportinteressierter nicht des Französischen mächtig ist, weiß bei seinem Timbre stets: Ah, die French Open! Es wurde also auch am vergangenen Donnerstag, als Maury seinen ersten größeren Auftrag übernahm, durchaus das spezielle Flair dieses Grand-Slam-Turniers übermittelt - auch wenn Maury nur als Stehmann mit Maske live über einen Youtube-Kanal zu sehen und zu hören war und diesmal nicht in unnachahmlicher Lässigkeit eines Pariser Flaneurs den Court Philippe Chatrier beschritt.

Der 62-Jährige moderierte durch die Auslosung der 119. Internationaux de France, die einige pikante Erstrundenduelle für den Start ab diesem Sonntag zutage förderte. So treten bei den Männern gleich die Grand-Slam-Champions Andy Murray und Stan Wawrinka gegeneinander an, Alexander Zverev trifft in einer deutsch-österreichischen Partie auf Dominic Thiems Kumpel Dennis Novak. Bei den Frauen könnten sich in Runde zwei die wiedererstarkte Vikoria Asarenka und Venus Williams begegnen. Titelverteidigerin Ash Barty wird von Maury indes nicht angesagt werden können, die Australierin verzichtete auf eine Teilnahme aufgrund der Pandemie. Rafael Nadal hingegen, auch Sieger 2019 gewesen, wird natürlich antreten, und es dürfte wie immer ein Ohrengenuss werden, wenn Maury alle zwölf Jahre einzeln ins Mikrofon ruft, in denen der Spanier die French Open gewonnen hat. Die Frage wird lediglich sein, wer diese schier endlose Aufzählung dann hört. Fast täglich entscheidet sich ja neu, wer überhaupt die Anlage in Boulogne-Billancourt betreten darf.

Um die Gefahren der Corona-Übertragung zu minimieren, waren jüngst die US Open ohne Zuschauer ausgetragen worden, nach anfänglich erheblichen Turbulenzen (der Franzose Benoît Paire war positiv getestet worden, wie gerade schon wieder beim Turnier in Hamburg) verlief die Veranstaltung ziemlich reibungsfrei. Der Französische Tennis-Verband (FFT), der im Frühjahr zur Verärgerung der Frauen- und Männertour sowie der anderen drei Grand Slams sein Turnier ohne offensichtliche Absprache in den Herbst verlegt hatte, wollte dagegen immer Besucher zulassen. Wenn auch beschränkt. 11 500 Karten sollten zunächst täglich verkauft werden, auf die drei Arenen wollte man die Fans aufteilen. Doch seit Wochen hält der Trend steigender Infektionen in Paris an, sodass die Zuschauerzahl auf 5000 reduziert wurde. Und seit diesem Freitag sind behördlich nur 1000 genehmigt (die Tickets werden unter den bisherigen Besitzern verlost). All die vollmundigen Behauptungen des FFT-Präsidenten Bernard Giudicelli, das zwölf Hektar große Roland Garros sei "der sicherste Ort auf dem Planeten", zerbröselten. Die abermals verschärften Beschränkungen nahm der Veranstalter nun in einer Mitteilung "zutiefst bedauernd" zur Kenntnis, ein klein wenig pikiert scheint man wohl zu sein, dass Roland Garros nicht die Regeln diktiert. Das Selbstverständnis der Veranstalter war, nun ja, schon immer stark ausgeprägt. Aber auch subtiles Klagen hilft nichts: Paris ist inzwischen nicht nur Risikogebiet - es wurde gar zur "superroten Zone" erklärt. Und dass das heimtückische Virus seine Wege findet, weiß Giudicelli ja eigentlich auch längst: Zwei Spieler und drei Coaches wurden vor der Qualifikation positiv getestet.

Nach erstem Begutachten der Abläufe, so folgerte der gerade in New York gekürte Grand-Slam-Sieger Dominic Thiem, ähnele Roland Garros aber durchaus den US Open. Wobei er sich in Paris doch etwas weniger isoliert fühle. An Amerikas Ostküste hätten sich alle nur zwischen dem Hotel auf Long Island und der Anlage in Flushing Meadows bewegt, in Paris würden die Shuttles mehr durch die Stadt fahren, die "ganz normal das Leben weiter" führe, so Thiem, "nur tragen alle Masken". Das auf Instagram meistveröffentlichte Motiv vieler Spielerinnen und Spieler war somit, nicht originell und doch immer wieder schön, der Eiffelturm, der in der Nähe eines der beiden Hotels steht; ohne Ausnahme müssen sich alle in je einer der zwei Unterkünfte einquartieren; auch der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic kann sich nicht eine Privatwohnung nehmen.

Die Rahmenbedingungen sind für alle somit fairer als in New York, wobei Thiem einen Vorteil für jene sieht, die bei den US Open partizipiert haben: Sie würden dieses Blasen-Gefühl kennen, daher sei für sie die Situation "leichter". Auf das für die French Open herbstliche Wetter müssen sich hingegen alle neu einstellen. "Es ist ein bisschen zu kalt", gab Simona Halep zu, die Siegerin von 2018 gilt aufgrund ihrer exzellenten Form als Favoritin. Gute Nachrichten vorerst gibt es aus dem deutschen Lager. In Daniel Altmaier, 22, schaffte doch noch einer von elf deutschen Qualifikanten den Sprung ins Hauptfeld. Alexander Zverev absolvierte, wie Videos zeigten, eine intensive Trainingseinheit mit Nadal. Angelique Kerber, die mit Sand fremdelt, äußerte fast so etwas wie eine Liebesbekundung, ihren Status zur Terre Battue von Paris nannte sie "vielversprechend". Und Andrea Petkovic deckte sich im Supermarkt für die 24-stündige Quarantäne (bis das Testergebnis vorhanden war) ein, und zwar derart erfolgreich, dass sie - wie sie bei Instagram schrieb - "ein Depot für drei Wochen Leben in einer Höhle" hortet. Trotz aller Umstände: Die Akteure sind bereit.

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SZ vom 27.09.2020
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