Freispruch für Witali Mutko:"Eine Verhöhnung der Gerechtigkeit"

FILE PHOTO: Russian Deputy Prime Minister Mutko attends the St. Petersburg International Economic Forum

Kurz gesperrt, kurios begnadigt: Russlands Ex-Sportminister Mutko.

(Foto: Maxim Shemetov/Reuters)
  • Russlands früherer Sportminister Witali Mutko wurde vom IOC im Zuge der russischen Doping-Affäre lebenslang gesperrt. Nun hebt der internationale Sportgerichtshof Cas die Sperre wieder auf.
  • Die Begründung: Da Mutko weder Athlet noch Offizieller war, unterliege er nicht der Gerichtsbarkeit des IOC.
  • US-Rechtsexperten unterstellen sportpolitische Motive. Der Fall sei nie richtig verhandelt worden.

Von Thomas Kistner

Ein Jahr ist es hin bis zur Eröffnung der Sommerspiele in Tokio. Passender Anlass für Thomas Bach, dem ZDF inmitten der bunten Bilderwelt des Lausanner Olympia-Museums einmal ausführlich die olympischen Werte darzulegen, die von besonders wertschöpfender Bedeutung sind für die Ringe-Bewegung. Viel Kritik hat der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees vorzutragen: Der obwaltende "Zeitgeist" entwickle sich leider immer mehr Richtung Einzelinteressen, er sei "auf Aggressivität und Konfrontation gerichtet" - dagegen kämpfe sein Ringe-Zirkel unermüdlich an. Gerade auch in "politischer Hinsicht", denn im Sport, beteuert Bach, gälten "für alle weltweit die gleichen Regeln - niemand kann für sich Sonderbehandlung beanspruchen!"

Fällt der Blick vom Zeitgeist, der Bachs IOC so zu schaffen macht, auf das reale Zeitgeschehen, tun sich gewisse Unstimmigkeiten auf. Wie sieht es in der olympischen Praxis mit Gleich- und Sonderbehandlungen aus? Eine deutliche Antwort liefert der oberste Sportgerichtshof Cas in Lausanne, der vor wenigen Tagen ein spätes, spektakuläres Urteil zur russischen Staatsdoping-Affäre publizierte: Er hebt die lebenslange Sperre auf, die das IOC 2017 über Russlands früheren Sportminister Witali Mutko verhängt hat. Damit fällt der einzige harte Bannspruch, den das IOC damals in seinem international als viel zu zahm kritisierten Strafenkatalog zur Affäre aussprach. Der Fall Mutko steht für das düsterste Kapitel in der affärenreichen Ägide des seit 2013 regierenden IOC-Chefs Bach. Mutko war Sportminister ab 2008, sein Rückzug 2016 ging mit dem Aufstieg zum Vize-Ministerpräsidenten im Kreml einher.

Mutko hatte Russland durch die Blütezeit des Staatsdopings gelenkt, Tiefpunkt bildeten die Winterspiele in Sotschi 2014. Akribische Ermittlungen des kanadischen Sportrechtlers Richard McLaren, dem Günter Younger assistierte, der deutsche Cheffahnder der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), lieferten erschütternde Belege für systematische Teilnahme staatlicher Stellen am Doping; nachgewiesen wurde sogar das Mitwirken des Geheimdienstes FSB. Die Auswertung unzähliger Datensätze, Mails und Zeugenberichte ergab, dass wohl mehr als 1000 russische Athleten gedopt oder von staatlicher Betrugsverschleierung profitiert hätten. Eine vom Sportministerium gesteuerte "institutionelle Verschwörung" läge vor, sie habe neben Sotschi 2014 auch London 2012 und die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau umfasst.

Nun kassiert der Cas einen der wichtigsten olympischen Bannsprüche. Denn: Das IOC habe schlicht kein Recht, Mutko zu bestrafen, weil dieser weder Athlet, Trainer noch Mitglied einer Spiele-Delegation war - und deshalb "weder den Regeln noch der Gerichtsbarkeit des IOC unterliegt".

Eine Ohrfeige. Das klingt nach grobem Anfängerfehler: Kennt das IOC nicht mal die klare Grenze seiner Zuständigkeit?

Ausgewiesene Sportrechtsexperten haben für die Panne eine ganz andere Erklärung; sie klingt schlüssiger und passt zum generellen Umgang mit der Staatsaffäre. Das Cas-Urteil sei "eine absolute Farce, eine Verhöhnung der Gerechtigkeit", wettert US-Anwalt Jim Swartz in einem Statement der renommierten Stiftung FairSport, die den Dopingkampf mit Harvard-Juristen und Ex-Bundesanwälten begleitet. Swartz ist FairSport-Mitbegründer wie Johann Koss, viermaliger Eisschnelllauf-Olympiasieger für Norwegen, der vorübergehend im IOC saß und Unicef-Botschafter ist.

Nach Ansicht der Stiftungsexperten, die über enge Drähte zut Wada verfügen, liegt der Causa Mutko kein juristischer Schwächeanfall, sondern ein sportpolitisches Motiv zugrunde. Die eilige, laxe Abhandlung im Kontext von allerlei Russland-Beschlüssen sei bewusst gewählt worden, vermutet Swartz: "Wäre der Fall wirklich vollständig verhandelt worden, hätte Mutkos Cas-Appell viel mehr Details über seine Rolle im russischen Betrug enthüllt!" Denn McLaren und sein Kronzeuge, der ehemalige russische Laborchef Grigorij Rodtschenkow, "waren bereit, neue, signifikante Beweise vorzulegen, die noch nicht publik sind".

Für die FairSport-Juristen galt die flotte damalige Mutko-Sperre nur der Absicht, "die Publikation weiterer Beweise zu verhindern, die öffentliche Empörung mit der Zeit abebben zu lassen und dann das Verbot aufzuheben, um Mutko und Kumpanen die Behauptung zu ermöglichen, sie seien entlastet worden". Eine brisante Analyse zu einem Freispruch, der tatsächlich im Kontrast zur Fülle an Beweisen steht - die nie auf den Tisch kamen.

Oder ist alles nur ein weiterer Lapsus des IOC, der Russland in die Karten spielt - kleiner Fauxpas in der politischen Gleichbehandlung? Als Bach im Museum zur Korruption um die Olympia-Ausrichterstadt Tokio 2020 befragt wurde, behauptete er, dank steter Reformen habe sich "das Blatt gewendet". Und was frühere Sünden angehe: "Diese Altlasten werden wir mit aller Strenge aufarbeiten."

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