Freiburger Dopingsumpf:Fünf statt drei

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"Der Fisch stinkt vom Kopf her": Die Zahl der belasteten Freiburger Sportärzte wächst - und könnte weiter wachsen.

Thomas Kistner und Andreas Burkert

Es lag wohl auch an subtilen Kräften in Sport und Landespolitik, dass es fast ein Jahr brauchte, bis die Dopingaffäre um Sportärzte des Freiburger Uni-Klinikums erste Fortschritte zeitigt. Aus Drei mach Fünf, vermeldet nun der Zwischenbericht, den Hans Joachim Schäfer, Vorsitzender der Untersuchungskommission, in Freiburg vorlegte. Bisher war die Affäre im Breisgau sorgfältig auf die entlassenen oder suspendierten Sportärzte Georg Huber, Andreas Schmid und Lothar Heinrich begrenzt worden.

Präsentierte den Zwischenbericht: Hans Joachim Schäfer (Foto: Foto: dpa)

Nun sollen auch die ehemaligen Klinikärzte Andreas Blum und Stefan Vogt vom Telekom-Radrennstall an der Klinikleitung vorbei mit "namhaften Beträgen" entlohnt worden sein, so der Vorwurf. Blum verließ Freiburg und den Magenta-Stall 2006, "um einen klaren Schnitt nach der Affäre Ullrich zu machen", sagte er am Freitag der SZ - und landete beim Doping-Team des Jahres 2007, Astana. Kollege Vogt, an Heinrichs Seite als Leistungsdiagnostiker stets bei den großen Rennen zugange, wurde am 10. März an der Klinik entlassen, fristlos und geräuschlos.

Laut Schäfer sei es wahrscheinlich, aber noch unbewiesen, dass auch diese beiden zu Dopingpraktiken beitrugen. Bei drei Anhörungen habe ihm Vogt "mit leuchtenden Augen erzählt, dass er nichts gemacht habe", sagt er, "aber man kann natürlich spekulieren, warum ihnen das Team so viel Geld nebenher zahlte".

Vogt und Blum indes bestreiten sogar solche Geldflüsse. Aus Ermittlerkreisen heißt es aber, die Gesamtbeträge bewegten sich bei Blum um die 40.000 Euro, bei Vogt etwas darüber. An Heinrich reicht das nach Aktenlage nicht heran, laut Schäfer-Report betrugen die für ihn vorgesehenen Jahreshonorare 60.000 Euro für 2006, 120.000 für 2007. Dazu wirft der Bericht das Kapitel "finanzieller Profit als mögliches Motiv" auf. Für Blum ist das kein Thema. Er habe nur "Reisekosten erstattet bekommen, mehr war nicht". Auch sei er "nie an Dopingpraktiken beteiligt" gewesen.

Generell erhärten die Untersuchungsergebnisse der Kommission, der auch der Biochemiker Wilhelm Schänzer und der Pharmakologe Ulrich Schwabe angehören, den Verdacht massiv, dass der Magenta-Rennstall über Jahre systematisch von Freiburger Ärzten gedopt wurde. Obwohl für den Zeitraum 2001 bis 2005 noch keine Aussagen vorliegen, ist die Kommission überzeugt, dass auch damals gedopt wurde.

Zumal noch während der Tour de France 2006, gleich nach Ullrichs Rauswurf, T-Mobile-Fahrer um Patrik Sinkewitz die Chuzpe hatten, in einer Etappenpause zum Bluttanken nach Freiburg zu fahren. In dem Bericht werden nun weitere Untersuchungen von Blutproben mehrerer Fahrer während der Tour erwähnt, am 9. und 14. Juli 2006. Für durchgängiges Doping sprächen auch die - nicht angemeldeten - Nebenvergütungen an Ärzte sowie strafrechtlich relevante Datenmanipulationen durch fiktive Patientenakten.

Wolfgang Maier, Sprecher der Freiburger Staatsanwaltschaft, kündigte auf Basis des Berichts die Prüfung weiterer Maßnahmen an. Demnach könnte gegen Vogt und Blum ermittelt werden, auch gegen den weiter belasteten Huber wird dies erwogen. Fragwürdige Aktivitäten des früheren Olympia-Chefarztes datierten von Anfang der achtziger Jahre bis mindestens 2000, zudem ist für die Kommission aufgrund der Überschneidungen von Hubers Tätigkeit mit den Kollegen Schmid und Heinrich "nicht vorstellbar, dass der Kontakt derart minimalistisch war, wie von Dr. Huber bislang dargestellt". Das Magenta-Team sei ja "lange Zeit eine Art deutsche Radsport-Nationalmannschaft" gewesen.

Auch den "großen Keul" (Schäfer), verstorbener Doyen der nationalen Sportmedizin, hält die Kommission für aktiv involviert in die Praktiken. So habe der langjährige Vorzeige-Arzt Rechnungen für Dopingmittel geprüft und als "sachlich richtig" zur Zahlung freigegeben - dreist abgewickelt über das Drittmittelkonto "Dopingfreier Sport". Auf ein "System Keul" beruft sich sogar bereits ein beklagter Arzt. Also auf eine Art Befehlsnotstand, was eingedenk des Bildes in Freiburg nicht abwegig erscheint. Mit den bisher erfassten Personen ist das Ende der Aufklärung nicht erreicht. Schäfer betont, sein Stab sei nur mit der Prüfung im Radsport beauftragt.

Ein Blick auf ärztliche Vernetzungen andernorts zeigt, dass die Kommission weitere Verbindungen zu überprüfen versuchte. So hat Schäfer mit dem Freiburger Radamateur-Experten Yorck-Olaf Schumacher "viele Stunden zugebracht", desgleichen mit dem vor Jahren nach Hellersen gewechselten Sportarzt Ernst Jakob. Er verantwortete im DSV die Abteilung Ski Nordisch, im Radsport wirkte er für die einstigen Ullrich-Teams Coast/Bianchi - zuletzt für Gerolsteiner. Schäfers Befund: "Die Auffälligkeiten sind uns bekannt, aber es gibt bislang keine Anhaltspunkte für Verfehlungen." Beide Ärzte bestritten wiederholt jede Verwicklung in Dopingpraktiken.

Nicht hilfreich, aber eng vernetzt ist diese Branche. Blum arbeitete bei Astana bis zum Tour-K.o. des Rennstalls 2007 wegen des Dopingsünders Alexander Winokurow (vorher Telekom) unter dem ehemaligen Freiburger Holger Hüring. Der war zuvor bei Phonak beschäftigt, das Team wurde wegen steter Dopingfälle geschlossen. Nach dem Astana-Aus war für Hüring auch beim deutschen Zehnkampfteam Schluss, für das auch Vogt tätig war. Hüring, der sich auf Befragen 2007 nicht zu seinen Arbeitgebern äußern wollte, war an der westfälischen Sportklinik Hellersen tätig; dort zählte Jakob zu seinen Kollegen, langjähriger Breisgau-Kombattant und Forscherkollege von Keul, Huber und Co.

"Man fängt an den Füßen an", sagt der frühere Sozialrichter Schäfer über seine diffizile Arbeit, klar sei aber: "Der Fisch stinkt vom Kopf her." Unter Druck gerät der Chef der Breisgauer Sportmedizin, Hans-Hermann Dickhuth. Dass mindestens fünf Ärzte aus seinem Beritt ins Zwielicht gerieten, ruft den Heidelberger Zellforscher Werner Franke auf den Plan, der selbst einer Freiburger Prüfkommission angehört. Im Hochschulforschungsbereich, sagt er, "liegt die volle Verantwortung bei der Leitung, Nichtwissen ist keine Entschuldigung". Im Gegenteil. "Eine sportmedizinische Leitung, die all das nicht mitgekriegt hat, hat sich selbst disqualifiziert."

© SZ vom 22.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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