Süddeutsche Zeitung

Freiburger Abstieg:Abschied von der Kreativschmiede

Die Bundesliga verliert durch den Abstieg des SC Freiburg ein führendes Nachwuchszentrum. Dort wurde schon Fußball gespielt, als es in anderen deutschen Stadien noch rumpelte. Dass auch Toni Kroos den Absturz bedauert, überrascht nur im ersten Moment.

Ein Kommentar von Christof Kneer

Toni Kroos spielt bei Real Madrid, Toni Kroos ist Weltmeister, seine Ebene ist der ganz, ganz große Fußball. "Tut mir leid für Freiburg. Christian Streich wird der Bundesliga fehlen!" teilte dieser Kroos am Samstagabend via Twitter mit. Kroos stammt nicht aus Freiburg, seine Heimat ist das Gegenteil vom Breisgau, nämlich Mecklenburg-Vorpommern, und es ist auch sonst keine Verbindung zu Christian Streich bekannt. Aber wahrscheinlich muss man auch gar keinen Grund suchen für Toni Kroos' freundlichen kleinen Gruß. Man darf den Abstieg von Christian Streich ruhig auch als neutraler Weltmeister bedauerlich finden - und den Abstieg des SC Freiburg ebenfalls.

Die Freiburger zählen zu jenen Mannschaften, die grundsätzlich immer mit einem Abstieg rechnen müssen, dieses Risiko ist ins Geschäftsmodell der kleinen Liga-Standorte mit eingepreist. Dennoch sind die Freiburger ein überraschender Absteiger - gerade weil sie der Gefahr ständig ins Auge sehen, gelten sie im Abstiegskampf als routiniert und abgebrüht. In Freiburg betrachten sie Abstiegskampf nicht als Katastrophe oder Beleidigung, sondern als ganz normale Herausforderung, der sie mit aufrechter Haltung und einer großen Portion Schläue begegnen. Und das führt dann auch zu der schlechten Nachricht, die Freiburgs Abstieg für die ganze Liga bedeutet: Die Bundesliga nimmt zumindest vorläufig Abschied von einem ihrer führenden Innovationszentren. Von einem Standort, an dem der Nachwuchs schon gut ausgebildet wurde, als der deutsche Fußball noch vor sich hin rumpelte; von einem Standort, der den sogenannten schlafenden, in Wahrheit aber längst eingeschlafenen Riesen aus den traditionellen Metropolen mit Inbrunst und listiger Transferpolitik jahrelang eine lange Nase gedreht hat.

Der SC Freiburg, das ist nur nicht Christian Streich, das war auch Volker Finke, das waren die Willis, das war der Strandkorb, und ironischerweise ist eines der vielen historischen Breisgau-Brasilianer-Klischees nun der aktuellen Generation zum Verhängnis geworden. In Freiburg pflegen sie traditionell eine kuriose Mittelstürmer-Skepsis, seriöse Torgaranten hatten sie all die Jahre selten in ihren Reihen, und nun, da sie in Nils Petersen endlich einen haben, hat ihn der Trainer Streich wieder nur (zu) spät eingewechselt.

Die Freiburger stehen nun vor einer ganz neuen Herausforderung, sie werden versuchen, umgehend wieder aufzusteigen - wie auch der zweite Absteiger, der SC Paderborn, der es, obwohl Neuling im Oberhaus, ebenfalls schon zu einer Art Talentschmiede gebracht hat. Der SC hat sich als Entwicklungslabor für Trainer immerhin einen kleinen Namen gemacht, der heutige Leverkusener Roger Schmidt bekam hier seine erste Chance, und der Ruf des aktuellen Trainers André Breitenreiter ist auch schon so gut, dass man erst mal abwarten muss, ob er die Ostwestfalen in die zweite Liga begleitet.

Vielleicht hat der Abstieg diesmal zwei Städte erwischt, die bei allem Schmerz immer noch am besten damit umgehen können. In Paderborn und Freiburg stürzen keine Welten ein, es werden sich nun keine Vereins-Ikonen erheben und Köpfe fordern - anders als beim Hamburger SV, dessen größte Leistung im Abstiegskampf war, am letzten Spieltag Schalke 04 zu begegnen; einer Mannschaft, die sich im Moment gerne besiegen lässt. Der HSV muss nun zum zweiten Mal hintereinander in die Relegation, und im Gegensatz zum anderen gefährdeten Traditionsbetrieb, dem VfB Stuttgart, hat sich der HSV dieses Nachsitzen redlich verdient.

Auf die Zukunft des VfB darf man gespannt sein

In Hamburg und Stuttgart haben sie jahrelang in unschöner Parallelität vieles falsch gemacht, aber zuletzt haben sich die Wege der beiden Klubs auf dramatische Weise getrennt. Der HSV führt Woche für Woche vor, was für einen beeindruckend windschiefen Kader er sich da über die Jahre zusammengemixt hat, die Unwucht steckt (außer im Tor) in allen Mannschaftsteilen. Der VfB dagegen hat ein Kunststück vollbracht, das die Liga in 52 Jahren auch noch nicht gesehen hat: Er hat sich unter größtem Druck spielerisch mal eben neu erfunden und die Rückkehr der lange verletzten Daniel Ginczek und Daniel Didavi zu einem grandiosen Comeback genutzt. Es wäre ein Drama gewesen, hätte sich diese Elf verabschieden müssen. Die Zukunft dieser Elf will man schon gerne sehen. Stattfinden wird sie dabei ohne Huub Stevens, der den Klub nun zweimal hintereinander vor dem Abstieg bewahrt hat. Am Sonntag bestätigte Sportvorstand Robin Dutt auch endlich die offiziell Stevens' Abschied. Der Niederländer wird jetzt Urlaub auf Mallorca machen und sich dann wieder um seine Enkel kümmern. Bis ihn der nächste Rettungsruf erreicht.

Die zweite Bundesliga dürfte sich im Übrigen durchaus freuen über diese Abstiegskampf-Entscheidung. Sie erlebt nun zwar nicht den großen VfB und vielleicht auch nicht den großen HSV - aber sie darf dafür nach Freiburg fahren, wo immer der Bundestrainer auf der Tribüne sitzt.

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SZ vom 24.05.2015/schma
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